10 | Das Gedenkfest

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Trompeten kündeten das Eintreffen wichtiger Gäste an, während das Fest schon in vollem Gange war. Prunkvolle Kutschen zogen die Straßen entlang, eskortiert von stattlichen Wachen.
Überall in den Straßen und Gassen waren Barden, Zigeuner, Händler und allerlei Menschen und Wesen, die man sonst nicht zu sehen bekam. Es war eindrucksvoll. Gerüchten zufolge, werden die Zigeuner von einer elfischen Kurtisane begleitet, mit der man für ein Vermögen eine unvergessliche Nacht verbringen kann. Barden sangen über eben jene und über die Abenteuer, die sie erlebten. Selbst die Bettler und Taschendiebe schlenderten sorglos übers Fest in der Hoffnung, etwas mehr Beute zu ergattern als zu normalen Zeiten.
Stündlich kamen neue Kutschen durch die großen Tore der Stadt gefahren und wurden von Trompetenspielern begrüßt.
Die Stadt war bunt geschmückt und überall hingen Banner Dalras aber auch die anderer Provinzen. Ganz Dalra war in eine magische Atmosphäre getaucht. Reiche und Adelige, aber auch Arme und Bauer feierten alle den gleichen Grund: Das Gedenken an den großen König.

Ich ließ meine Beine an der Hauswand herabbaumeln und beobachtete vom Dach aus das wilde Treiben. Auf dem Marktplatz demonstrierte gerade ein Feuerkünstler seine magischen Talente. Wenn man allerdings genau hinsah und ein Auge für Magie hatte, sah man, dass der Mann nur trickste, indem er einige Flüssigkeiten heimlich schluckte. Dennoch war die Menge begeistert.
Ich lächelte. Normalerweise waren Feste nichts für mich. Und gerade diesmal war ich noch angespannter. Denn die Umstände des geheimes Auftrages vom König beschäftigten mich. Ich hatte bisher noch keine Informationen und hatte noch keinen Fortschritt erzielt. Wer auch immer der Verräter war, er hielt sich bedeckt. Doch heute hatte ich erstaunlich gute Laune und entschied mich dazu in der Nacht mit den anderen zusammen den großen König zu ehren.

Tatsächlich hatte ich heute eine enge Hose und eine offene Bluse an, statt meines Anzuges. Denn heute war ich keine Assassine. Ich war auch keine Adelige. Heute wollte ich einfach mal Niemand sein und kleidete mich dementsprechend. 
Zur Sicherheit hatte ich dennoch ein Messer im Stiefel und eins unter der Bluse. Man konnte nie vorsichtig genug sein.
Voller Vorfreude atmete ich tief ein und sprang vom Dach.

Langsam schlenderte ich an den Ständen entlang und lehnte verschiedenste Angebote von aufdringlichen Händlern ab. Es gab alles. Holzfiguren des großen Königs, Gewürze und wenn man den Händler richtig fragte, auch Gifte, Feuerwerkskörper, Fleisch von unbekannten Tieren und Spezialitäten aus allen Provinzen.
Vor dem Ständen standen Adelige, welche über neusten Tratsch lästerten oder junge Frauen, welche amüsiert ‚Liebestränke' kauften. Ich grinste. Wie naiv. Manchmal schoss es mir durch den Kopf, dass ich auch solch ein Leben geführt haben könnte. Dass ich auch eine Adelige hätte sein können, die unbesorgt über Marktplätze streift und abends zu ihrer gezwungenen Ehe nach Hause käme. Doch jedes Mal war ich froh, dass dem nicht so war. Dass ich aus unersichtlichen Gründen entführt wurde und mit einem besseren Leben bereichert wurde.

Gedankenverloren ging ich an einer Kutschenkolonne einiger Zigeuner entlang. Ein beißender Geruch von Moschus stach mir in die Nase und meine Augen tränten.
„Alena Eshrava!", rief eine Stimme und ich drehte mich blitzschnell um.
Eine alte Frau mit Buckel und runzeligem Gesicht stand an einem der Wagen gelehnt und grinste mich an, während sie eine Pfeife rauchte.
Ich eilte auf sie zu.
„Wie hast du mich genannt?", zischte ich.
Sie grinste immernoch und zog genüsslich an ihrer Pfeife. Dann antwortete sie. „Alena Eshrava."
„Woher kennst du diesen Namen?", fragte ich entsetzt.
Noch immer grinste sie, diesmal nur böser. „Meine Teuerste, schau mich an. Ich bin über hunderte von Jahren alt. Und wenn du wissen willst, was ich noch alles über dich weiß, dann komm mit rein."
Ohne eine Antwort abzuwarten betrat sie die Wagenburg und betrat einen der hinteren Wagen, dessen Decke aussah, als würde sie jeden Moment einstürzen.
Verdutzt und wütend stand ich da.
Diese Frau hatte mich bei meinem Geburtsnamen genannt, den niemand außer mir und einigen Vertrauten kannte.
Namen verliehen Macht. Namen hatten Kraft. Und ich wollte es nicht risikieren, dass die alte Frau solch eine Macht über mich hatte.
Lange überlegte ich. Die alte Frau musste eine Hexe sein, anders war es nicht zu erklären. Vielleicht wusste sie auch etwas über meine Vergangenheit und Zukunft. Also ließ ich mich darauf ein und betrat ebenfalls die Wagenburg. Sofort schien sich die Luft zu verändern und stickiger zu werden. Viele Augenpaare beobachteten mich als wäre ich ein Fremdkörper. Zielstrebig ging ich auf den Wagen der Hexe zu und ignorierte die neugierigen Blicke. An einem Wagen stand die Tür offen und als ich einen Blick hinein erhaschte, blieb die Welt stehen. Vor einem Spiegel stand die schönste Frau die ich jemals gesehen habe. Solange man es als Frau bezeichnen konnte. Es war eine Elfe mit reiner Haut, schneeweißen Haaren und langen Ohren. Ihre Bewegungen waren elegant und ihr Körper hatte keinen einzigen Makel. Gerade als ich den Wagen passiert hatte, drehte sie sich um und giftgrüne Augen ruhten auf mir. Sie leckte sich die spitzen Zähne. Ein Schauer überkam mich.

Ich betrat den Wagen ohne zu klopfen. Der Moschus Geruch wurde beinahe unerträglich und die einzige Lichtquelle war eine alte Öllampe, die im hinteren Teil des Wagens stand. In der Mitte stand ein kleiner Tisch mit einer Kristallkugel. Über dem Tisch hingen Hühnerbeine und Kräuter aller Art. In einer Vitrine entdeckte ich Fangzähne.
Am Tisch saß bereits die Hexe und wartete auf mich. Wortlos stellte ich mich ihr gegenüber hin.
„Wenn du etwas von mir willst, kostet das 100 Goldstücke." knurrte sie mir ins Gesicht.
Ich riss die Augen auf. 100 Goldstücke waren ein halbes Vermögen. Soviel bekam ich für vier schwere und gelungene Aufträge. Sie grinste wieder ihr ekelhaftes Grinsen und diesmal vernahm ich den vermoderten Mundgeruch ihrerseits.
Ich kramte in meiner Tasche und knallte das Säckchen mit den Goldstücken auf den Tisch.
„50 werden dir reichen oder ich erzähle meinem Meister, dass ihr eine Elfe dabei habt. Anscheinend weißt du ja wer ich bin und auch welchen Nutzen mein Herr aus einer Elfe ziehen könnte." Die Hexe starrte mich kalt an. „Er würde sie versklaven und dazu zwingen sie einzigartige Waffen herzustellen. Und das würde ihr sämtliche Magie rauben." Ich wusste, dass ich Recht hatte. Ebenso wusste ich, dass die Elfen tatsächlich mit Hilfe ihrer Magie atemberaubende Waffen herstellen konnten. Aber ich wusste auch, welches Schicksal sie dann erleiden würden. Wenn es nicht sein müsste, würde ich dem Meister nichts von der Elfe erzählen wollen. Waffen hatten wir immerhin genug.
Die Hexe fletschte die Zähne, nahm aber den Beutel an. „Nun gut, wo wollen wir anfangen?", fragte sie während sie die Kristallkugel wegstellte. Ich antwortete nicht.
„Was willst du wissen?", zischte sie deutlich genervt. "Alles. Alles was du über mich weißt. Vergangenheit, Zukunt, alles." Ein Plan baute sich in meinem Hinterkopf und verschmitzt musste ich lächeln.

"Nun gut. Alena Eshrava, Tochter von Herzog Denar Eshrava und Herzogin Meridal Eshrava. Deine Vergangenheit ist fest, ihr habt nicht nur einmal einen Blutsschwur geschworen. Gebrochen durch Liebe, aber gebunden durch Blut. Liebe ist die stärkste Magie, das hast du bereits erfahren. Doch deine Zukunft ist ungewiss. Eine einzige Entscheidung wird deine gesamte Zukunft bestimmen. Sie bestimmt über dein Leben oder deinen Tod."

Gelassen lehnte sich die alte Hexe zurück und zündete sich eine Pfeife an. "Verlasst jetzt meinen Wagen", murmelte sie. Geschockt stand ich da. "Das wars schon?", fragte ich sichtlich wütend. "Ich habe 50 Goldmünzen bezahlt für etwas, was ihr jedem dahergelaufenem Adelsmädchen erzählen würdet? Und für etwas, was ich längst weiß und mir gar nichts bringt? Ihr seid eine Hexe, daher wisst ihr diese Dinge über mich! Doch du bist mir ein zu hohes Risiko". Ich zog einen Dolch aus meinem Hemd. "Meine Teuerste, ich bin über 100 Jahre alt. Mich tötet so schnell keiner.", lachte sie finster und ihre schwarzen, spitzen Zähne kamen zum Vorschein. Vielleicht war sogar sie die Verräterin. Vielleicht spionierte sie uns schon seit längerem aus und teilte sie jemandem vom lichten Reich mit. Mein Blick fiel auf die Kristallkugel. Doch als ich die Situation realisierte, war es schon zu spät. Es war eine Kommunikationskugel! So musste sie jemanden, der das Gegenstück dazu hatte, Informationen weiter getragen haben. Ihre langen Fingernägel hatten die Kugel bereits umschlossen und sie murmelte etwas hinein. Die Kugel leuchtete kurz blau auf, bevor sie von der Hexe am Boden zertrümmert wurde. Ein böses Grinsen spielte auf ihrem Gesicht. Blitzschnell versenkte ich meinen Dolch in ihrem Herz. Mit einem markerschütternden Schrei ging sie zu Boden. Dunkles Blut sickerte aus ihrer Brust.

Mein eigenes Herz schlug mir bis zum Hals. Mein Puls rauschte in meinen Ohren. Ich sah, wie die Hexe ihre letzten Atemzüge tat, bevor sie das Reich der Lebenden verließ. Überstürmt schnappte ich mir mein Säckchen voller Gold. Glas knirschte unter meinen Schuhen. Eilig verließ ich den Wagen. Vermutlich erhielt gerade jemand wichtige Informationen über die Kommunikationskugel über mich. Scheiße.


Der Dunkle ThronWo Geschichten leben. Entdecke jetzt