Es verging nicht viel Zeit, vielleicht eine Nacht, als die Tür zum Zellentrakt mit einem Knall aufflog und schwere Schritte auf meine Zelle zuliefen. Eilig richtete ich mich auf und verbannte jeden Zweifel über meine getroffene Entscheidung. Ich straffte die Schultern und stellte mich gerade auf, in Erwartung auf die kommende Person.
Bevor sich meine Augen an das grelle Licht der Fackel in der Hand meines Gegenübers gewöhnt hatten, war mir schon eines klar: Es war nicht Nymeth. Die schweren Schritte, sowie der dunkle Umhang, der Lederharnisch und der von Dolchen und einem Kurzschwert behangene Gürtel gehörten nicht zu ihr.
Langsam sackte mir das Herz in die Hose. Erst als sich meine Augen an das Licht gewöhnten und die Person quälend langsam die Kapuze abnahm, erkannte ich sie. Die Erkenntnis raubte mir den Atem.
Ich zischte. "Saphir?!"
Schweigen.
Das konnte nichts Gutes bedeuten. War sie hier um mich zu töten? Hatte sie bereits jemanden getötet? Ihre Kleidung war sauber, ich konnte keine Blutflecken erkennen, dennoch zog sich ein Knoten in meinem Magen zusammen. Mit Zittern in der Stimme setzte ich erneut zum Sprechen an: "Was tust du hier?"
Offensichtlich spürte sie meine Unbehaglichkeit, denn sie schenkte mir ein Lächeln. "Ich werde dir helfen", sagte sie.
Ich schluckte Angst herunter: "Holst du mich hier raus? Bringst du mich zum Meister? Wie habt ihr mich gefunden? Was ist mit Ny... mit dem Mädchen geschehen?" Fragen sprudelten aus mir heraus. "Ich habe schon wieder versagt", fügte ich kleinlaut hinzu.
Unwillkürlich lachte Saphir auf. "Keine Sorge, Alena. Ich will dir helfen. Aber nicht so wie du denkst. Ich will dir helfen, dich vom Schwur zu befreien und vom König zu lösen."
Mein Herz sackte noch tiefer in die Hose. Was? Wieso sollte sie das wollen? War das nur ein Trick um mich zu testen? "W...Was?", stammelte ich. Amüsiert kicherte Saphir immer noch. "Du hast es immer noch nicht verstanden", neckte sie mich und griff nach einem Schlüsselbund an ihrem Gürtel. "Was machst du da?", fragte ich verwundert. Selbstsicher schloss sie die Tür auf und trat zu mir in die Zelle. Sie stand nur noch wenige Zentimeter von mir entfernt. Wenn sie mich töten wollen würde, wäre jetzt der Zeitpunkt. Unauffällig sah ich zu den Dolchen an ihrem Gürtel. Aber Saphir folgte meinem Blick und grinste. "Vergiss es", sagte sie, während sie mich umrundete und die Verankerung der Handeisen aus der Wand entfernte. Die Handeisen selber, lies sie an meinen Händen. Ich sah sie weiterhin verwirrt an. Was passierte hier gerade?
"Komm, wir machen einen Spaziergang", befahl Saphir und schritt los zur Kerkertür. Fassungslos blieb ich in der geöffneten Zelle stehen. "Kommst du?", rief sie mir zurück. Misstrauen bildete sich in mir. Was erwartete mich außerhalb der Zellen? Wieso hatte ich die Handeisen noch um? Was ging hier gerade vor? Was hatte Saphir mit alle dem zu tun? Langsam setzte ich mich in Bewegung und trottete einen Fuß vor den anderen. Es tat gut, sich mehr als einen Schritt in eine Richtung bewegen zu können. Ich ließ meinen Blick ein letztes Mal durch den Kerker schweifen. Von der Kreatur in der Zelle gegenüber war nichts zu sehen und die beiden anderen Zellen waren leer. Unsicher ging ich auf Saphir zu. Sie sah aus wie immer und macht auch den gleichen Eindruck wie sonst, trotzdem verhielt sie sich so komisch. Obwohl es zu ihrem komischen Verhalten der letzten Zeit passen würde.
Langsam wurde Saphir genervt. "Komm jetzt!", befahl sie und stieß die Kerkertür auf. Dahinter befand sich eine Wendeltreppe. Ich erklomm hinter Saphir die Stufen und fand mich in einem Foyers wieder. In eine Richtung war eine große Doppelflügeltür, wahrscheinlich nach draußen, in die Andere war eine etwas kleinere Tür, die in das Treppenhaus führte, welches ich bereits kannte. Wir waren in der Villa Solitra. Bisher war alles ruhig und verlassen. Saphir stieß die Doppeltüren auf und vor uns erstreckte sich ein großer, ummäuerter Garten, der Garten den ich bereits ausgekundschaftet hatte. Links und rechts der Tür standen zwei Wachposten, die mich mit Argusaugen fixierten. Die hoch am Himmel stehende Sonne blendete mich und die Geräusche der Natur, aber auch die der Stadt drangen an meine Ohren. Gerüche von Blumen und frischem Brot stiegen mir in die Nase. Es war schön, endlich etwas anderes zu riechen und zu sehen, als den feuchten, dunklen Kerker.
Schweigend gingen wir eine Runde durch den Garten. Es war der Innenhof der Villa und somit gut geschützt vor neugierigen Blicken von draußen. In der Mitte stand ein kleiner Teich mit drei golden glänzenden Fische. Darum herum standen einige Bänke. In der Außenmauer waren massive Türen eingelassen worden, die von Soldaten bewacht wurden. So als ob man etwas draußen halten wollte. Oder drinnen. Die Banner unter dem die Soldaten dienten kannte ich nicht. Es sah eher aus, als wären es Söldner. Die ganze Villa wirkte wie eine Abkapselung von Dalra, mitten in der Stadt. Dabei machte sie von außen einen ganz unscheinbaren Eindruck. Doch außer Saphir, einigen Wachen und mir konnte ich keine anderen Personen ausmachen. Irgendwann ergriff ich das Wort und sah Saphir fordernd an. "Was passiert hier gerade?" Wieder lächelte Saphir nur und zog mich mit auf eine der Steinbänke. Ungeduldig setzte ich mich neben sie und legte meine gefesselten Hände auf meine Beine, in Reichweite einer ihrer Dolche.
Endlich fing Saphir an zu reden, doch es wirkte als wüsste sie nicht richtig, wo sie anfangen sollte. "Also... Du spürst es oder? Die fühlst deine 'Verbindung' zu Nymeth, oder?" Ich zuckte leicht zusammen. "Woher kennst du Nymeth? Was hast du damit zu tun?" Saphir sah mich kritisch an. "Ich erkläre es dir gleich. Beantworte mir erst meine Frage." Ich nickte: "Ja." "Aber du fühlst auch meinen Vater? Die Bindung durch den Schwur?" Erneut nickte ich. Saphir schien nachzudenken. "Dir sollte bewusst sein, dass du nicht mehr zurück kannst.", stellte sie fest. Zögernd antwortete ich: "Ich weiß."
Saphir schien mich sich zu kämpfen, sie wusste nicht, wie sie den nächsten Satz formulieren sollte. "Das Nächste was ich dir sage ... Ich weiß nicht ..." Sie atmete tief durch. "Ich weiß nicht, wie du reagieren wirst, Alena. Aber wir haben nicht mehr viel Zeit. Offiziell suche ich schon nach dir, weil du verschwunden bist. Der Meister ist sehr wütend. Aber ... ich muss dir so viel erzählen. Ich kenne Nymeth schon sehr lange. Und ich diene meinem Vater schon sehr lange nicht mehr. Ich verabscheue seine Methoden, seine Morde und seine Art und Weise das Land unter Kontrolle zu halten. Aber umso schlimmer ist sein Bruder, der König des Lichts. Er ist ein viel größerer Barbar. Und als ich Nymeth damals kennenlernte, rekrutierte sie mich für die Rebellion." Ich zischte Luft aus meinen Lungen. Was? Doch ich ließ Saphir weitersprechen. Sie erzählte mir gerade von ihrem Hochverrat. "Ich habe keinen seiner Aufträge ausgeführt. Stattdessen rekrutierte ich die Leute für die Rebellion. Unser Ziel ist es, beide Könige zu stürzen und das Land wieder zu vereinen. Unter der Regierung einer Großkönigin. Unter mir." Ich keuchte. Was Saphir mir da gerade erzählte ... das musste ich erstmal verdauen. Mir war nie bewusst, dass Saphir Ambitionen auf den Thron hatte, oder dass sie ihren Vater so verabscheut. Ich blieb stumm. "Das ist Hochverrat.", sagte ich. "Ich weiß", antwortete sie. "Aber hast du den nicht auch schon längst begangen?", konterte Saphir.
Lange Zeit sagte ich nichts und dachte nach. Saphir saß schweigend neben mir. "Was hat das mit mir zu tun? Und welche Rolle spielt Nymeth?" Sie lächelte wissend. "Ich mag dich, Alena. Du bist wie eine Schwester für mich. Genauso wie Nymeth. Ich habe euch zusammen gesehen, schon lange, bevor du diesen verdammten Schwur erneut geschworen hast. Ich weiß, dass ihr zusammengehört. Ich glaube an die wahre Liebe, so wie eure eine ist. Und ich weiß auch, dass du eine große Hilfe bei der Befreiung der Königreiche wärst. Deshalb werde ich dir helfen. Euch helfen. Wir werden eine Lösung finden, den Schwur ein für alle Male zu brechen."
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Der Dunkle Thron
FantasyWas wäre, wenn ein einzelner Mensch dich deinen Lebenssinn überdenken lässt? Wenn die pure Existenz dieser Person die Grundlagen deines Lebens umwirft? Mit dieser Wendung hat Alena Eshrava, besser bekannt als 'der Schatten', nicht gerechnet. Sie m...