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Ein halbes Jahr später sollte es also bald soweit sein. In genau einer Woche ging unser Flieger nach Mallorca. Niko und ich hatten uns mittlerweile mit der ganzen Situation abgefunden und auch unsere Liebe war nicht aufgeflogen. Wir wurden mit der Zeit immer professioneller im Umgang miteinander. Nach dem Training und nach den Spielen sah das allerdings immer ganz anders aus und wir fielen gierig übereinander her. Ich war verliebt wie am ersten Tag und dennoch kamen in den letzten Wochen immer mehr Zweifel bei mir auf. Der Altersunterschied, die Tatsache, dass ich einen Mann liebte, das Versteckspiel vor der Mannschaft und den Medien. Ich war mir einfach nicht sicher, ob das auf Dauer so gutgehen würde.

Ich lag schon lange wach im Bett. Niko schlief noch seelenruhig und draußen war es noch stockdunkel. Doch in dieser Nacht bekam ich einfach kein Auge mehr zu. Zu sehr ging mir dieser Urlaub nach. Ich war mir langsam nicht mehr sicher, ob das wirklich die beste Idee war. Als Niko nach einer halben Ewigkeit aufwachte, konfrontierte ich ihn mit Disses Nachricht, der nochmal bestätigt hatte, dass es nächste Woche losgehen konnte. „Was ist?". Niko schaute mich etwas irritiert an. „Das wird ja eine super entspannte Woche für uns zwei", äußerte ich meine Zweifel, „wahrscheinlich werden wir vierundzwanzig Stunden am Tag überwacht und es wird Verdacht ohne Ende geschöpft". Ich hatte guten Grund das zu sagen, denn Disse war grundsätzlich der neugierigste, hatte sich einmal sogar hinter einem Pfosten versteckt, als nur noch Niko und ich in der Halle waren, um uns zu belauschen. Gottseidank haben wir über banale Themen geredet und dann hatte ich ihn auch bemerkt. Davon wusste er allerdings nichts. Ab dem Zeitpunkt war ich noch vorsichtiger, was ihn anging. „Solange es nur Verdacht ist, ist es mir egal, die müssen ja nichts sehen", meinte Niko locker. Die Seiten haben sich etwas verkehrt: Mittlerweile bin ich derjenige, der immer darauf achtet, dass niemand von uns erfährt und Niko nimmt es seit einigen Wochen schon etwas auf die leichte Schulter. Ganz wohl war mir bei der Sache nicht. „Du weißt, wenn Disse davon erfährt sind wir beide am Arsch. Der posaunt die Neuigkeiten erstmal in der ganzen Welt herum", sagte ich etwas lauter. „Jaja, ich weiß, das kriegen wir schon hin", gähnte Niko unbeeindruckt.

Warum war ihm auf einmal alles so egal?

Etwas säuerlich stand ich auf und ging ins Bad. Ich musste mich erstmal wieder beruhigen. Da stand mehr auf dem Spiel, als Niko dachte! Warum verstand er das nicht? Wie würden wir nur dastehen, wenn die ganze Welt plötzlich erfährt, dass Niko und ich seit einem halben Jahr eine geheime Beziehung führen? Wie würde vor allem die Mannschaft darauf reagieren? War ihm das überhaupt bewusst, was alles davon abhing?

Ich bereitete in der Küche Frühstück vor, als Niko mit gesenktem Kopf den Raum betrat: „Ich glaube du hast Recht mit nächster Woche, ich habe nachgedacht, wir müssen so wahnsinnig aufpassen". Einsicht! Wie schön! „Tut mir leid, dass ich es vorher so auf die leichte Schulter genommen habe", fügte er an. „Alles gut, Niko, wir kriegen das hin", versicherte ich. Auch ich hatte mich wieder beruhigt.

Wir aßen weiter, redeten dabei aber nicht. Jeder war in seinen eigenen Gedanken versunken. „Ich bin einfach glücklich, so wie es jetzt grad ist", begann Niko zu reden. Gerade wollte ich etwas darauf erwidern, da fuhr er fort: „Naja... bis auf die Tatsache, dass unsere Liebe geheim ist... dass niemand davon weiß". Ich schluckte. „Dafür haben wir gerade die schönste Zeit... ich glaube nämlich nicht, dass wir glücklicher werden, wenn es alle wissen", meinte ich sachlich. Nikos Blick senkte sich: „Ich würde dich einfach mal gerne draußen auf der Straße küssen... händchenhaltend durch die Kieler Innenstadt laufen... ein Bild von uns im Bett posten". Seine Aufzählungen stimmten mich ziemlich nachdenklich. Ich traute mich kaum, die nächsten Worte auszusprechen. „Du zweifelst unsere Beziehung jetzt doch nicht etwa an?!".

Dann herrschte Totenstille. Man hätte eine Stecknadle zu Boden fallen hören können.

„Nein, das würde ich niemals tun, aber-", beschwichtigte er, ich unterbrach ihn allerdings: „Wir sind eben anders, Niko. Wir sind kein normales Paar. Schau uns doch an. Du bist Anfang zwanzig und ich steuer auf die dreißig zu. Jetzt spielen wir vielleicht noch zusammen in einem Verein, aber das kann sich schnell ändern. Was willst du machen, wenn ich plötzlich für einen anderen Club auflaufe... wenn ich ein anderes Trikot trage? Wir sind Profihandballer. Die paar freien Stunden, die uns bleiben können wir zusammen verbringen. Ansonsten wären wir doch nur normale Teamkollegen, die sich jeden Tag im Training sehen. Ich weiß einfach nicht, ob es auf Dauer die richtige Entscheidung mit uns ist".

LIEBE auf den zweiten Blick - Steffen -Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt