52.) Es wird schlimmer

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„Severus! Severus, mach auf!", rief Beth ungeduldig und klopfte erneut an seine Tür.

Sie hatte es endlich herausgefunden! Zwei Wochen lang hatten sie quasi im Dunkeln getappt und endlich war ihr die Lösung eingefallen, als ob ein Schleier sich von ihren Augen gehoben hätte.

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Sie saß an ihrem Schlagzeug. Im Hintergrund erfüllte leichte Klaviermusik den Raum. Mangels eines Partners, hatte sie notgedrungen mit einem Playback vorliebgenommen, um etwas zu spielen, ohne nur den Rhythmus hören zu müssen.

Die letzten Wochen und Monate hatte sie erst entdeckt, wie sehr ihr das Musizieren gefehlt hatte.

Nach Marks Tod hatte sie es nicht geschafft, sich an ihr Schlagzeug zu setzen. Zu sehr erinnerte sie alles an ihn, jede Melodie, jeder Rhythmus, der Anblick seiner Gitarre.

Aber nach Silvester hatte sie das unbändige Verlangen erfüllt, wieder selbst Musik zu erschaffen. Und als sie ihre Drumsticks in die Hände genommen hatte und unsicher die ersten Rhythmen erzeugte, war es, als ob ein Teil von ihr, den sie verloren hatte, wieder bei ihr war.

Musik war von jeher etwas gewesen, das ihr Innerstes erfüllte. Es durchdrang sie. Melodien konnten in ihr eine Saite anschlagen, die ihren ganzen Körper erzittern ließ. Sie brachten sie zum Lachen, zum Weinen, versetzten sie in Trauer oder lösten ein unerklärliches Glücksgefühl in ihr aus. Sie unterstützen sie, leiteten sie.

Mark hatte das nie recht verstanden. Er spielte selber gerne, aber seine Verbindung war anders. Ein Film lebte für sie nur durch die Musik. Es reichte, wenn eine Szene mit der passenden Melodie untermalt war, und sie konnte heulen wie ein Schlosshund. Oder glücklich sein. Mark hatte darüber immer gelächelt und den Kopf geschüttelt, wenn sie nach den ersten Noten bei einem Lied mitsingen konnte, das sie monatelang nicht mehr gehört hatte. Er hatte nie verstanden, wie man sich so etwas Überflüssiges abspeichern konnte wie hunderte von Liedtexten. Sie dachte manchmal selbst daran, was man stattdessen alles Sinnvolles im Kopf haben könnte. Aber im Grunde wollte sie es nicht anders haben. Musik sprach zu ihr. Und so fühlte sie sich, als ob sie wieder komplett war, nachdem sie die Musik wiedergefunden hatte. Nicht die, die sie nur hörte, aber die, die sie selbst erschuf.

Während sie die langsamen Töne eines Stückes erklingen ließ, konnte sie ihre Gedanken frei wandern lassen.

Und wie so oft glitten sie zu ihrem Trank. Und zu Severus. Ihre Beziehung hatte sich seit Neujahr so verändert. Sie war so leicht, so ungezwungen. Obwohl sie selten über Privates sprachen, dafür war Severus viel zu verschlossen, hatten sie zu einem gegenseitigen Verständnis gefunden, bei dem sie sich manchmal ohne Worte verstanden. Sie schienen auf die gleiche Art zu denken und es machte unendlich viel Spaß, wenn die Idee des einen durch den anderen fortgeführt und weiterentwickelt wurde, wie sie sich gegenseitig die Vorlagen dafür lieferten, immer weiterzukommen.

Und die körperliche Nähe ... Beth genoss diese Momente so sehr, in denen sie Severus nah war. Seine Wärme, die Stärke und Geborgenheit, die von ihm ausgingen. Sie hatte das Gefühl, jeder dieser Momente umgab sie mit einem Schutz, der alles Böse von ihr fernhalten konnte. Es war wie bei Harry und doch anders. Intensiver. Die Freundschaft mit Severus bedeutete ihr immer mehr. Sie war nicht so leicht, einfach und oft auch sorglos wie mit Harry, sondern tiefer, eindringlicher, als ob ihr Innerstes mit Severus im Einklang war. Es war ein wunderbares Gefühl und sie wusste, dass es ihr unendlich half, wieder zu sich selbst zu finden. Zu entdecken, wer sie war, ohne Mark an ihrer Seite. In den letzten Wochen hatte sie geschafft, was sie seit Weihnachten versucht hatte. Sie konnte alleine stehen. Nicht immer, aber oft. Sie trauerte immer noch um ihren Mann, um das Leben, das sie beide hätten haben können, aber es war nicht mehr wie ein Ring, der ihr Herz jeden Tag schmerzhaft zusammenzog, bis selbst das Atmen ihr schwerfiel. Es war mehr wie eine Narbe, die langsam aber stetig verblasste und ihr immer seltener Schmerzen bereitete. Sie hatte die besondere Liebe zu einem Mann verloren, aber sie hatte immer noch eine andere zu vergeben. Für ihre Familie, ihre Freunde. Und sie war überzeugt, dass es immer so bleiben würde. Das diese Art der Liebe die einzige war, die sie künftig fühlen würde. Aber es war gut so.

Um den Liebsten zu schützenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt