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Ich dachte nach. Lange. Der Fernseher lief, aber wirklich viel vom Programm bekam ich nicht mit. Dann traf es mich wie ein Schlag. Konnte es wirklich sein? Es klang eigentlich unmöglich, aber so ausgeschlossen war es auch wiederum auch nicht. Meine Gedanken verfolgten mich und ließen mich nicht einschlafen. Also stand ich auf, schlich zu Mariyas Zimmer und beschloss, sie zu konfrontieren. Ob das die beste Idee war? Keine Ahnung! Aber etwas Besseres war mir nicht eingefallen...

„Wie wäre es mit einer Runde Wahrheit oder Pflicht? Lassen wir die Pflicht weg, nennen wir es Wahrheit", quasselte ich nervös. „Du willst Wahrheit mit mir spielen? Dann komm!". Sie klopfte neben sich auf das Bett und ich setzte mich zu ihr. „Wer beginnt?", fragte sie. „Ich... hast du dich schon mal als eine Person ausgegeben, die du nicht warst?", fragte ich provokant. Ich musste es wissen. Hier und jetzt! „Ja, mehrmals... okay, ich bin dran", lenkte sie gleich von sich ab. Ahnte sie etwa, auf was ich hinauswollte? „Liebst du meinen Bruder?". Jetzt blickte sie mir wieder in die Augen und lächelte. Diese Augen! Ich hatte sie definitiv schon einmal gesehen. „Hallo? Hast du mich gehört?", bohrte sie kichernd nach. „Ja, ja ich habe dich gehört", sagte ich. „Dann, wie siehts aus? So schwer war die Frage jetzt nicht... und denk dran, wir sagen uns nur die Wahrheit".

*Dummes Spiel... vielleicht hätte ich die Sache doch anders angehen sollen*

„Ja, ich liebe ihn. Zufrieden?". „Jup", strahlte sie überglücklich. War das jetzt so eine tolle Nachricht?! „Ich bin wieder dran. Hast du dich in meiner Gegenwart mal als jemand anderen ausgegeben?". Beschämt schaute sie zu Boden und nuschelte schließlich: „Möglicherweise". „Möglicherweise? Was soll das heißen? Ist das ein Ja oder ein Nein?". „Naja, streng genommen bin ich ja wieder mit fragen an der Reihe... bist du mit Niko zusammen?".

Sie war wirklich nicht leicht! Das wurde mir immer mehr bewusst, je länger ich Zeit mit ihr verbrachte.

„Keine Ahnung, wir haben noch nicht so wirklich darüber geredet, irgendwie würde ich schon sagen wir sind zusammen, aber eher so privat". Das klang im Nachhinein ziemlich komisch, Mariya schien mich aber verstanden zu haben, also war es wieder meine Chance, etwas aus ihr herauszuquetschen. „Hast du dich bei dieser Party damals von dieser Alena oder Alina als eine Mia ausgegeben?". Mariya schluckte. War das ihre Antwort? Sie schwieg.

„Ich hab's für Niko getan", sprudelte es dann plötzlich aus ihr heraus, „ich... es war dumm, ich hätte das nie tun dürfen, aber ich habe in dem Moment keine andere Möglichkeit gesehen, ich wollte euch zwei doch nur zusammenbringen, Niko war so wahnsinnig enttäuscht und verletzt als er hier plötzlich aufgetaucht ist und dann habe ich versprochen zu helfen... ich war dann in Kiel und ich wollte nur, dass ihr zwei irgendwie zueinander findet und eure Freundinnen loswerdet, ich bin ein schlechter Mensch... sowas hätte ich nie tun dürfen, ich habe mich in eure Beziehungen eingemischt und vielleicht wärt ihr ja auf eine ganz andere Art und Weise glücklich geworden, aber ich habe es ruiniert und das tut mir alles so verdammt leid und...". „Jetzt halt mal die Luft an", bremste ich ihre Rechtfertigung. Auch ich stand gerade ziemlich unter Schock, aber ihr Gerede machte es nicht besser. „Wie hast du es herausgefunden?", fragte sie schließlich ganz leise. „Wir haben den ganzen Tag heute miteinander verbracht... immer wieder hatte ich das Gefühl, dich zu kennen... habe ewig lange nachgedacht, dann ist es mir in den Sinn gekommen. Du wärst wahrscheinlich die einzige Person auf der ganzen Welt, der ich so eine Aktion zugetraut hätte... ich meine, du hast es zugelassen, dass ich dich küsse, obwohl du mich eigentlich mit deinem Bruder verkuppeln wolltest", erklärte ich wahrheitsgemäß. „Naja, heiß bist du ja schon... und im Nachhinein war die Aktion ja erfolgreich", lächelte sie schüchtern. „Ich bin definitiv ein paar Jährchen zu alt für dich, außerdem bist du doch schon vergeben... noch krasser, dass du dich dann auf sowas einlässt", überlegte ich. „Luca weiß davon nichts und so wird es auch bleiben und außerdem musst du mir jetzt hoch und heilig versprechen, dass dieses Gespräch unter uns bleibt. Niko darf das nie erfahren. Ich musste ihm versprechen, dass die Aktion unter uns bleibt, es war ihm peinlich", erzählte Mariya. „Weiß er von dem Kuss?". Unschuldig blickte Mariya zu mir und nickte langsam. „Ach herrje... das Ganze wird ja immer besser". „Aber glaub mir, Steffen, er ist so in dich verliebt, dass ihn nicht mal das abgeschreckt hat... und ihr zwei habt dann von ganz alleine zueinander gefunden, damit hatte ich gar nichts mehr zu tun".

„Darf ich dir was sagen?", begann ich. „Immer". „Du bist echt eine tolle Schwester und ein super Mensch. Es ist nicht normal, sich so für jemanden einzusetzen und dabei alles zu riskieren. Ich hatte kein gutes Bild von dir am Anfang, aber heute durfte ich dich richtig kennenlernen und du hast mich vom Gegenteil überzeugt. Ich mag dich echt, Mariya". „Ich mag dich auch, Steffen. Das habe ich dir heute Mittag schon gesagt. Du und mein Bruder, ihr seid mein Traumpaar und ich wünsche mir so sehr, dass das für ewig hält".

Jetzt wurde ich fast emotional. Ich nahm Mariya in den Arm und so verharrten wir eine Weile: „Danke für alles", flüsterte ich. „Danke dir, dass mein Bruder so glücklich ist". Ich drückte sie noch ein Stück fester, dann ließen wir wieder voneinander ab. „Willst du hier schlafen heute? Dann fühle ich mich nicht so alleine", fragte sie und ich konnte nicht anders, als ja zu sagen.

Am nächsten Tag stand dann das zweite Testspiel für die Österreicher gegen die Schweden statt und auch bei diesem Spiel war ich Nikos größter Fan in der Halle. Das ständige Geplapper von Mariya war mir mittlerweile sogar egal, ich mochte sie, wir verstanden uns und das merkte man uns an. Diesmal gingen wir nach dem Spiel zusammen nach unten und empfingen Niko. „Schön euch zu sehen, nervt meine Schwester arg?", stellte er mir sofort die Frage. „Ach, man kann es schon mit ihr aushalten", grinste ich Mariya an und schaute dann wieder zu Niko. Dieser hatte skeptisch seine Augenbrauen nach oben gezogen und schaute abwechselnd zwischen uns her. „Er ist ganz okay", warf nun auch Mariya ein. Wir fingen beide an zu lachen und der arme Niko blickte nun noch weniger. „Sag Mama und Papa, dass ihr auf mich warten sollt, ich beeile mich beim Duschen, dann fahre ich mit euch heim... der Flug geht schon heute Abend". Den letzten Teil sagte er in meine Richtung. Nikos Schwester zog eine Schnute. Hätte wohl gerne noch eine Weile so viel Gesellschaft gehabt. Da Niko versprach, schnell zu duschen, verschwand er gleich darauf in den Katakomben der Halle und Mariya und ich fingen erstmal lautstark an zu lachen. „Oh mein Gott, hast du sein Gesichtsausdruck gesehen?", presste sie unter Tränen hervor. „Und dieses hin und her tippeln auf dem Boden, zu geil", fügte ich an. „Ey, wir lassen den nicht wissen, dass wir best buddies sind, oder?", fragte mich Mariya. „Nö, ist unser Geheimnis... genauso wie diese kleine Mariya-Mia-Verwechslung in Kiel". „Das bleibt alles unter uns, versprochen". Wir verhakten unsere kleinen Finger miteinander und schworen auf dieses Versprechen. Danach suchten wir Nikos Eltern auf und warteten im VIP-Bereich, bis Niko endlich zu uns stieß.

...

Wir aßen noch etwas, packten unsere Sachen zusammen und Serhij hatte uns dann angeboten, Niko und mich zum Flughafen zu fahren. Dieses Angebot nahmen wir natürlich dankbar an. Wir verabschiedeten uns von Nikos Mutter und seiner Schwester und ich versprach Mariya, dass wir in Kontakt bleiben würden. Niko wurde erneut auf uns aufmerksam, als wir uns vielleicht etwas zu lange im Arm lagen. Danach stiegen wir in Serhijs Wagen und fuhren zum Flughafen, wo wir gleich auf die schwedischen Spieler trafen, die in Flensburg und bei uns in Kiel ihr Geld verdienten. Niclas und Lukas winkten uns direkt zu sich her und zusammen mit Hampus und Jim suchten wir unser Gate auf. „Jetzt geht's wieder mit dem Alltag weiter", stöhnte Jim auf, als wir in den Bus einstiegen, der uns zum Flieger bringen sollte. „Bei euch stehen noch paar harte Brocken an bis Weihnachten", mischte ich mich ein. „Derby ist doch auch demnächst oder liege ich da falsch?", fragte Hampus. „In drei oder vier Wochen, meine ich", kam es von Niclas. „Zu früh für mich... bis dahin ist meine Hand noch nicht verheilt", trauerte ich etwas. „Aber bis zur EM solltest auf jeden Fall wieder fit sein", überlegte Niko. „Ja, das hoffe ich", meinte ich. Der Bus hielt an und wir liefen die letzten Meter zu unseren Flieger nach Hamburg.

Kurz vor Mitternacht setzten wir zur Landung an, nun ging es noch eine Stunde mit dem Zug weiter Richtung Landeshauptstadt. Am Bahnhof trennten sich schließlich auch unsere Wege. Lukas, Niclas, Niko und ich stiegen in den Zug nach Kiel, Jim und Hampus nahmen die Direktverbindung nach Flensburg.

Ich war bereits sehr müde, als wir endlich wieder in Kiel waren und ich wollte einfach nur noch schlafen. Niclas brachte mich nach Hause, Niko fuhr mit Lukas in die andere Richtung. Ich hatte ihm versprochen, morgen nach dem Training vorbeizukommen. Ich hatte sowieso nichts Besseres zu tun, da ich mit meinem Gips nichts anfangen konnte. „Danke nochmal für die ganze Aktion in Österreich", meinte ich im Auto zu unserem Rechtsaußen. „Das war selbstverständlich. Und ich würde es wieder tun", lächelte Niclas. „Das war nicht selbstverständlich, ich meine, wir hatten in den letzten Wochen unsere Differenzen... vor allem, was Sally betraf... ich war nicht immer korrekt zu dir und jetzt im Nachhinein weiß ich, dass du die ganze Zeit Recht hattest. Deshalb will ich mich bei dir entschuldigen, es tut mir leid". „Ist vergessen, Raffi. Ich bin froh, dass du wieder der Alte bist und das ist alles, was zählt!".

LIEBE auf den zweiten Blick - Steffen -Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt