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Verwirrt legte ich mich mit dem Rücken auf das Bett und starrte an die dunkle Decke. Vor meinen Augen sah ich, wie Niko Mara abknutschte und dieses Bild wollte mir einfach nicht mehr aus dem Kopf gehen. Bammbamm blieb. Das schätzte ich wirklich sehr. Ich brauchte gerade einfach jemanden bei mir und er war für mich da. Er wartete noch eine Weile, dann meinte er: „Ich geh kurz nach draußen, bin gleich wieder da". Ich antworte nicht. Wahrscheinlich dachte er, ich wäre eingeschlafen. Mir gingen einfach nur tausend Gedanken durch den Kopf und deshalb hatte ich die Augen geschlossen, meistens fiel mir das Denken so einfacher. Doch dieses Mal sollte nicht mal das helfen.

„Steffen?". Das war definitiv Nikos Stimme. Ich hatte ihm nichts zu sagen, ich wollte ihn nicht sehen – also stellte ich mich weiterhin schlafend. Er setzte sich ebenfalls auf das Bett, nur wenige Zentimeter von mir entfernt. Dieses Mal löste seine Nähe kein wohliges Kribbeln aus – es löste gar nichts aus. Auch nicht, als er nach meiner Hand griff. Ich ließ es einfach geschehen, überlegte, mit welchen Absichten er jetzt zu mir gekommen war. Wollte er sich entschuldigen? Oder wollte er mir sagen, dass er für seine Ex-Freundin wieder Gefühle entwickelt hatte? Dass er mit ihr eine öffentliche Beziehung führen könnte?

Nikos Griff wurde immer fester und irgendwann nervte es einfach. Ich zog meine Hand weg und richtete mich auf. In die Augen konnte ich ihm nicht schauen, also blickte ich stumm auf meine Füße. „Steffen", sprach er mich ein zweites Mal an, doch reden tat er nichts. „Lass es einfach!", sagte ich verständnislos und vergrößerte den Abstand zwischen uns. „Es war ein Spiel", rechtfertigte er sich dann doch auf einmal. Ernsthaft? Das war alles, was er mir dazu zu sagen hatte? Ich lachte höhnisch auf und holte mein Handy aus der Hosentasche. Tatsächlich schien mein Freund nicht daran interessiert zu sein, mit mir den Vorfall von eben zu besprechen, nein, er meinte bloß: „Rune holt uns in einer halben Stunde, er hat seinen Ausweis vergessen und musste nochmal heimfahren".

Enttäuscht stand ich auf und lief zur Tür. Ich signalisierte Niko, dass ich ihn verstanden hatte. Gerade als ich die Klinke nach unten drücken wollte, rückte er mit dieser Information heraus: „Steffen, ich musste sie küssen". Verständnislos schüttelte ich den Kopf und meinte nur: „Ich hab kein Bock, jetzt darüber zu diskutieren". Dann ging ich. Ich hätte es gerne geklärt, aber scheinbar sah er seinen Fehler nicht mal ein. Das verletzte mich. War es ihm doch nie so ernst mit uns? Fragen über Fragen – und mal wieder keine Antworten.

Ich lief in den Garten, wo ich auf Marko und seine Frau traf. „Alles gut bei dir? Du siehst blass aus", meinte Tijana zu mir. „Ich will nicht darüber reden", nuschelte ich. Ich hörte den beiden bei ihrem Gespräch zu, steuerte aber nichts dazu bei. „Ich dreh ne Runde um den Block", teilte ich den beiden mit und ging davon.

Gerade als ich wieder bei Niclas ankam, fuhr Rune daher und kurbelte sein Fenster hinunter: „Wo ist Niko?". „Ich hole ihn", seufzte ich niedergeschlagen. Das entging meinem besten Freund natürlich nicht. Ich vermied sämtlichen Blickkontakt als ich das Haus nach Niko absuchte. Ich fand ihn zum Glück sehr schnell. „Rune ist da", warf ich ihm entgegen und war schon dabei, mich wieder umzudrehen. „Ich komme gleich, ich verabschiede mich noch kurz von Mara und Lukas". Echt jetzt? Sein scheiß Ernst? „Tzzz", zischte ich fassungslos und ging davon. Sauer stieg ich zu Rune ins Auto und schaute grimmig aus dem Fenster.

„Lach mal", ermahnte er mich. „Niko kommt gleich", sagte ich trocken. „Kannst trotzdem lachen", erinnerte er mich. Daraufhin erwiderte ich gar nichts mehr. Mir war es nicht nach Lachen zumute und ich war nicht bereit, mir irgendein dreckiges Fake-Grinsen aufzusetzen und so zu tun als wäre nie etwas geschehen. Nein, das konnte ich nicht! Dafür war heute Abend zu viel passiert...

Niko stieg ins Auto, ohne jegliche Anzeichen der Reue. In den fröhlichsten Tönen unterhielt er sich ausgelassen mit Rune und missachtete mich vollkommen. „Ich schlaf jetzt", mischte ich mich kurz ein und drehte mich zur Seite ab. Ich steckte meine Kopfhörer in die Ohren, um Nikos Stimme nicht ununterbrochen hören zu müssen. Ich hatte echt genug. Genug von ihm, genug von unserer Beziehung, genug von allem. Dieser Ausflug war das letzte, was ich jetzt noch brauchen konnte und genauso abweisend verhielt ich mich auch.

Rune musste mich in Hamburg aufwecken. Meine Laune allerdings hatte sich nicht verbessert. Langsam ging auch schon die Sonne auf. Niko und ich gingen uns weiterhin aus dem Weg – wahrscheinlich das beste für alle Beteiligten. Rune und ihm waren scheinbar auch die Gesprächsthema ausgegangen, so liefen wir schweigend nebeneinander in die große Halle, gaben unser Gepäck auf und begaben uns zum Gate. Rune wirkte wie ein brodelnder Vulkan, lange würde es nicht mehr dauern, bis er explodieren würde.

Und ich sollte Recht behalten...

„Alter Jungs, warum ist eigentlich immer so eine schlechte Stimmung, wenn wir irgendwo hinfahren?". Er hatte nicht unrecht. Allein unser Sommerurlaub... keine schönen Erinnerungen. Aber ich konnte nichts dafür. „Ich hab kein Bock mit euch jetzt zwei Stunden im Flieger zu sitzen und ihr schiebt hier schlechte Stimmung, das kann es echt nicht sein", wurde er sauer, nachdem wir beide nicht reagiert hatten. „Frag Niko, der kann dir ja sicherlich erzählen, was er sich geleistet hat bei Niclas", fauchte ich angefressen. Rune suchte den Blick meines „Freundes", doch dieser lenkte nur ab und meinte: „Wir müssen zum Flieger".

War er zu feige zuzugeben, was er sich heute Nacht erlaubt hatte? Wollte er vor Rune so dastehen, als wäre ich das Problem?

Rune stand schon mal auf, Niko blieb kurz stehen und blickte mich grimmig an: „Außerdem Steffen ist das eine Sache zwischen dir und mir, da müssen wir niemand anderen reinziehen". Ich erkannte ihn echt nicht mehr wieder. Das war wirklich der nächste Schlag ins Gesicht. „Pff, scheiß auf die anderen, die können ruhig erfahren, was für ein Arsch du bist. Du willst nur wieder vor allen gut dastehen, mehr willst du gar nicht. Und von deinen Fehlern soll keiner erfahren", entgegnete ich ihm sauer. Rune setzte dem ganzen einen drauf, indem er sich auf die Nikos Seite stellte: „Niko hat Recht, ihr solltet das privat klären und ich werde und will mich da raushalten, aber ich habe keinen Bock, eure Launen das ganze Wochenende zu ertragen".

Warum stand ich jetzt wieder alleine da? Jetzt war ich wieder der Dumme, der den Streit provoziert hatte und der arme kleine Niko wurde von mir mitreingezogen. Ich hatte langsam echt kein Verständnis mehr dafür. War es allen egal, wie es mir bei der ganzen Sache ging? Sollte ich mich freuen, dass Niko Mara seine Zunge in den Hals gesteckt hat? Auf Mallorca standen auch alle auf Nikos Seite. Immer drehte sich alles nur um ihn.

Im Flugzeug saß ich am Fenster. Den Platz hatte ich mir direkt von Anfang an gesichert. Niko diskutierte mit Rune darüber, wer neben mir sitzen sollte. „Rutsch rein", meinte er zu Rune. Dieser setzte einen Killerblick auf, so musste Niko neben mich. Es konnte mir ja eigentlich egal sein, ich hatte mir von meiner Serie ein paar Folgen heruntergeladen und die wollte ich jetzt anschauen, da musste ich mit niemandem reden und das war auch gut so. Es ging auch gut, bis Niko mir nach einer Weile den Kopfhörer aus dem Ohr zog. „Was?", grummelte ich genervt und rollte mit den Augen. „Darf ich es dir wenigstens erklären?", kam es von seiner Seite aus, „ich hab selber keine Lust auf Streit". Ich seufzte: „Hättest dir ja auch mal früher überlegen können". Dann hätte es gar nie dazu kommen müssen! Ich wollte meinen Kopfhörer schon wieder aufsetzen, doch Niko hielt mich zurück. Ich schaute ihn für einen kurzen Moment in die Augen und meinte: „Dann erklär es mir, Niko. Erklär mir, wieso du mit deiner Ex rumgemacht hast auf einer Party vor allen anderen!". Er konnte es sich sparen mit seinem Es-war-ein-Spiel daherzukommen. Darum ging es mir gar nicht. Doch natürlich setzte er wieder genau an diesem Punkt an: „Wir haben Wahrheit oder Pflicht gespielt, die Aufgabe war, dass ich mit meinem rechten Nebensitzer für zehn Sekunden rummache". „Zehn Sekunden? Deine Zeiteinschätzungen waren schon mal besser", stichelte ich enttäuscht. „Wär es dir lieber gewesen, ich hätte mit Niclas oder Gisli rumgemacht?", fragte er. Wäre es mir denn lieber gewesen? Ich weiß es nicht... „Warum hast du nicht einfach gesagt, du machst das nicht?". Plötzlich wurde er sauer: „Ach, das ist dein Problem? Einfach nur, weil ich die Aufgabe eingegangen bin oder was?". Warum rastete er jetzt so aus? Dachte er, ich würde es geil finden? Ich würde Sally auch nicht einfach so küssen, nur weil eine App sagt, dass ich das machen soll. Scheiß auf Alkohol, scheiß auf Lust, sowas gehört sich einfach nicht. Genau das erklärte ich Niko. „Nur weil eure Geschichte scheiße geendet hat", warf er mir vor und ergänzte: „Gönnst du es mir nicht, dass ich mich mit Mara gut verstehe?". „Was hat das denn jetzt mit Gönnen zu tun?", erwiderte ich sprachlos von seinen Unterstellungen, „man küsst einfach keine Ex-Freunde!". „Und man küsst auch niemanden, von dem man weiß, dass er einen liebt, aber für den man absolut nichts empfindet!". 

LIEBE auf den zweiten Blick - Steffen -Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt