Kapitel 56

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Taehyung

Den Kopf in die Hände gelegt, sitze ich allein auf der Balkonterrasse von Jimins und Hoseoks beeindruckendem Zuhause.
Noch immer sind die Stimmen der anderen zu hören und wie sie miteinander diskret diskutieren.

Irgendwann ist es mir jedoch zu viel geworden und die frische Luft, die durch das Wohnviertel hier zieht, ist mir eine gelegene Gesellschaft.

Ich weiß, ich sollte der letzte sein, der eine Pause verdient hat, eine Ablenkung.

Kühl bläst es mir durch das zerzauste Haar, das zuvor matt und völlig erschlafft vor meiner Stirn gehangen hat.

Ich möchte es mir nicht eingestehen, zu sehr bin ich daran schon gewöhnt meine Gefühle kaltzustellen, aber ich habe Angst. Verzweiflung löst dieses erstarrende und ohnmächtig machende Gefühl in mir aus. Um so mehr Zeit verstreicht, desto stärker durchdringt es die dicke Eisschicht, welche ich in meinem Inneren erreichtet habe.

„Durch dich habe ich a-alles verloren."

Als wäre eine Pistolenkugel in das Eis geschossen worden, die Risse haben unreparabelen Schaden angerichtet.
Mein eisiger Schutzwall schwindet, von Rissen durchzogen. Jungkooks verletzter Ausdruck erscheint vor meinem inneren Auge.

„Was machst du da?"

Die freundliche Stimme eines kleinen Mädchens reißt mich aus dem Gedankenstrudel, der mich bereits gedroht hat zu ertränken. Meine Fingerknöchel färben sich allmählich zurück.

„Ich? Ach nichts... Ich war nur etwas in Gedanken, habe die Leute auf den Straßen beobachtet", erkläre ich ihr. Es ist Miga, Namjoons kleine Tochter. Ihr dunkles Haare ist zu einem strengen Zopf geflochten. Eine Strickjacke ruht um ihre Schultern, die das kleine Mädchen mehr schlecht als recht warmhalten solle. Die Unschuld in ihren Augen erinnert mich an Jungkook.

Für einen kurzen Moment haben seine Augen beinahe identisch gestrahlt.

Durch mein Handeln habe ich es selbst erlöschen lassen.

Miga bittet mich an meiner Seite Platz nehmen zu dürfen, um die Stadt zu unseren Füßen zu beobachten.
Wir sitzen auf einer Art Kasten, geschlossen in lasierte Holzbretter. Ein Hochbeet bildet die Rückenlehne dieser couchähnlichen Sitzgelegenheit.

„Bist du traurig, weil du Onkel Jungkook sehr vermisst?"

Fragend blickt sie mir mit ihren großen braunen Augen in das verdutzte Gesicht. Förmlich überfahren von dieser Frage, ist meine Antwort ein einziges Gestammel.

„E-Ehm... kann... sein?", bringe ich schlussendlich heraus und schlucke die restlichen Worte, die ich allesamt hätte sagen können, doch nicht für ihre Ohren geeignet sind, wieder herunter.
Sie scheint meine Unstimmigkeiten zu erkennen. Trost spendend lehnt sie sich an mich.

„Du musst Onkel sehr lieb haben, wenn du ihn so vermisst. Papa sagt, dass du ihn mehr lieb hast, als du zugibst."

Erneut überrascht von ihren Worten, bleiben mir meine Antworten gerade so im Halse stecken. Ohnmächtig nicke ich nur.

„Liebling? Ist es nicht etwas zu kalt, ohne Jacke?"

Der Vater der Kleinen gesellt sich zu uns.
Namjoon gehorchend, springt Miga auf, entschuldigt sich bei dem Lilahaarigen und flitzt anschließend in das Wohnzimmer zurück, wo Jimin bereits mit einer dampfenden Tasse auf sie wartet.

„Hoffentlich hat sie sich nicht verkühlt bei diesem Wetter", spricht der Vater besorgt über sein Kind und gesellt sich darauf zu mir. Er überschlägt seine langen Beine und faltet die Hände auf seinem Schoß. Der Wintermantel, den er trägt, muss mehr gekostet haben, als die Jeons mir in den vergangenen Monaten zusammen gezahlt haben.

Anstatt ein Gespräch zu beginnen, sitzen wir schweigend Seite an Seite. Die Stimme der Stadt ist nicht zu überhören und der Wind singt im Einklang mit ihr.
Langsam aber sicher verschwindet die Sonne am Horizont und das Nachtleben Seouls beginnt.

„Hältst du mir heute auch noch eine Predigt wie Jin und deine Tochter zuvor?"

Die anhaltende Stille beginnt mir unter den Fingernägeln zu kribbeln, doch weitete sie sich selbstverständlich aus. Als ich es nicht mehr ertragen kann, falle ich der Stadt ins Wort.

„Nein. Nicht wirklich", antwortet Namjoon kurz und ich könnte schwören einen Hauch Überraschung zwischen den Zeilen herauszuhören.

„Was ist es dann?

„Ich", beginnt er und richtet sich dabei auf, um mir geradewegs in das verwirrte Gesicht zu blicken. Seine Augen, de denen eines Drachen zum Verwechseln ähnlich sind, lassen auf ein Geheimnis schließen, was mir der Ältere jeden Moment erzählen wird. „-will dir helfen, dich in die Anstalt als eine Art Angestellten zu schmuggeln."

Mein Gesicht fällt scheppernd zu Boden, ganz zur Verwundung meines Gegenübers.

„Diesen Plan habe ich schon seit einiger Zeit. Ich kenne Koos Eltern seit Beginn seines Studiums. Sie wollen ihn in dieser Anstalt ruhigstellen lassen, damit er gefügig wird", erklärt er und mir wird schlecht bei den Intentionen der Jeons.
Aber bin ich im Endeffekt nicht besser als sie es sind.

„Für Koos Eltern zählt, vor allem für seinen Vater, einzig Gehorsam und Perfektion. Nichts darf dem Zufall überlassen werden."

Diese Anwandlungen sind mir selbstverständlich nicht fremd. Wie oft ist meine Mutter erschöpft und wütend nach Hause gekommen. Ihre Predigten über den Umgang der Jeons mit ihren Angestellten und ihrer Familie waren für Juri und mich die reinsten Gruselgeschichten in unserer Kindheit. Oft haben sie meiner Mutter das Gehalt gekürzt oder ihr mit Abmahnungen gedroht, als sie ihrer Arbeit nicht nachkam.

Fr. Jeon ließ die Schikanen ihres Mannes den Angestellten gegenüber einfach zu.
Doch Unwissen und Augen verschließen schützt vor Strafe nicht.

„Was denkst du, wie ich verachtet wurde, als herauskam, dass ich mitten im Studium Vater werde?", erwähnt der Ältere und ich kann mir die herablassenden Blicke des Herrn Jeon bildlich vorstellen. Mitfühlend klopfe ich Namjoon auf die Schulter, als er erzählt, dass trotz allem Widerstand Jungkook stets zu ihm gehalten hat.

„Oder ihre Sprüche, als meine Beziehung zu Migas Mutter in die Brüche ging? Ja selbst Jimin und Hobi. Aber die Geschichte der beiden kennst du ja schon."
Ich nicke zustimmend. Jungkook hat mir einmal davon berichtet, wie seine Eltern von ihm verlangt haben Jimin davon zu überzeugen Hobi zu verlassen, sich an seiner Stelle eine Freundin zu suchen.

„Koo hat immer zu denen gehalten, die er liebt. Jetzt ist es an der Zeit, dass wir seine Mühen entlohnen."

Ich habe gar nicht bemerkt, dass sich Tränen in meinen Augenwinkeln angesammelt haben. Schnell wische ich sie wieder ab. Auch, wenn es keine Schande ist, während dieser Zeit Tränen zu vergießen, gönne ich den Jeons nicht diesen Sieg.

Ich werde meinen Fehler wieder gutmachen.

„Wir lassen niemanden zurück", lacht Namjoon und legt tröstend einen Arm um meine Schulter.

„Aber wir müssen uns beeilen. Die Anstalt verändert ihn bereits."

Mirror Demon | Taekook Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt