22 | Galgen

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Lange nachdem das Treffen beendet war, saßen Nymeth und ich noch in zwei alten Sesseln im Ratssaal. Krol war vor die Tür gegangen. Ich genoss es, meine Zeit alleine mit ihr zu verbringen, ich fühlte mich so viel wohler in ihrer Gegenwart. Wir sprachen nicht viel und wenn dann nur über belanglose Dinge. Doch immer wieder holte mich das schlechte Gewissen ein, sodass ich es doch ansprechen musste. "Nymeth, es tut mir Leid. Wirklich. Die ganze Sache mit Adeline und dass ich versucht habe dich zu töten. Es fühlt sich mittlerweile alles einfach so falsch an. Auch, wenn ich Erinnerungslücken habe und nicht alles für mich Sinn ergibt, weiß ich eines. Ich gehöre zu dir." Freude breitete sich in ihrem Gesicht aus und sie erhob sich elegant aus ihrem Sessel und ging frech auf mich zu. Auch ich erhob mich mit wackligen Beinen. Ihr Gesicht war meinem ganz nahe. Ich konnte ihren Atem auf meiner Haut spüren und es machte mich ganz verrückt. Hitze schoss in meine Wangen und mein Herzschlag beschleunigte sich. "Ich liebe dich.", flüsterte sie und legte vorsichtig ihre Lippen auf meine. Es war ein vorsichtiger Kuss, zurückhaltend und zögernd. Doch es war der Schönste, den ich jemals hatte. Gänsehaut breitete sich am ganzen Körper aus und ihre weichen Lippen passten perfekt auf meine.

Abrupt zog ich mich jedoch von ihr zurück, als meine sensiblen Ohren Schritte vor den Flügeltüren wahrnahmen. Sekunden später klopfte es an der Tür, welche direkt daraufhin aufgestoßen wurde. Saphir betrat den Raum und grinste frech, als sie uns dort stehen sah. "Störe ich?", lachte sie. Freudig ging ich auf Saphir zu und umarmte sie. Anschließend tat Nymeth das Gleiche. Als ich das blaue Auge in ihrem Gesicht entdeckte, verdüsterte sich meine Stimmung. "Was ist passiert?!", knurrte ich. Unwohl drehte sich Saphir weg. "Nichts, alles gut." Ich packte sie am Arm und sah ihr in die Augen. "Saphir, wer war das?" "Mein Vater.", sagte sie knapp. "Scheiße...", murmelte Nymeth. "Es wird immer schlimmer. Er ist wütend, dass ich erfolglos mit meiner Suche nach dir bin. Auch Sithis und die schwarze Hand hat euch bisher noch nicht gefunden, aber es wird nicht mehr lange dauern. Die Situation in der Burg wird immer angespannter. Die schwarze Hand führt Durchsuchungen in einigen Wirtshäusern durch und war zuletzt auch im Draft. Die Bürger sind besorgt und in Aufruhr. Sie wissen nicht, was geschieht. Und der König ... er gibt mir die Schuld an deinem Verschwinden und Verrat an ihm.", düster endete sie mit ihrer Berichtserstattung.

"Du darfst da nicht mehr zurück hingehen.", stellte ich fest. Doch Saphir schüttelte mit dem Kopf. "Doch, ich muss. Ich kann euch als Einzige Informationen liefern. Doch ihr müsst bald verschwinden. Der König zwingt mich an den nächsten Durchsuchungen teilzunehmen. Es wird nicht mehr lange dauern, bis er hier in Villa Solitra sucht. Ich habe lange versucht ihn von diesem Ort abzulenken und behauptet, dass dies eine andere Villa sei, doch er ist nicht dumm..." "Saphir ...", setzte Nymeth zum Reden an, doch verstummte wieder. "Ich muss mit Pleia reden. Ich werde unsere Abreise organisieren. Danke, Saphir.", sagte Nymeth und verließ gehetzt den Raum. "Du musst das nicht tun", sagte ich zu Saphir. "Ich weiß, aber es ist das Nützlichste was ich tun kann. So kann ich sie von Innen heraus angreifen. Außerdem habe ich eine Kommunikationskugel um mit euch zu reden." "Danke. Für alles.", flüsterte ich. Mit einem Lächeln nahm mich meine Freundin in den Arm. Ich erwiderte die Umarmung. "Ich muss jetzt los. Sonst fällt es auf, dass ich weg bin", brummte sie und ließ mich ohne weitere Verabschiedung alleine im Raum zurück.


Voller unreifer Gedanken trat auch ich vor die Tür den Ratsaals und wartete darauf, dass Krol mich in Empfang nahm. Doch er war weg. Verwundert sah ich mich um. Ich war ganz alleine im Flur. Vielleicht hatte Nymeth ihn mitgenommen, schoss es mir durch den Kopf. Ein dummer und sehr törichter Gedanke formte sich in meinem Kopf. Ich wollte wissen, was in der Stadt vor sich ging. Ohne jegliche Rationalität schlich ich mich auf das Fenster zu, durch das ich einst in die Villa eingebrochen bin. Unauffällig zog ich mir einen herumhängender Mantel über die Schulter und warf mir die Kaputze über den Kopf. Das Fenster war immer noch leicht geöffnet, sodass ich vom Fenstersims aus ohne Anstrengung auf den Mauervorsprung springen konnte. Sofort erfasste mich ein kalter Windhauch der frischen Abendluft. Ich erzitterte. Einen Moment lang zweifelte ich an meinem überaus dummen und unüberlegten Vorhaben, doch die Neugier überkam mich. Ich wollte wissen, wie schlimm es wirklich war. Mit einem Keuchen ließ ich mich an der Mauer herunter und huschte unentdeckt durch die sauberen Gassen des Adelsviertels. Mein Weg führte mich durch die Straßen zum Marktplatz, wo ich bisher nichts auffälliges beobachten konnte. Es herrschte ein reges Treiben, lediglich den Wachen war es anzusehen, wie sie nervös die Gegend nach Gesichtern wie meinem absuchten. Vorsichtig zog ich die Kaputze noch tiefer ins Gesicht. Ich lehnte mich neben einige Fässer und versuchte nicht aufzufallen, während ich das Treiben beobachtete. Selbst das Draft war von hier aus zu sehen. Alles schien wie immer. Betrunkene Männer torkelten heraus, während Kurtisanen sich heimlich hineinschlichen. Gerade als ich zum Gehen ansetzen wollte, brüllte eine tiefe Stimme über den Platz: "Ruhe!". Erschrocken zuckte ich zusammen und suchte nach der Quelle der Stimme. "Ruhe!", brüllte er erneut. Auf dem in der Marktmitte stehendem Galgenpodest stand Lerin und donnerte über die Menge. Das hatte nichts Gutes zu bedeuten. "Der König sucht eine Verbrecherin. Sie ist angeklagt wegen Mordes und Hochverrat. Sie nennt sich selbst 'der Schatten'!" Ein erschrockenes Raunes und Rufe hallten über den Marktplatz. Scheiße. "Sie wird als vogelfrei anerkannt. Auf ihren Kopf sind 150 Goldstücke ausgesetzt! Jeder der Hinweise zu ihrem Aufenthaltsort hat oder sie gesehen hat, wird gut entlohnt! Wer ihr hilft oder Zuflucht gewährt wird mit gleicher Strafe bestraft. Dem Tod durch den Strick!" Lerins eisener Stimme hinterließ eine Totenstille auf dem Makrtplatz. Das Klopfen eines Hammers, der meinen Namen und Gesicht auf einem Pergament an die Pfosten des Galgens hämmerte, war das einzige Geräusch.

Ich musste hier verdammt schnell verschwinden. Es war eine sehr dumme Idee hierher zu kommen. Unauffällig schlich ich mich nach hinten weg. Die auf den Markt strömenden Soldaten beobachtend, stieß ich rückwärts gegen einen Bettler. Meine Kaputze verrutschte und gab mein Gesicht frei. Eilig zog ich die Kaputze wieder runter, doch ich wusste, dass es zu spät war, bevor er anfing zu schreien. "Hilfe! Sie ist hier! Der Schatten ist hier!" Mit einer schnellen Bewegung und einem widerlichen Knacken brach ich dem Mann das Genick. Als die Wachen an der Leiche ankamen, war ich längst weg. Ich hoffte, dass sie meinen Spuren nicht folgen konnten. Panisch lief ich einige zusätzliche Gassen entlang um meine Spuren zu verschleiern, bevor ich mit einem Satz über den Mauervorsprung und einer unsanften Landung im oberen Teil der Villa endete. Ein vorsichtiger Blick durchs Fenster verriet mir, dass mir keine Soldaten gefolgt waren. Gehetzt sah ich mich im Flur um. Er war leer. Den Göttern sei Dank. Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn und warf den Umhang wieder dort ab, wo ich ihn fand. Gerade als ich mein Zimmer betreten wollte, kam Krol die Treppen hochgestampft. "Wo warst du?", brummte er müde. Ich zog die Augenbrauen hoch und versuchte mich an einer Notlüge. "Ich habe im Ratssaal gewartet bis ich müde wurde. Da du aber verschwunden warst, wollte ich einfach alleine ins Bett gehen.", grinste ich frech. "Hmmh", antwortete er lediglich und blieb vor meiner Zimmertür stehen. "Dann gute Nacht", sagte ich, als ich die Tür hinter mir schloss und Krol sie von außen mit einem Schlüssel verschloss.

Mein Herz sackte in die Hose. Ich steckte tief im Ärger. Ich betete zu allen Göttern, dass die Soldaten mich nicht gesehen hatten. Ich hätte niemals die Villa verlassen dürfen. Ich fühlte mich hundselend. Mein Herz raste während mich die Unruhe auf und ab laufen ließ. Müdigkeit überfiel mich, doch mein schlechtes Gewissen ließ mich nicht schlafen. Bis spät in die Nacht hielt ich mich mit Muskelübungen wach, bis ich völlig erschöpft und mit dunklen Gedanken einschlief.



Nach nicht mal einer Stunde Schlaf wurde ich aus dem Bett gerissen. Irgendetwas stimmte nicht. Dieser Geruch der in meiner Nase brannte ... ich kannte ihn irgendwo her.

Es roch wie .... Feuer!

Der Dunkle ThronWo Geschichten leben. Entdecke jetzt