Kapitel 52

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Taehyung

Der Ausdruck des Jüngeren ist mir das reinste Rätsel. Leere Augen, Lippen zu einem geraden Strich geformt und auf der Stirn zeigt sich nicht eine Falte. Unsere Hände sind noch immer durch den dünnen Maschenzaun miteinander verbunden. Nachdenklich senkt Jungkook auf einmal sein Haupt. Sein Griff wird lockerer.

„I-Ich habe erst später durch meine Mutter erfahren, dass man dich - Gott sei Dank - gefunden hat. I-ich hätte mir nie verzeihen können", werde ich gegen Ende immer leiser, bis mir schlussendlich ganz die Stimme versagt, als mir bewusst wird, was beinahe passiert wäre.

„I-ich dachte, du wärst tot", gestehe ich und ein Schluchzen kommt über meine Lippen. Die Erinnerung tut weh, doch mag ich mir nicht ausmalen, was mein Gegenüber in diesem Augenblick fühlen muss.

Er hüllt sich jedoch weiter in Schweigen und hält den Kopf durchweg geduckt.
Die Stille nicht mehr ertragend, spreche ich einfach weiter; über die Tatsache, dass ich vor diesem verdammten Unfall ein verzogener, egoistischer und dummer Junge war, doch, dass er, Jungkook, mir in der vergangenen Zeit, unserer vergangenen Zeit, mich zu einem besseren Menschen hat, werden lassen.

„Du warst - nein, bist - meine zweite Chance, Jungkook. Ohne dich, ich wäre verloren." Ein schmerzverzerrtes Lachen.

Mit bebenden Finger wische ich mir Tränen aus den Augen. Auf meiner Haut bildet sich eine feste Gänsehaut, als der Wind eine stürmische Böe über unsere Köpfe schickt. Der Regen scheint auch nicht mehr fern zu sein.

Ich möchte erneut ansetzen und ihm erzählen, wie meine Mutter mich nach meinem Geständnis dazu gedrängt hat, mich nach ihm zu erkundigen und Himmel und Hölle in Bewegung versetzten sollte, um meinen Fehler, so weit es in meiner Macht stünde, wieder gutzumachen. Leises Murmeln des Jüngeren lässt mich meine Worte allerdings herunterschlucken.

„Wie bitte?", frage ich nach.

Er löst seine Hand von der meinen und tritt einen Schritt zurück. Seine Augen sind glasig und der aufblühende Ausdruck in seinem so bildschönen Gesicht lässt mein Blut gefrieren.

„Du hast es all die Zeit gewusst?", spricht er vorsichtig, „aber hast nichts gesagt?"
Seine Aussage bringt mich ins Stocken. Es stimmt, doch, was hätte ich denn sonst tun sollen? Ich schäme mich so sehr für diese Tat.

Verletzt mustert er mich und schlingt dir Arme um seinen dürr gewordenen Körper. Wir sind doch auf dem Weg der Besserung gewesen. Er war doch alles wieder in Ordnung.

„E-Es tut mir so unendlich leid... Es vergeht keinen Tag, an dem ich nicht bereue, was-"
Ein scharfes Einatmen seitens Jungkook lässt mich verstummen. Er blickt mir direkt in die Augen, fixiert mich förmlich.

„Hattest du wenigstens vor, es mir eines Tages zu beichten, ohne das Wissen, dass ich hier eingesperrt werde und bin? Sei ehrlich. Ich bin das Unwissen und die Lügen satt."

Schmerzlich wird mir klar, dass mein Handeln und mein Schweigen den Jungen mehr verletzt haben könnte, als ich mir in meinen dunkelsten Träumen je hätte vorstellen können. Die Realität bricht wieder einmal über mir in sich zusammen und die Trümmer verfehlen mich nicht.

„Ich liebe dich, Jungkook. Das ist mir im Laufe unserer Zeit immer klarer geworden. Auch, wenn ich mich anfangs dagegen zu sträuben versucht habe, da alles in mir geschrien hat, dich nicht an mich oder ich mich an die zu binden", ich mache eine kurze Pause. „ Aber ist mir, als ich dich in deinen glücklichen Momenten, aber auch während deiner Tiefpunkte erlebt habe, klar geworden, dass ich an deiner Seite sein möchte, dich nicht verlieren will. Ich hätte dir alles gesagt, wenn der richtige Moment gekommen wäre, glaube mir das."

Mirror Demon | Taekook Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt