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Ich löste mich sofort auf Nikos Griff und lief weiter zum Zelt, holte angefressen das bereitgelegte Geld und stapfte wieder rüber zu den anderen Jungs, ohne Niko auch nochmal eines einzigen Blickes zu würdigen. Er stand noch immer am Zelt und hatte sich keinen Millimeter bewegt. War ich doch etwas zu hart?

Nein, nein, er hatte es verdient.

„Können wir?", fragte ich die anderen genervt und lief schon mal los. Jedoch folgten mir nur Disse und Marko. Marko war klar – er stand hinter mir. Was Disse hier jetzt aber suchte, wobei sein Schützling doch gerade am Boden zerstört irgendwo schmollte, wunderte mich schon etwas. Im Augenwinkel erkannte ich aber, dass sich Miha und Lukas die Mühe nahmen, sich um unser kleines Baby zu kümmern. Lukas Gesellschaft bei Niko wunderte mich ungefähr genauso wie Disses Gesellschaft bei Marko und meiner Anwesenheit.

„Habt ihr eigentlich einen Plan, wohin wir müssen?", fragte Disse irgendwann, als wir schon halb aus dem Wald draußen waren. Die Strecke zum Bus kannten wir, von dort aus konnte ein kleinerer Ort ja nicht mehr allzu weit entfernt sein. „Ich würde sagen, wir laufen einfach mal die Straße weiter, irgendwo müssen wir ja hergekommen sein", schlug Marko vor und von Disse folgte nur: „Und wenn wir einen Flughafen, eine Bushaltestelle oder einen Hafen finden, dann gehen wir da hin und fahren auf dem nächsten Weg nach Hause". „Du weißt schon, dass zwischen den drei Begriffen ein kleiner Unterschied besteht?", meinte ich augenrollend. „Na und? Hauptsache ich komm nach Hause", konterte er augenblicklich und schrie dann auf einmal wieder laut auf. Wir waren doch fast schon aus dem Wald draußen...

„Da ist ein Spielplaaaaaatz".

Und schon war er weg. Marko und ich blickten uns an und konnten nur mit dem Kopf schütteln. Ich wusste, dass ein kleiner Spaziergang mit Christian Dissinger im Moment nicht gut ausgehen würde. Momentan konnte ich einfach nicht mehr über ihn lachen. Stumm folgten mein Zimmerkollege und ich unserem Mitspieler, um sicherzugehen, dass er keinen Mist baute. Besagter tollte jedoch nur munter auf der Schaukel herum und winkte uns zu sich her, als er uns daherkommen sah. „Disse, wir haben einen Job – du kannst später nochmal vorbeikommen!", wies ich ihn einigermaßen freundlich daraufhin und nach einem kurzen Murren sprang er erstaunlicherweise ohne Verletzung im hohen Bogen von der Schaukel und lief uns hinterher.

Wenige Minuten später waren wir am Bus angekommen und liefen, wie Marko gesagt hatte, einfach die kleine Straße weiter vor. Und von dort aus konnte man schließlich eine kleinere Ortschaft erkennen – Jackpot. „Denkt ihr, die anderen finden uns nachher?", fragte Dissinger wie ein kleines Kind. „Dich nicht, wolltest du nicht Flucht ergreifen? Da ist eine Bushaltestelle". Diese Worte kamen nun von Marko und natürlich erhielt er meine Zustimmung. „Aber doch nicht alleine!". Hysterisch wuchtelte mein Landsmann mit den Armen herum. Ich dachte mir meinen Teil, beließ seine Aussage aber so stehen.

Vor einem Supermarkt kamen wir schließlich zum Stehen. Es war nur ein kleiner Laden, doch der musste uns reichen. Innen drin war ein Bäcker. „Denkt ihr, wir können uns einen Kaffee holen?", sprach Marko in diesem Moment laut meine Gedanken aus. „Klar, drei Euro weniger schaden dem Rest nicht, werden die schon überleben", betonte Disse und in diesem Fall musste ich ihm auch zustimmen, zumal wir sowieso noch auf Niko, Miha und Lukas warten mussten. Ob die überhaupt noch kommen würden? Oder ob Niko noch immer am Zelt einen auf Trauerkloß spielte? „Wir kaufen uns einen Kaffee, dann warten wir zehn Minuten und wenn die bis dahin nicht kommen, gehen wir schon mal ohne die da rein", äußerte ich meinen Vorschlag.

Disse packte seine „Schwedisch-Skills" aus, wobei ich aber stark bezweifelte, dass es sich wirklich um die besagte Sprache handelte. Irgendwie klang es bedeutend anders, wenn sich Lukas und Niclas in ihrer Landessprache unterhielten. Ich war mir auch nicht sicher, ob ich am Ende wirklich einen Kaffee in der Hand hielt, denn alle anderen, die ich bisher getrunken hatte, schmeckten irgendwie anders. Ich wollte nicht wissen, was für ein Gebräu ich mir gerade in den Magen kippte.

„Da seid ihr ja", atmete Marko neben mir erleichtert aus und da sah ich auch, wie Niko, Lukas und Miha auf uns zusteuerten. Wir liefen in den Supermarkt, teilten uns dabei auf und trafen uns alle an der Kasse wieder zum Bezahlen. Das war mein Job.

„Wieso seid ihr schon vorgelaufen?", fragte Miha vorwurfsvoll auf dem Rückweg. Auch Lukas wurde nun aufmerksam, nur Niko lief kleinlaut neben uns her. „Haben bezweifelt, dass ihr überhaupt noch nachkommen würdet", antwortete Disse für uns alle. „Und wie es Niko ging, war euch scheißegal?". „Diese Worte kommen aus deinem Mund, Lukas – was für ein Friedensangebot haben wir bei euch zwei verpasst?", lachte ich ironisch und schnippisch auf. „Nikoo?", hakte nun auch Marko nach, doch dieser reagierte nicht. Wir ließen ihn in seiner eigenen Welt weiterleben und liefen durch den Wald bis hin zum Zeltplatz zurück, wo sich fast alle irgendwie begnügten. Die einen schwammen im See herum, andere saßen vor ihren Zelten zusammen und unterhielten sich.

Die Frühstücksbeauftragten nahmen uns die Tüten ab und bereiteten den Rest vor. Alfred scheuchte die Jungs aus dem See und mit nassen Haaren setzten sich Rene, Patrick, Rune und Andi zu uns an den Tisch. Wieso war das hier so ungerecht verteilt? „Ihr wart ja ne halbe Ewigkeit weg", stellte Andi im Folgenden nun klar und ich konnte einfach nur ratlos mit den Schultern zucken. An mir lag es nicht. Und dieses Mal auch erstaunlicherweise nicht an Christian Dissinger!

Nach dem Frühstück hatten wir noch etwas Zeit bis zur nächsten Trainingseinheit und die wollte Disse „sinnvoll" nutzen. „Lass nochmal zu dem Spielplatz vorlaufen". Mit strahlenden Augen blickte er mich an. Auch Rune bekam von dem Gespräch mit. „Spielplatz? Wo? Ich bin dabei!".

Was für Kinder hatten wir denn bitteschön in der Mannschaft? „Ja, aber dann lasst Niko auch noch fragen, der muss auch mit". Ich schaute Rune bettelnd an, doch der überzeugte mich letzten Endes doch, dass ich mitkommen solle. Damit war das beschlossene Sache. Er sorgte auch dafür, dass Niko dabei war und so tauchte er wenig später bei uns auf und ich konnte dem Jungen einfach nicht in die Augen schauen. „Jetzt hatte das Verlaufen vorher wenigstens einen Sinn", strahlte Disse weiter. Ich erinnerte ihn: „Du bist einfach abgebogen und kreischend davongerannt. Unter Verlaufen verstehe ich was anderes". „Und du, Steffen, du bist einfach nur ein Spielverderber", klärte er mich sachlich auf und grinste überheblich. „Und du bist ein arroganter Arsch, der sich keine Fehler eingesteht", trieb ich es nun auf die Spitze und musste dann mit einer beleidigten Leberwurst Vorlieb nehmen. Disse überzeugte Niko im Folgenden nun davon, dass ich der Lügner wäre und stapelte eine erfundene Geschichte nach der anderen auf. Irgendwann kam wieder das Thema Lukas ins Spiel und da schaltete ich mit meinen Gedanken komplett ab. Wieso artete hier eigentlich alles schon wieder so aus?

„Komm Raffi, wir setzen uns da hin". Rune zog mich am Arm hin zum Sandkasten. Mein Protest hatte keinen Wert. Ich wollte nicht mal auf diesen scheiß verdammten Spielplatz gehen. Und die Laune der anderen konnte ich erst recht nicht ertragen. „Warum habt ihr euch denn jetzt schon wieder so angezickt?", fragte ich gefrustet und wartete auf eine Antwort. „Weil Niko und Lukas die schlechtesten Teamplayer sind, die wir haben – Lukas tut mir wirklich leid". „Mir auch – ich glaube, wir haben in den letzten Tagen Nikos wahres Gesicht kennengelernt". Meine Stimme blieb fest und ich versuchte mir meine Wut nicht anmerken zu lassen. „Ich dachte, du magst Niko", fuhr Rune fort.

Wenn man bedachte, dass wir noch vor drei Tagen in Paris die größten Streithähne waren, da war es echt ein Wunder, dass wir schon heute wieder so ehrlich miteinander umgehen konnten. „Langsam weiß ich einfach nicht mehr, was ich wirklich von ihm halten soll – er war immer so unscheinbar und jetzt müpft er voll auf, das verstehe ich nicht". Rune spielte währenddessen mit einzelnen Sandkörnern herum und meinte schließlich: „Ich fühle mich so schuldig deswegen". Kurz war es still. Dann entgegnete ich: „Ich hab es doch selbst verbockt, du hast mir doch sogar gesagt, dass ich übertrieben habe. Ich wollte es mir in dem Moment nur nicht eingestehen. Aber jetzt behaupte ich, dass es vielleicht doch der richtige Weg war. Auch diese Seite gehört zu Niko und das muss ich wohl akzeptieren. Vielleicht ist es besser so".

Wir standen zwischendrin auf und liefen wieder Richtung Zeltplatz zurück, um nicht zu spät zum abgemachten Treffpunkt zu erscheinen. Dabei redeten wir allerdings weiter. „Glaubst du, es wird irgendwann wieder so wie früher?", fragte ich leise. „Vielleicht, aber vielleicht wäre es auch besser, wenn es gar nicht mehr so weit kommen würde". „Wieso das?", hakte ich sofort nach. „Du sagst es doch selbst, jetzt kennen wir auch deren andere Seite – ich weiß nicht, ob das so toll ist". Ich seufzte. Ich wusste wirklich nicht mehr, was ich noch denken sollte. Es ging mir wirklich schlecht. Und der anstehende Trainingstag mit Alfred stimmte mich nicht gerade positiver...

LIEBE auf den zweiten Blick - Steffen -Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt