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Die nächsten Wochen konnte ich mein Liebesleben mit Niko einfach ausleben. Dadurch, dass ich sowieso nicht trainieren konnte, mussten wir uns auch vor niemandem verstecken. An den freien Tagen fuhren wir dorthin, wo uns niemand kannte oder wir einfach ungestört sein konnten. Laut Niko schöpfe niemand in der Mannschaft irgendeinen Verdacht. Niclas habe zwar das ein oder andere Mal nachgefragt, aber dabei war es auch geblieben, Disse kämpfte meist mit seinen eigenen Problemen und Rune hatte ja überhaupt nichts von alledem mitbekommen.

Heute aber standen wir vor unserer ersten größeren Hürde. Meine Hand war soweit gut verheilt und ich konnte wieder in das Mannschaftstraining einsteigen. Die Nacht hatten Niko und ich getrennt voneinander verbracht. Wir sagten, dass es vielleicht besser so sei, dass man uns nicht gleich von Anfang an zusammen sehe. Das würde nur Verdacht schöpfen. Und trotzdem stieg ich mit einem ziemlich mulmigen Gefühl ins Auto. Ich wusste nicht, was auf mich zukommen würde. Klar, ich hatte die Jungs bei den Spielen immer gesehen, war auch das ein oder andere Mal in der Kabine dabei, aber das heute war nochmal anders.

„Steffen! Schön, dass du wieder dabei bist". Dule kam auf mich zu und nahm mich in den Arm. Gerade als ich mich umdrehte sah ich, wie Niko auf den Parkplatz fuhr. Sein Auto hatte ich sofort erkannt. Mit stockte der Atem und dass ich plötzlich komisch drauf war, merkte auch mein kroatischer Mannschaftskollege. „Alles gut bei dir?". „Ja, ja, komm gehen wir". Er hatte Niko glücklicherweise nicht gesehen, sonst hätte er bestimmt nach irgendwelchen Zusammenhängen gesucht. Die meisten waren bereits da und alle begrüßten mich herzlich. Es war wirklich schön, wieder im Training dabei zu sein und endlich wieder einen Ball in die Hand nehmen zu dürfen. „Raffiiiiii", grinste Rune und umarmte mich ebenfalls kurz. Auch Disse wurde nun auf mich aufmerksam und steuerte auf mich zu. Im gleichen Moment betrat Niko die Halle und ich sah im Augenwinkel nur, wie er direkt die andere Richtung einschlug. Ob das die beste Idee war, plötzlich vor der Mannschaft gar nicht mehr miteinander zu reden? Wahrscheinlich wäre das auffälliger, als alles andere.

„Hast du zugehört?", fragte Rune. „Was?". „Disse und ich haben gerade mit dir geredet", lachte er. „Sorry, war grad mit meinen Gedanken woanders", erklärte ich wahrheitsgemäß. „Naja, dann nochmal", seufzte Disse, „wir wollen heute Abend auf den Weihnachtsmarkt gehen, Niko fragen wir gleich auch noch, bist du dabei?". Etwas schockiert schaute ich die beiden an. Weihnachtsmarkt? Mit Niko? Würde das gutgehen? „Denke schon", sagte ich leise. „Das klingt nicht so überzeugt", lachte Rune. „Das kam so unerwartet", redete ich mich heraus und die Zwei schauten mich noch schiefer an. Disse meinte: „Wir machen seit Jahren spontan nach dem Training was zusammen und noch nie hast du so gezögert, du bist komisch geworden, hat dir das schon mal jemand gesagt?". „Äh, nein", prustete ich und auch Rune musste sein Lachen zurückhalten. So eine Aussage konnte ja nur von einem Christian Dissinger kommen! „Naja, überleg's dir einfach, wäre halt schön, wenn wir alle zusammen mal wieder was unternehmen würden", lockerte Rune die Stimmung etwas auf.

„So Jungs, kommt ihr!", rief Alfred uns zusammen. Ich lächelte Niko zu, der mir gegenüberstand. Alfred hieß mich ebenfalls wieder herzlich Willkommen und zur Feier des Tages durften wir Fußball zum Warmmachen spielen. Niko und ich waren in einem Team, ich merkte aber gleich, dass er wieder auf Abstand ging. Dem musste ich entgegenwirken, also machte ich den ersten Schritt auf ihn zu: „Ist komisch alles... aber wir müssen uns normal verhalten". „Tun wir das nicht?", fragte er etwas verwirrt. „Es dauert nicht lange, bis alle denken werden, dass wir wieder streiten... ich glaube, etwas mehr Zuneigung können wir schon zeigen", lachte ich. „Ich habe einfach Angst, alles gleich im ersten Training kaputt zu machen", äußerte er seine Bedenken. „Ich weiß, aber da müssen wir jetzt durch. Ich liebe dich, okay?". Aufmunternd lächelte ich ihm zu und klopfte ihm auf die Schulter.

Wir passten uns zusammen ein und spielten zusammen in der Abwehr und harmonierten so perfekt, dass wir ein Sonderlob von unserem Coach bekamen. Das tat jedenfalls gut. Nach dem Training blieb ich noch eine Weile mit Marko und Dule in der Halle und wir redeten etwas. Niko war mit Rune als einer der ersten aus der Halle verschwunden. Das war wahrscheinlich das Beste so. „Alles gut wieder mit deiner Hand?", wollte Marko wissen. „Alles super, hatte keine Schmerzen". „Das freut mich, dann bist du ja bei unserem letzten Ligaspiel dieses Jahr wieder fit", meinte Dule freudig. „Ja, sieht auf jeden Fall gut aus, habe mich auch konditionell fitgehalten, also das sollte kein Problem sein", lächelte ich.

Nach dem Training fuhr ich zu Niko nach Hause, der ja schon etwas früher hier war. Mit einem erleichterten Grinsen öffnete er mir die Türe und küsste mich liebevoll. „So viel Angst hatte ich noch nie im Training", gab er offen zu. „Ich war auch etwas neben der Spur, aber Alfred war zufrieden und das ist das Wichtigste". „Disse und Rune haben dich auch wegen Weihnachtsmarkt angesprochen, oder?", fragte er. „Ja, ich war kurz etwas überfordert", gestand ich. „Die beiden haben die Woche schon mal darüber gesprochen, ich habe zugesagt, aber ganz wohl fühle ich mich dabei nicht... ich meine, Disse lauert", sagte Niko etwas nervös. „Ich fand es am Anfang ehrlich gesagt auch nicht so toll, aber ist doch schön, dass wir abends mal wieder bisschen rauskommen, die letzten Wochen saßen wir immer nur daheim rum... klar, wir können da nicht händchenhaltend rumlaufen, aber mir reicht es, wenn ich in deiner Nähe bin. Das ist alles, was für mich zählt", meinte ich. „Mit geht es doch genauso, diese Nacht heute ohne dich war einfach nur schrecklich! Ich halte das nicht nochmal aus", bestätigte nun auch Niko. „Ich liebe dich", flüsterte ich. „Ich liebe dich auch, Steffen!".

Wir hatten uns auf 18.30 Uhr verabredet und Niko und ich hatten die Idee, dass wenn wir überpünktlich da sein würden, Rune und Disse nicht merkten, dass wir zusammen hergekommen waren. Also standen wir bereits um 18.10 Uhr mit eisigen Händen in der Kälte, nur hatten wir die Rechnung ohne Christian Dissinger gemacht: „Na hallo ihr zwei Hübschen, könnt ihr die Uhr nicht mehr lesen?". Niko wurde etwas panisch neben mir und automatisch wurde der Abstand zwischen uns etwas größer. Gerade hatten wir noch versucht, uns gegenseitig zu wärmen, diese Pläne hatte Disse jetzt allerdings zunichte gemacht. „Was machst du überhaupt schon hier?", fragte ich direkt nach. „Naja, als Single hat man ja leider keine anderen Möglichkeiten, als einsam und verlassen in seiner kleinen stickigen Wohnung zu sitzen und aus dem Fenster zu schauen, wie es regnet, obwohl es so kurz vor Weihnachten doch eigentlich schneien sollte".

War das jetzt irgendeine Anspielung oder wollte er von uns irgendwas Bestimmtes hören?

„So ist das halt als Single, kann man nichts machen, außer immer wieder gut durchzulüften", haute Niko doch knallhart raus. Disse war etwas sprachlos – genau wie ich. Mit so einer Aussage hatte ich im Leben nicht gerechnet. „Was haltet ihr davon, schon mal einen Glühwein zu holen, bis Rune auch hier ist... sonst erfriere ich echt noch in der Kälte", äußerte ich meinen Vorschlag. „Das klingt super!", meinte Niko und lächelte mir stolz zu. Disse hatte es noch immer die Sprache verschlagen, also folgte er uns einfach stumm. Ich war mir sicher, dass er jetzt etwas anderes von uns hören wollte.

Mit unseren dampfenden Tassen stellten wir uns wieder an den abgemachten Treffpunkt und warteten auf Rune. Dieser kam etwas verspätet an. „Moin, hast es auch mal geschafft", begrüßte ich ihn nordisch kühl. „Ja, musste noch was regeln... hat etwas länger gedauert und dann habe ich keinen Parkplatz gefunden, wo habt ihr denn eure Autos stehen?", plapperte er. „Direkt an der Straße... das ist der große Vorteil, wenn man rechtzeitig am Treffpunkt erscheint", antwortete Disse stolz. „Ich stehe im Parkhaus, da war aber schon nicht mehr viel frei", meinte ich. Rune nickte. „Und du, Niko?". Er erstarrte kurz und faselte dann nur schnell: „Auch da".

War das jetzt verdächtig?

Rune hatte sowieso überhaupt keine Ahnung von gar nichts und Disse war beschäftigt, einer Frau hinterherzuschauen und dieser ziemlich direkt auf den Arsch zu glotzen. „So, ein ganz anderes Thema", lenkte ich ein, „wie sieht es denn jetzt aus wegen unserem gemeinsamen Urlaub. Wir hatten ja mal drüber gesprochen, langsam sollten wir mal konkretere Planungen vornehmen". Mit diesen Worten schaffte ich es immerhin, Disse wieder vollständig aufnahmefähig zu machen und er sprudelte sofort los: „Gut, dass du es ansprichst, ich habe mich in den letzten Wochen mal bisschen ausfindig gemacht und Mallorca hat da schon geile Angebote, wenn ich das mal so sagen darf". „Hatten wir nicht gesagt, dass wir nicht nach Malle wollen?!", fragte Rune nach. Da musste ich ihm Recht geben. „Ach Leute, kommt schon", nörgelte unser Großmaul. „Und was ist, wenn wir uns etwas abseits vom Trubel was auf der Insel suchen, muss ja nicht direkt am Ballermann sein", äußerte Niko seinen Vorschlag. „Damit könnte ich mich abfinden", stimmte Rune zu und auch ich gab mein Okay. Nun blickten wir alle drei Disse erwartungsvoll an. Dieser grübelte ziemlich lange und hatte sich schließlich entschieden: „Alles klar, ich stimme der ganzen Sache zu, wenn ihr mir versprecht, mindestens einmal im Urlaub richtig fett am Ballermann oder sonst irgendwo feiern zu gehen. Unter diesen Umständen kann ich mich damit abfinden".

Dann war das wohl abgemachte Sache! Niko und ich würden spätestens dort nochmal richtig auf die Probe gestellt werden, aber irgendwie würden wir auch das hinkriegen. Da war ich mir zu hundert Prozent sicher!

LIEBE auf den zweiten Blick - Steffen -Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt