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Im Training war ich abgelenkt. Ich erfüllte zwar Alfreds Wünsche und Vorstellungen, aber mit meinen Gedanken war ich völlig abgeschweift. Zwischendrin hatte ich mich Niko genähert und ihm zugeraunt: „Am besten, ich beeile mich nach dem Training beim Duschen und du lässt dir gaaaaanz viel Zeit, wir müssen von uns ablenken. Disse hat uns im Visier". „Das wundert mich ja mal gar nicht", erwiderte Niko und trank nochmal einen großen Schluck. „Halb elf heute, draußen auf dem Balkon", zischte ich ihm schnell noch zu, „sieh es als eine Art Date". Nach diesem kurzen Gespräch stellte ich mich wieder zu Marko und Miha, während Niko zu Niclas und Lucas ging. Spätestens jetzt war er genauso durch den Wind wie ich. In meinem Bauch kribbelte es noch immer vor Schmetterlingen und es legte sich automatisch ein Grinsen auf mein Gesicht, wenn ich in Nikos Richtung schaute.

Im Mannschaftsbus redete ich noch eine Weile mit Bammbamm: „Wie geht es dir, Steffen?", fragte er. Schöpfte er Verdacht, wenn ich jetzt sagte, dass es mir richtig gut gehe? Vermutlich schon. Aus diesem Grund entschied ich mich für die einfachere Variante und zuckte einfach mit den Schultern. „Den Umständen entsprechend". „Naja, jetzt steht ja sowieso noch der Lehrgang an, da bist du so beschäftigt, dass du gar nicht mehr daran denken wirst". Ich wusste jetzt zwar nicht genau, von was Bammbamm da jetzt sprach, weil eigentlich wusste er ja von nichts, doch ich beließ es einfach mal dabei. „Du Steffen", stürmte Rune freudig auf mich zu, „habe gerade mit Niko und Disse geredet, wollen uns später in Hotel einfach noch bisschen unten zusammensetzen, bist du dabei?". Etwas überrumpelt bejahte ich. Aber was sollte dann aus unserem Date werden? Niko stieg gerade auch in den Bus und lächelte mir zu. Hatte er unser Treffen etwa vergessen?

Die Zeit im Hotel nutzte ich, um nochmals zu schauen, ob man über die Feuerleiter auf das Dach kommen würde. Hatte das vorher nur flüchtig gesehen und das Schild im Fahrstuhl deutete ja daraufhin, dass man nicht mehr über den üblichen Weg nach oben gelangen würde. Es wäre zumindest ein Abenteuer wert und es sah gut aus: Die Leiter führte ohne Umwege direkt aufs Dach und wenn es dunkel ist, würde uns niemand sehen können. Zufrieden setzte ich mich wieder auf mein Bett und starrte minutenlang auf die Uhr. Die Zeit wollte einfach nicht verstreichen. Disse hatte ja gemeint, dass er jetzt im Hotel nochmal duschen müsse, Rune wollte noch telefonieren und Niko hatte sich gar nicht geäußert. Ich hätte mich ja theoretisch schon mit ihm früher verabreden können, aber das hätte durchaus kritisch enden können, daher entschied ich mich dagegen und saß die Zeit im Zimmer tot.

Zufälligerweise traf ich auf Niko, als ich mich auf den Weg zur Lobby machte. Er konnte mich nicht sehen, da er mit dem Rücken zu mir stand. Ich versicherte mich, dass wir in diesem Moment die einzigen auf diesem Hotelflur waren, dann schlich ich mich von hinten an und erschreckte ihn. Niko zuckte zusammen, lachte dann aber, als er mich sah. „Hey", flüsterte er aufgeregt und lächelte. Der Aufzug kam gerade an. Wir stiegen ein und warteten, bis die Türe geschlossen war, dann meinte ich: „Disse wird ja nicht gerade vor den Überwachungskameras hocken". Ich grinste ebenfalls, umschlang Niko mit meinen Armen und küsste ihn leidenschaftlich. Dieser Moment hielt allerdings nicht lange an, weil wir gleich schon im Erdgeschoss waren und wieder voneinander ablassen mussten. „Denkst du, Rune und Disse sind schon da?", fragte mich Niko, als wir erstmal niemanden sahen. „Bei denen weiß man nie... ach doch, da hinten, da sind sie". Ich deutete auf den Nebenraum, wo die beiden sich schon ausgelassen unterhielten. „Hab schon gedacht, ihr habt es euch anders überlegt und doch lieber auf dem Dach miteinander rumgemacht", begrüßte uns Disse. Bitte was?! Hatte er von etwas Wind bekommen? Niko wurde verdächtig still, er bekam ziemlich Panik, also war es meine Aufgabe, locker zu bleiben und uns nichts anmerken zu lassen. „Vielleicht war es ja so, Disse, wer weiß".

Unser Mannschaftskollege gab ziemlich schnell auf, weiter nachzuhaken und das beruhigte mich dann doch. Der Herr hatte eine viel bessere Neuigkeit zu verkünden, auf die ich gerne verzichtet hätte: „Deneeeeeeer wird morgen dabei sein". „Wieso kommt der her?", fragte ich erschrocken. Der war wirklich der letzte, den ich noch gebrauchen konnte. „Warum nicht? Der hat ja nichts mehr zu tun", antwortete Disse und tat so, als wäre es das Normalste auf der Welt. Der Junge hatte einen noch größeren Schaden als Christian Dissinger selbst – und das hieß viel. In diesem Moment kam zum Glück eine Kellnerin und wir gaben unsere Bestellung auf, somit war das Thema fürs Erste auch vergessen. „Für mich eine Apfelschorle", bestellte Disse, fügte aber noch einen Sonderwunsch an, „könnten Sie mir das in einem Bierglas bringen? Mein Trainer erlaubt heute keinen Alkohol, aber ich möchte wenigstens das Gefühl haben, dass es Alkohol sein könnte, muss ja nicht hochprozentig wirken, sonst würde ich Wodka in einem Wasserglas bestellen, äh, stopp, anderes herum, Wasser in einem Wodkaglas. Gibt es überhaupt ein Wodkaglas?". „Ist gut jetzt", stoppte Rune seinen nervigen Redeschwall. Die arme Bedienung schaute schon ganz verwirrt, also fasste ich unsere Bestellungen nochmal zusammen: „Also zwei Mal Spezi, einmal Wasser und eine Apfelschorle im Bierglas".

Ich schämte mich ja wirklich für diese Bestellung, doch Disse grinste hochzufrieden. Augenrollend wandte ich mich Niko zu, der auch wenig begeistert dreinblickte. „Also, was gab's Neues in den letzten Wochen, ihr beide seid wieder Single habe ich gehört", plapperte Disse weiter und wechselte seinen Blick zwischen Niko und mir. „Ja, korrekt", antwortete ich und auch Niko nickte hastig mit dem Kopf. „Ouhh, Liebe kommt und Liebe vergeht, egal wo sie auch steht", reimte Riesenmaul zusammen. „Kann man dir deine Fresse mit Klebeband zukleben? Dein Gelaber hält man ja echt nicht mehr aus", stöhnte ich auf. „Nächste Bestellrunde: Ein Klebeband, bitte", lachte Rune und Disse war daraufhin erstmal beleidigt und redete die nächsten fünf Minuten freiwillig nichts. Sein schelmisches Grinsen wurde nur groß, als seine Sonderbestellung geliefert wurde. Er stieß mit uns an und verstummte dann wieder. „Wo trifft sich eigentlich die österreichische Nationalmannschaft, Niko? Ihr spielt doch gegen Schweden, richtig?", fragte Rune. Niko meinte daraufhin: „Lehrgang findet in Wien statt, finde ich eigentlich ganz gut, dann kann ich meine Familie nochmal besuchen und ja, wir spielen dann gegen Lukas und Niclas". „Ouhh, dann siehst du ja Mariya wieder, richtest du ihr schöne Grüße von mir aus?", mischte sich wieder die Stimme ein, die mich noch um den Verstand brachte. „Du klingst wie ein Perverser", warf ich ein, ehe Niko in irgendeiner Art und Weise reagieren konnte. „Ich und pervers? Das ist wie Nordpol und Südpol, zwei Gegensätze, ihr versteht schon". „Ja, danke, wir haben es gecheckt", sagte Rune freundlicherweise und sprach dabei für uns alle. „Du hast doch ihre Nummer, schreib ihr doch selber", erwiderte Niko etwas angepisst. „Komm schon, Niko, wenn du doch sowieso bei ihr bist". Doch dieser blieb standhaft und provozierte: „Wenn ich Mariya überhaupt sehe, vielleicht ist sie ja auch bei ihrem Freund Luca, die beiden machen viel miteinander". Dieses Kontra saß, denn Disse war erstmal wieder still.

Wir redeten noch über dies und das und es war insgesamt einfach ein lustiger Abend und mittlerweile war es auch fast halb elf. Etwas besorgt schaute ich auf die Uhr. Ich wollte Niko nicht versetzen. Wobei... konnte man von versetzen überhaupt sprechen, wenn wir eigentlich schon beieinander waren? „Also Jungs, ich wird langsam müde, morgen ist ein wichtiges Spiel und ich glaube, das wollen wir alle gewinnen", erhörte Rune meine Gedanken und sorgte für Aufbruchsstimmung. „Jetzt schon? Die Nacht hat doch gerade erst begonnen", schmollte Disse. „Eben, du sagst es, die Nacht hat begonnen, wir gehören jetzt alle ins Bett. Ich bin nämlich auch müde". Der letzte Teil war gelogen, ich hoffte, dass Niko diese Lüge auch auffasste. Ich dachte wirklich an alles andere als an schlafen in diesem Moment und ich hoffte inständig, dass es Niko genauso erging. Ich sehnte mich wirklich nach seiner Nähe!

Beim Aufstehen raunte ich Niko zu: „Steht unser Date noch?". Rune und Disse waren abgelenkt, sodass sie nichts mitbekamen, „Na klar", bestätigte Niko. Zufrieden klammerte ich mich an Rune, während Disse und Niko ein paar Meter hinter uns liefen.

Marko schlief bereits, als ich ins Zimmer zurückkam. Ich zog mir nur schnell eine Jogginghose an und schrieb Niko, dass ich bereit wäre.

Niko: Lukas hat gerade sein Handy weggelegt, kann sich nur noch um Minuten handeln 😊

Steffen: Ich warte draußen auf dich♥

Niko: Ich werde kommen♥

Glücklich stellte ich mich nach draußen, lehnte die Balkontür an und schaute hinunter auf die beleuchteten Häuser und Straßen. Es war etwas frisch, aber heute war ein schöner milder Herbsttag gewesen. Ich wusste selbst nicht, was uns oben auf dem Dach erwarten würde, doch ich war sehr neugierig. Ungeduldig wartete ich auf meinen Zimmernachbarn, wippte nervös von einem auf das andere Bein. Vielleicht würde er mich ja versetzen. Ich spielte alle möglichen Horrorszenarien durch, doch dann stand er auf einmal da. Mit einem bezaubernden Lächeln. Mein Herz machte Freudensprünge und ich konnte mein Glück einfach noch immer nicht fassen. Zärtlich griff ich nach seinen Händen legte diese in meine. Gemeinsam schauten wir hinunter auf das nächtliche Mannheim und weil ich mich in seiner Nähe geborgen fühlte, legte ich meinen Kopf an seiner Schulter ab und er schlang seinen Arm um mich. 

LIEBE auf den zweiten Blick - Steffen -Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt