24 | Das Schiff

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Die Tage auf See vergingen unendlich langsam. Trotz dass der magische Wind die Segel stets prall füllte, kam es mir vor, als würden wir nicht voran kommen. Alles sah gleich aus. Wo man auch hinsah waren Weiten von Wasser, ohne Landmarke oder jeglichen Orientierungspunkt. Das Einzige, was sich veränderte, war der Sternenhimmel nachts über uns. Lore meinte wir kämen gut voran, doch ich konnte den Tag nicht mehr erwarten, wenn wir wieder festen Boden unter den Füßen hatten. Das ständige Geschaukel des Schiffes, sowie die nutzlose Untätigkeit trieben mich in den Wahnsinn und trübten mein Gemüt. Ich wurde wahnsinnig gereizt und marschierte täglich wie ein gehetzter Hund übers Deck. Irgendwelche Neuigkeiten aus Dalra hatten uns bisher auch nicht ereilt, was mein schlechtes Gewissen weitehrin befeuerte. Das schlechte Gewissen darüber, dass ich Schuld an dem Angriff auf die Villa war. Wäre ich niemals in der Stadt gewesen, hätten sie die Villa nicht so früh gefunden.

Die Schiffmannschaft bestand lediglich aus drei Matrosen, dem Kapitän, Larudam, Pleia, Nymeth und mir, sodass ich keine Ablenkung von den Geschehnissen hatten. Das Schiff hatte zwei große Segelmasten, die Tag und Nacht gesetzt waren. Am Heck stand der Kapitän oft auf einem Podest und drehte willkürlich am hölzernen Steuerrad. Unter Deck gab es eine Etage, in der provisorisch durch Trennwände aufgeteilte Schlafplätze mit Hängematte errichtet wurden. Zudem gab es eine, am Heck gelegene Kabine, die wir nicht betreten durften. Es wäre das Zimmer des Kapitäns. Die Küche bestand aus zwei Matrosen, die über einer winzigen Flamme Fischssuppe erwärmten oder trockenes Brot verteilten.

Nachdenklich stand ich an der Reling am Bug und starrte ins Unbekannte. Die Sonne brannte vom Himmel herunter und erwärmte meinen Körper. Die Spiegelungen der Sonne glitzerten im Wasser und Gischt spritzte mir ab und zu ins Gesicht.
Gedankenverloren wurde mir plötzlich bewusst, dass ich noch nie so weit weg von zu Hause war. Doch was war mein zu Hause? War es Dalra, wo ich aufwuchs und lernte oder Erila, wo ich geboren wurde? Ein Schauer überkam mich als mir plötzlich klar wurde, dass ich keinen Ort mehr hatte, den ich reinen Gewissens mein zu Hause nennen konnte.

Eine Stimme riss mich aus meinem Gedankenmeer. „Ist alles gut?", fragte Nymeth und lehnte sich neben mich an die Reling, den Blick gen Horizont gerichtet.

Unsere Körper schmiegten sich gegeneinander und ich nickte langsam. „Ja. Ich wünschte nur, diese Reise hat bald ein Ende. Mir geht so einiges durch den Kopf und dieses ewige Geschaukel bringt mich noch ins Grab", gab ich zu.
Sie strich mir eine Strähne aus dem Gesicht. „Das wird sie bald sein. Erzähl mir von deinen Gedanken." Ich schüttelte den Kopf. "Es sind dumme Gedanken und ich will dich damit nicht belasten, es ist alles gut.", versicherte ich ihr.
Ich konnte es ihr nicht erzählen, dass ich zuvor in der Stadt gewesen war und dass der Angriff meine Schuld war. Ich war zu feige um das zuzugeben. Ich wollte weder meine Schwäche, noch meine Unachtsamkeit mit den folgeschweren Konsequenzen preisgeben.
Achselzuckend beließ Nymeth es bei der Antwort und leistete mir schweigsam Gesellschaft.
Ihre Nähe tat mir gut. Ihre Präsenz beruhigte mein Gedankenchaos, doch ein Gedanke wollte nicht verschwinden. Jede wunderbare Sekunde die sie mit mir verbrachte, befeuerte mein schlechtes Gewissen, sodass ich es irgendwann herausplatzte. "Ich war an dem Abend vor dem Angriff in der Stadt und wurde gesehen." Mein Herz raste und mein Atem war schwer.
Schweigsam drehte sie sich quälend langsam zu mir um. "Aber ich bin weggekommen, ohne dass sie sahen wohin ich floh. Dachte ich zumindest...Nymeth, der Angriff war meine Schuld.", stammelte ich verlegen und versuchte mich zu rechtfertigen, versuchte irgendwie die Schuld von mir wegzuschieben. Auch wenn mir klar war, dass es meine Schuld gewesen ist.
„Nein", sagte sie schließlich.
„Es tut mir so Leid...", unterbrach ich Nymeth.
„Nein. Ist es nicht. Saphir hatte mich einige Minuten vorher kontaktiert und mir gesagt, dass der Angriff seit Tagen genau durchgeplant wäre. Sie selber wurde aber erst dann informiert. Daher konnte sie mir auch von Wegen erzählen, wo keine Wachen postiert waren. Nur deswegen konnten wir entkommen. Es ist nicht deine Schuld. Ich wollte zu dir kommen in der Nacht und dich holen, doch Saphir fand mich vor den Soldaten und brachte mich weg. Sie beautragte Krol dich zu holen.
In dieser Nacht ist soviel Unrecht und Leid geschehen. Doch es war nicht deine Schuld. Ich danke dir aber für deine Ehrlichkeit.", hauchte sie gegen Ende und eine Träne fiel von ihrer Wange auf die rauen Holzplanken. Die Erleichterung fühlte sich an, als hätte jemand eine Tonne Gewichte von meinen Schultern genommen.

Eine Weile lang herrschte Stille zwischen uns. Nymeths warmer Körper stand dicht neben mir und vorsichtig legte ich meine Hand auf ihre. Unsere Finger verschlossen sich und ein Kribbeln durchfuhr meine Hand. "Kannst du Saphir kontaktieren?", fragte ich neugierig. "Ich kann mit meiner Magie ihre Kommuikationskugel aktivieren. Allerdings bin ich keine gute Magische, deshalb kann ich keine langen Nachrichten überbringen. Zudem müsste Saphir in der Nähe ihrer Kugel sein und ungestört. Wenn uns jemand zuhören würde, würde das ihren Tod bedeuten. Daher hatten wir uns einst darauf geeinigt, dass nur sie mich kontaktiert. So wäre es sicherer." Ich nickte. Saphir und Nymeth hatten schon so viel durchgeplant, so viel durchdacht. Eine weitere Frage bohrte sich in meinen Geist, die unbedingt gestellt werden musste. "Was hat dieser Angriff der Drakis damit zu tun?" Unbehaglich zog Nymeth die Hand weg. Sie atmete tief durch und antwortete mir schließlich seufzend. "Die Drakis. Sie kämpfen auf unserer Seite. Auf der Seite der Rebellion. Sie sind ehemalige Menschen, dennoch rational denkende Wesen. Durch ihre Art wie sie aussehen und was jedem einzelnen Draki zustieß, hat sie aus dem Land verbannt. Sie haben kein zu Hause, kein Land. Sie sind vogelfrei. Also hat Saphir ihnen ein Stück Land versprochen, wenn sie Großkönigin ist und die Drakis uns im Kampf unterstützen. Doch leider sind sie unberechenbar. An dem Abend wollten wir einige Rebellen Mitglieder, sowie sieben Drakis in die Festung einschleusen, um sie von innen zu infiltrieren. Doch die Drakis hatten einen eigenen, dummen Plan. Sie dachten, dass sie mit einem vernichtenden Schlag einfach die Soldaten und anschließend den König töten könnten. Aber keiner hatte mit dir gerechnet. Und mit Saphir. Selbst sie war überrascht von dem Angriff. Es sollte keiner verletzt werden an dem Tag, keiner sollte sterben. Seitdem ist unser Verhältnis zu den Drakis sehr ... angespannt." Erneut nickte ich nur. "Ihr habt das alles schon lange geplant, oder?", fragte ich nach.
„Auch du warst mal begeistert von der Idee einer Großkönigin.", lächelte Nymeth.
"Ich finde die Idee gut. Doch ich habe Angst davor, was sie kosten wird.", gab ich zu. "Mach dir keine Sorgen. Am Ende wird alles gut. Dafür werden die Götter schon sorgen.", erwiderte sie und schmiegte sich eng an mich. Die Götter. Wer wusste schon, ob sie uns beistanden oder nicht. Dennoch sand ich ein stummes Gebet an Okilresa, dem Gott des Meeres und bat ihn um eine ruhigerere Überfahrt.

Eine Weile noch standen wir dicht aneinander und beobachten wie die Sonne am Horizont kratzte, bis sie schließlich unterging.
Das Meer wurde dunkel und die Wellen die gegen das Schiff schlugen fühlten sich schwächer an.



Nymeth nahm meine Hand: „Ich mag die Nacht. Besonders diese Nacht." Der Mond schien voll auf uns hinab und das Schiff schaukelte nur noch ganz sanft im Wellengang. Man hörte ab und an mal ein leises Knirschen vom Holz unter den Klängen des Meers, aber ansonsten war es still.
„Siehst du die Sterne?"
„Ja", flüsterte ich ihr entgegen.
„Sie sind ein Wunder. Keiner weiß, was das ist. Vielleicht sind es Götter die uns beobachten, vielleicht sind es aber auch nur Täuschungen.
Ich fühle mich immer so klein und unbedeutend wenn ich die Sterne betrachte.", murmelte Nymeth in den Nachthimmel.
„Du bist nicht unbedeutend. Vorallem nicht für mich.", sagte ich fast so leise, dass sie es nicht mehr hören konnte.
Nymeth drehte ihren Kopf zu mir, grinste und schaute mir tief in die Augen. „Du bedeutest die Welt für mich."
Die Sterne spiegelten sich in ihren wunderschönen Augen und wir blickten uns eine Weile lang schweigend an. Ich spürte ihre Hand unter meiner und ich fühlte ihre Körperwärme. Ihre Nähe. Ihre Präsenz.
Plötzlich kam sie mit dem Kopf näher und schloss ihre Augen. Instinktiv tat ich das gleiche und schloss die Lücke zwischen unseren Lippen.
Es war das schönste Gefühl, was ich jemals gefühlt hatte. Wir waren alleine, der Mond schien auf uns beide hinab und die Welt schien für einen Moment still zu stehen. Selbst das ewige Schaukeln des Schiffes hatte abgenommen.
Ich schmeckte ihre Lippen, ihre Haut und ein Feuerwerk explodierte in mir. Ein Feuerwerk voller Liebe und Leidenschaft, aber auch voller Schmerz.

Der Dunkle ThronWo Geschichten leben. Entdecke jetzt