Der erste Eindruck

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"Und was, wenn wir es nicht schaffen", zweifelt Lena meinen Vorschlag an. "Dann fahren wir eben morgen früh mit dem ersten Zug nach Hause. Komm schon, lass uns einfach nach dem Konzert etwas trinken gehen. Du hast mich schließlich überredet mitzukommen, dann kannst du auch danach mit mir trinken", widerspreche ich. Klar, kenne ein paar Lieder von Wincent und finde seine Musik jetzt auch nicht schlecht, trotzdem wäre er nicht meine erste Wahl für ein Konzert gewesen. "Emma, hörst du mir zu?", reißt mich Lena aus meinen Gedanken. Schuldbewusst grinse ich sie an. "Wir gehen trinken, aber ich fahre mit dem letzten Zug nach Hause", wiederholt sie und ich nicke zufrieden. Ich kann ja länger bleiben.

Als wir das Konzertgelände erreichen, schlägt uns eine unfassbare Lautstärke entgegen. Wie kann man nur so ausflippen? "Wie sieht der Typ überhaupt aus?", wende ich mich an Lena. Dieser Blick, am liebsten würde sie mich jetzt vermutlich anspringen und schütteln. "Lass dich überraschen, aber er ist voll dein Ding", grinst sie, doch ich sehe ihr an, dass es sie viel Zurückhaltung kostet, nicht zu schwärmen. Wir zeigen dem Securitymann unsere Karten und ich schüttle noch einmal den Kopf über den Preis. Wieso habe ich noch gleich gesagt, dass ich mitkomme? Die Frontrow Karten haben ein Vermögen gekostet! Die zwei Stunden bis das Konzert beginnt ziehen sich unglaublich hin und den Hampelmann von Vorband kann man auch komplett vergessen. Als dann endlich Wincent auf die Bühne kommt, halte ich mir instinktiv die Ohren zu, da um mich rum alle kreischen. Wir stehen in der ersten Reihe und auf einmal drücken die anderen Menschen von hinten. Wieso stellt man sich noch einmal als klaustrophobischer Mensch in eine Menschenmasse? Richtig, weil man seine beste Freundin verdammt liebhat. Atmen, einfach atmen. Auf einmal steht besagter Sänger direkt vor uns und mir bleibt ehrlich gesagt kurz der Mund offenstehen. Lena hatte recht, der ist echt genau mein Typ. Kurz bleibt sein Blick an mir hängen und er runzelt die Stirn, dann hüpft er auch schon weiter. Wow, diese Energie Und in dem Moment fällt mir auf, dass meine Finger noch in meinen Ohren stecken. Ach deshalb hat er so blöd geguckt! Ich bin tatsächlich von seiner Ausstrahlung voll und ganz eingenommen für den Rest des Konzerts. Die Musik rückt für mich in den Hintergrund und ich bin einfach von seiner Energie gebannt. Und auf einmal ist es einfach vorbei. Er ist hinter der Bühne verschwunden und ich schüttle kaum merklich den Kopf, als ich aus meiner Erstarrung gerissen werde. Lena grinst mich breit von der Seite an. "Na, war doch nicht so schlecht mitzukommen?", fragt sie selbstsicher. "Er hat eine krasse Ausstrahlung", gebe ich zu und beiße mir auf die Unterlippe um mein Grinsen zu verbergen.

Ein Herzschlag entfernt | Wincent WeissWo Geschichten leben. Entdecke jetzt