18 | Kerker

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Die Zeit verstrich und jeder Tag fühlte sich an wie vor vorherige. Ich schlief nur sehr unruhig auf dem spärlichen Stroh und die feuchte Luft brannte langsam in der Lunge. Langeweile plagte mich, umso mehr aber die Angst, die Wut und der Tatendrang. Unruhig tigerte ich in der winzigen Zelle auf und ab und versuchte immer wieder die Handeisen zu lösen. Doch der einzige Erfolg waren blutige Finger und ausgerissene Fingernägel.

Die einzige Konstante in meinem Tagesablauf war Nymeth, die mir erzählte, dass sie jeden Morgen und jeden Abend zu mir kam. Ich fing an, dem Mädchen etwas zu vertrauen, doch es war mir alles sehr suspekt. Dennoch hatte sie nicht gelogen, denn ich aß und trank ohne Nebenwirkungen. Mein Kopf klarte immer mehr auf und verschleierte Erinnerungen kamen ab und zu in mir hoch. Momentausschnitte von Erlebnissen spielten sich vor meinem inneren Auge ab, doch es fühlte sich jedes Mal so an, als hätte sie jemand anderes erlebt, als wäre das nicht ich gewesen.

Rastlos lief ich umher, sortierte meine Gedanken und meine Gefühle, als die Kerkertür wieder aufschlug. Sofort erkannte ich an den Schritten, wer da kam. Drei Menschen betraten die Kerker, jedoch blieben Zwei an den Türen stehen. Ein paar Füße bewegte sich direkt auf meine Zelle zu und blieb am selben Fleck wie die Male davor stehen. "Guten Abend", grüßte mich Nymeth. Sie sah bedrückt aus, während sie mich musterte. Ein seltsamen Gefühl regte sich in mir, jedes Mal wenn ich sie sah. So auch dieses Mal. Sie merkte wohl, dass ich anfing ihr zu vertrauen und erzählte mir immer etwas mehr. Normalerweise erzälte sie mir immer nur unwichtige Dinge. Wie das Wetter war oder wie sie ihren Tag verbracht hatte. Sie erwähnte nie etwas von der Rebellion oder vom König. Wahrscheinlich wollte sie mich nicht reizen. Meistens kam sie nur um meine Handgelenke zu versorgen oder um mir Essen zu bringen. Sie blieb nie lange, doch ab und zu erzählte sie mir etwas von unserer Vergangenheit. Manchmal erzählte sie Dinge, die ich schon aus den verschleierten Erinnerungen kannte, manchmal bekam ich ganz neue Sachen erzählt.

Mit der Zeit öffnete auch ich mich gegenüber Nymeth und erzählte ihr davon, dass ich sie erkannt hatte. Ich erkannte sie damals im Bauernhaus, wenn auch nur unterbewusst, genauso wie in der dunklen Gasse. Und ich sagte ihr, dass ich sie töten müsste, sobald ich die Möglichkeit hatte. Auch, wenn ich es nicht wollte. Jedoch schien sie nie überrascht zu sein über das, was ich ihr erzählte, als ob sie all das wissen würde.

Aber heute Abend war sie anders als sonst. Ich erwartete eine weitere Geschichte, doch es kam nichts. Sie ließ ihren Blick nur immer wieder über meinen Körper gleiten, mitleidig und verletzt. Ohne zu Grüßen unterbrach ich die unangenehme Stille zwischen uns: "Was ist los?". Meine Stimme war rau, als hätte ich Tage nicht gesprochen. Nymeth zuckte leicht zusammen, in Gedanken vertieft, als hätte sie nicht mit meiner Frage gerechnet. "Es ist ... nichts. Ich weiß nicht, wie wir weitermachen sollen. Was mit dir ... was mit uns geschieht. Wir haben nicht mehr viel Zeit. Deswegen muss ich ... Dinge in den Weg leiten ... Ich werde es morgen nicht schaffen zu kommen." Ich räusperte mich. Damit hatte ich nicht gerechnet. "Was heißt das?", fragte ich verwirrt. "Ich weiß es nicht", antwortete sie. Wir schwiegen. Eine Weile lang sahen wir uns wortlos in die Augen. Ich fühlte es. Ich fühlte diese Verbindung zu ihr. Auch wenn mir mein Kopf sagte, dass ich sie gar nicht kannte. Dennoch brodelte tief in mir, unter der Oberfläche vergraben, der Schwur, der meine tiefsten Gelüste kontrollierte und mich zwingen würde Nymeth zu töten. Ob ich wollte oder nicht. Ich schluckte. Dieses Gefühl, dieses unkontrollierbare Monster in mir machte mir Angst. Früher gefiel mir das Gefühl der Wut, der ausgelassenen Aggression und Dienerschaft. Doch mittlerweile hatte ich viel Zeit gehabt darüber nachzudenken. Und andere Dinge zu fühlen. Emotionen wie Vertrauen, Zuneigung und Geborgenheit. Auf eine ganz andere Art und Weise wie ich es sonst bei Saphir fühlte, denn dort spielte auch Konkurrenz immer eine große Rolle.

Ohne ein weiteres Wort machte Nymeth auf der Achse kehrt und schritt wieder zurück Richtung Tür. Ich ließ sie gehen. Kurz bevor sie durch die Pforte trat blieb sie noch kurz stehen und drehte sich um. "Alena? Wahre Liebe erinnert.", sagte sie und ließ mich alleine zurück.


Lange nachdem Nymeth gegangen war, kam ein heiseres Lachen aus der Zelle gegenüber und die Kreatur kam an die GItterstäbe gekrochen. Ich warf einen angewiderten Blick hinüber und versuchte ihn zu ignorieren. "Der Schatten ....", krächzte er. "Wisst ihr, was das bedeutet?", fügte er grinsend hinzu. Genervt gab ich mich geschlagen: "Was was bedeutet?" "Was die Hure gesagt hat. Die schwarze Hand sucht Euch, wahrscheinlich sucht der Meister höchstpersönlich nach Euch. Und es wird nicht lange dauern, bis er die Hure abgeschlachtet hat. Und danach wird er euch hinrichten lassen!". Er lachte ein widerliches, boshaften Lachen, bis er sich, ohne eine Reaktion abzuwarten, wieder in eine Ecke verkroch.

Gehetzt dachte ich nach. Er hatte vermutlich Recht. Ich war nun schon zu lange weg. Außerdem hatte ich dem Meister gesagt, dass ich vorhatte in die Villa Solitra zu gehen. Und falls ich in den Kerkern eben jener Villa nun war, würde es nicht mehr lange dauern, bis er jemanden schickte um uns abzuschlachten. Vielleicht würde er Saphir schicken, vielleicht würde er aber auch selber kommen. Eins war mir klar: Er würde auch mich töten lassen. Ich hatte nun zu oft versagt und ließ mich sogar noch gefangen nehmen. Ich war schwach und Schwäche durfte ich mir beim Meister nicht erlauben. Eventuell würde er mich sogar zwingen Nymeth zu foltern und anschließend zu töten, bevor er mich tötete. Alleine der Gedanke jagte mir mittlerweile einen Schauer über den Rücken. Viel zu sehr und viel zu schnell ist mir das Mädchen ins Herz gewachsen. Ich könnte es willentlich nicht mehr über mich bringen sie zu töten. Ich müsste nur stark genug sein um den unbrechbaren Schwur Stand zu halten.

Ich betete zu den Göttern. Ich war zwar nicht gottesfürchtig und glaubte auch nicht an deren Existenz, doch glaubte ich an eine uralte Kraft, an eine Macht, die eine schützende Hand über uns hatte. Eine Quelle des Lebens und der Magie. Ob man es nun Götter nannte oder anders. Es war mir egal. Ich betete zu allen, derer Namen ich kannte, zu Ambush, zu Iralga, zu Treanisa und zu Okilresa. Ich betete sogar zu Devolira, dem Gott der Toten und bat um Beistand, Kraft und Stärke.

Nun war der Moment gekommen, in dem ich eine Entscheidung treffen musste. Für wen ich mich entschied. Gab ich dem Leben mit Nymeth eine Chance? Oder würde ich die nächste Gelegenheit nutzen, um zu fliehen und Nymeth als Geisel zum dunklen König zu bringen?

Die Entscheidung fiel mir schwerer, als erhofft.


Der Dunkle ThronWo Geschichten leben. Entdecke jetzt