..47..

106 5 3
                                    

Zwei Stunden später wäre ich nicht mehr dazu in der Lage gewesen, Auto zu fahren. Es war genau das gleiche Spiel wie letztes Mal. Ich versuchte mir meinen Frust aus der Seele zu trinken, ich wusste, dass Niko nicht mehr kommen würde und meine eigentliche Freundin ging mir aus dem Weg. Nun stand ich bei meinem vierten Bier in der Küche, die Zahl der Wodka-Shots, die ich bereits zu mir genommen hatte, konnte ich gar nicht mehr zählen.

„Ey", wurde ich von einem Mädchen angesprochen. „Ey was?", äffte ich sie nach. „Mach nicht den ganzen Alkohol alleine leer, ich will auch noch was", zickte sie. Ihre Stimme kam mir irgendwie bekannt vor, ich hatte sie aber noch nie gesehen, also schob ich es auf meinen Alkoholkonsum. „Wie heißt du, Alki?", fragte sie ziemlich selbstbewusst. Sie nervte mich. „Kannst du wieder gehen. Danke! Ich will echt meine Ruhe haben", giftete ich sie an. „Nö, werde ich nicht". Sie nahm mein Bier aus der Hand und exte es leer. Beleidigt schaute ich sie an, als sie mir die leere Flasche wieder in die Hand drückte. „Hol ich mir halt ein Neues, und? Willst alles von mir leertrinken? Bitte, versuch es! Ich vertrage eh mehr als du". Warum konnte sie nicht einfach wieder einen Abflug machen? „Von mir aus, aber willst du kotzend über der Toilette hängen? Bestimmt nicht. Also solltest du aufhören zu trinken und mit mir mitkommen", ordnete sie an. „Äh, nein, ich komme definitiv nicht mit dir mit", stellte ich klar. In dem Moment betrat Mara die Küche, die ebenfalls schon ziemlich angeheitert war. „Oh, hi Steffen, ihr zwei kennt euch also schon?", fragte sie und schaute uns beide abwechselnd an. „Nein", sagte dieses Mädchen, „er will ja seinen Namen nicht verraten, aber danke, jetzt weiß ich, mit wem ich hier die Ehre habe". „Also, Steffen, Mia, Mia, Steffen", fasste Nikos Freundin die Situation knapp zusammen und zog diese Mia mit sich mit. Langsam wunderte es mich nicht mehr, dass sie mit Sally so gut klarkam.

War ich damals nur so betrunken, dass ich nicht gemerkt habe, wie meine jetzige Freundin wirklich drauf ist?

Sie wollte gerade die Küche betreten, sah mich dann und drehte sofort wieder um. Ich war allerdings schneller und hielt sie an der Schulter fest. „Willst du mich eigentlich verarschen? Reden wir gar nicht mehr miteinander?", fuhr ich sie an. „Lass mich los!", zischte sie. „Nein! Du erklärst mir erst, warum du heute Mittag so ausgeflippt bist. Ich habe nichts Falsches getan! Du warst diejenige, die einfach abgehauen ist und mich jetzt seit ich hier bin ignoriert". „Ich bin dir doch völlig egal, dein scheiß Handball ist dir wichtiger", schrie sie. „Mein scheiß Handball ist mein Beruf, mit dem ich Geld verdiene", stellte ich klar. „Toller Beruf", murrte sie und ging wieder davon. Verzweifelt griff ich zur nächsten Flasche und trank diese leer. Alleine.

Irgendwann musste ich aber aufs Klo gehen. Ich torkelte den Weg entlang, riss falsche Türen auf und fand dann das Badezimmer schließlich doch noch. Benommen schloss ich hinter mir ab und genoss erstmal einen Moment die Ruhe hier drin. Als ich wieder nach draußen wollte, hämmerte es an der Türe. War Sally mit gefolgt? Jedoch stand dort diese komische Mia und polterte weiterhin gegen das Holz. „Du schon wieder?", sagte ich abwertend. Überheblich schaute sie mich an und stolzierte an mir vorbei. „Was wird das?", fragte ich skeptisch. „Ich hab eine Blase am Fuß, brauche ein Blasenpflaster und jetzt hilf mir suchen!", ordnete sie an. „Warum sollte ich?". „Weil ich das sage", argumentierte sie und durchsuchte alle Schubladen und Schränke. Irgendwann stoppte sie und schaute mich mit einem Killerblick an: „Wird das noch was heute?". Widerwillig half ich ihr also bei der Suche und fand die Pflaster zufällig auch. „Mach mal dran", befahl sie. „Ich fass nicht deine dreckigen Füße an", stellte ich gleich klar und trat einen Schritt zurück. „Bitte, dann halte mich wenigstens fest, sonst kippe ich in die Badewanne", forderte sie. Sie war wohl genauso angetrunken wie ich, weil in dieser Position schaffte man es eigentlich nur schwer umzukippen.

„Kommst du mit raus? Ich brauch bisschen frische Luft", fragte sie dann schon in einem etwas freundlicheren Tonfall. „Von mir aus, schadet mir wohl auch nichts", lachte ich leicht und folgte ihr. Draußen setzten wir uns auf eine der Bierbänke und beobachteten die anderen Gäste. „Guck mal, der da hinten, der hält es nicht mehr lange durch", lachte Mia. Ich folgte ihrem Blick und stieg schließlich in ihr Lachen ein. „Jetzt erzähl mal was über dich, vorher habe ich ja nicht wirklich was über dich rausbekommen". Sie grinste mich an. „Okay, du lässt ja nicht locker", gab ich ihr zu verstehen, „ich bin Steffen Weinhold, spiele beim THW Kiel. Kennst du dich mit Handball aus?". „Ne, nicht wirklich, aber die Mädels haben schon von dir erzählt, scheinst cool drauf zu sein", antwortete Mia. „Du scheinst hier aber auch nicht wirklich so viele Leute zu kennen, oder?", fragte ich. „Ne, eigentlich nur Alina, Sally und Mara, die habe ich beim Feiern kennengelernt, längere Geschichte. Du bist doch mit Sally zusammen, oder?". „Ja, wenn man das noch so nennen kann", sagte ich ehrlicherweise. Ihr Blick sagte mir schon, dass ich diese Aussage weiter ausführen müsse. „Heute Mittag ist sie einfach grundlos abgehauen und seit ich hier bin geht sie mir aus dem Weg, ihr passt es nicht, dass ich durchs Handball so viel unterwegs bin", erklärte ich wahrheitsgemäß.

Wir redeten über dies und das und ich musste wirklich zugeben, dass Mia vollkommen in Ordnung war. Schlechter erster Eindruck, aber sie konnte mich vom Gegenteil überzeugen. „Es wird kalt, lass mal wieder reingehen", schlug sie vor und das hielt ich für einen sehr guten Plan. Im Wohnzimmer war einiges los und wir mischten uns einfach unter die Leute. Nach wenigen Minuten kam Mara zu uns, klammerte sich an mich und erzählte mir, wie dicht sie doch sei. „Was ist mit deinem Aufpasser los?", fragte ich sie und verwies schon wieder auf Niko. Sie fuhr sich kurz durch die Haare, zog dann ihr Handy aus der Tasche und hielt mir dann den Chat zwischen ihr und Niko vor die Nase. Das wollte ich sehen... noch nie einen anderen Wunsch gehabt!

Niko: Hey Süße♥ ich komme nicht mehr zurück, tut mir Mega leid, habe meine Schwester an Bahnhof gefahren und mir ist voll schlecht, ich werde mich jetzt ins Bett legen. Wenn du willst kannst du morgen vorbeikommen♥ ich liebe dich♥

Ich schob das Handy von mir weg, weil ich diese Worte nicht ertragen konnte. Es fiel mir schwer zu lesen, wie meine große Liebe jemand anderes schrieb, dass er sie liebte. Ich musste weg von Mara. Ich ertrag es einfach nicht! Sie war ein liebes Mädchen, sie konnte überhaupt nichts dafür, aber ich konnte nicht in ihrer Nähe sein. Mia folgte mir verwirrt. „Was ist los mit dir?". „Nichts, es ist alles gut, wirklich", versicherte ich ihr und fragte mich im Nachhinein, ob sie mir das wirklich abkaufte. Mein Atem wurde immer schneller und ich hatte mich selbst nicht mehr richtig unter Kontrolle. Das war natürlich auch dem Alkohol zu verschulden, aber dennoch beschäftigte mich diese Nachricht so sehr. Ich lehnte an der Wand, um mich zu beruhigen. Mia stand etwas ratlos daneben. Schließlich tauchte Sally mal wieder auf, sie kaute auf ihrem Kaugummi herum, als hätte sie einen Tennisball im Mund. Irgendwann erblickte sie mich ebenfalls, schaute mich abwertend an und trank einen großen Schluck von ihrem Becher. Dann schlenderte sie schon wieder überheblich davon.

„Mia?", sprach ich das Mädchen neben mir an, „hast du einen Freund?". Verwirrt zog sie ihre Augenbrauen nach oben und schüttelte langsam ihren Kopf. „Würde es dir was ausmachen, wenn ich dich hier und jetzt küsse?". „Aber ich dachte, du...", fing sie an, doch ich unterbrach sie sofort. „Vergiss, was du denkst, ich halte das nicht mehr aus".

Da sie nicht widersprach, bückte ich mich zu ihr herunter und fing an, sie leidenschaftlich zu küssen. Sofort erwiderte sie und fuhr mit ihrer Zunge an meinen Zähnen entlang. Ich zog sie enger an mich, umgriff mit meiner einen Hand ihren Hals, mit der anderen Hand ihre Wange und ich setzte alles in diesen einen Moment.

Auf einmal ging ein Schrei durch das ganze Zimmer. Erschrocken fuhren wir auseinander und da stand Sally, direkt neben uns. Ich wusste nicht, dass sie so ein lautes Organ hatte. Sie schmiss sich auf den Boden, wie ein kleines Kind im Supermarkt, wälzte sich hin und her und fing an zu heulen. Es waren Mara und Nathi, die Sally wieder auf die Beine zogen und sie in ein Zimmer schleppten, wo sie weiter schrie und völlig durchdrehte. Wahrscheinlich zurecht, aber es war mir in diesem Moment echt egal. „Komm mit raus, ich kann hier grad nicht mehr bleiben", raunte ich Mia ins Ohr und an der Hand zog ich sie hinter mir her. Dort angekommen zog ich sie erstmal wieder zu mir her und küsste sie nochmals: „Ich bereue nichts von dem, was ich tue", stellte ich klar. Mia nickte und wir liefen ein Stück weiter. „Was war das?", fragte sie plötzlich und blieb stehen, „hast du das auch gehört?". „Ne, ich höre grad immer noch nur Sally, wie sie rumschreit", witzelte ich, doch das meinte Mia nicht. Sie ging voraus, ich folgte ihr weiterhin. Plötzlich trat sie einen Schritt zurück und prallte gegen mich. „Was?", fragte ich verwirrt. „Umdrehen, das wollen wir nicht sehen", lachte sie beschämt. Plötzlich sah ich den Kopf von Ole. „Ole?".

Ja, ich raffte gar nichts mehr!

„Lass ihn, er und Alina haben gerade Spaß, da wollen wir mal nicht stören", meinte Mia, „und wir haben jetzt auch noch Spaß, bevor das spätestens in zehn Minuten alles eskalieren wird!".

LIEBE auf den zweiten Blick - Steffen -Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt