Den Kopf verlieren

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Ziemlich müde schlendern wir nach dem Essen zurück zu meiner Wohnung. Dort verabschieden wir uns und jeder steigt in sein Auto. Völlig fertig stelle ich mich Zuhause unter die Dusche und seufze als das warme Wasser auf meine verspannten Muskeln prasselt. Im Bett brauche ich keine zwei Minuten um einzuschlafen.

Am nächsten Morgen reißt mich mein Wecker aus dem Schlaf und ich stöhne genervt. Mein ganzer Körper schmerzt und ich kann mir nicht vorstellen heute überhaupt etwas hinzubekommen. "Na gestern warst du aber besser drauf, hat dich der Sänger schon abserviert?", fragt mein Bruder, als ich mich an den Frühstückstisch fallen lassen. Sofort liegt der sorgenvolle Blick meiner Mutter auf mir. "Nein", knurre ich und beiße in ein Brötchen. Das Wetter draußen ist fantastisch, eigentlich der ideale Tag um meine Matratze mitzunehmen. "Kann ich heute den Anhänger haben? Ich will meine Matratze schon mitnehmen, wenn das Wetter gut ist", frage ich meinen Vater. Er nickt nur stumm und liest weiter in der Zeitung. War ja klar. Seufzend erhebe ich mich und räume meinen Teller weg. Danach schmeiße ich mich wieder in alte Klamotten und mache mich mit meiner Matratze im Schlepptau auf den Weg nach draußen. Der Anhänger ist schnell angehängt und kurze Zeit später stehe ich vor meiner Wohnung.

"Endspurt", höre ich Wincents Stimme hinter mir. "Was machst du denn schon hier? Ich habe doch gar nicht geschrieben?", frage ich und bin augenblicklich wieder gut gelaunt. "Eigentlich wollte ich dich überraschen und schon anfangen", lacht er und ich schaue ihn fragend an. "Und wie wolltest du in die Wohnung kommen?", frage ich und muss lachen, als ich seinen Gesichtsausdruck sehe. "Daran habe ich gar nicht gedacht", gibt er kleinlaut zu. Also wenn sein Kopf nicht festgewachsen wäre, würde er ihn verlieren. "Naja, wenn du schon da bist, kannst du mir mit der Matratze helfen", grinse ich und ziehe sie vom Anhänger. Wincent ist sofort zur Stelle und hilft mir sie nach drinnen zu tragen. Während ich noch einmal nach unten gehe und meine Bettwäsche aus dem Auto, fängt er schon an zu streichen. "Du könntest morgen mit zum Konzert kommen", schlägt Wincent wenig später vor, als wir die lila Streifen auf die Wand malen. "Nehms mir nicht übel, aber ich brauche eine Pause. Ich werde morgen den Rest hier fertig machen und sterbe jetzt schon vor Muskelkater. Ich glaube bis morgen Abend bin ich komplett hinüber", antworte ich und schaue ihn entschuldigend an. "Kein Problem, ich bin auch ziemlich fertig", gibt er zu. "Du musst mir hier nicht helfen, vielleicht solltest du dich lieber ausruhen", werfe ich ein und habe sofort ein schlechtes Gewissen. Er muss morgen schließlich fit sein und ein gutes Konzert spielen. Er schüttelt nur den Kopf und macht weiter.

Am Abend haben wir alles von unserer To-Do-Liste abgehakt und sitzen mit Pizza auf meinem Bett. "Wann bist du eigentlich fertig mit der Tour?", frage ich nach einer Weile und werfe den leeren Karton auf den Boden vorm Bett. "Dauert nicht mehr lange, es sind noch sechs Konzerte", antwortet er und springt auf, "Ich schließe mal den Fernseher an". Ich schaue im verwirrt hinterher und schüttle nur den Kopf, als er den Fernseher aus dem Flur holt und gegenüber vom Bett anschließt. Er ist wirklich schnell und meldet sich wenig später bei Netflix an. "Wie gut, dass du das WLAN als erstes eingerichtet hast", sagt er und macht sich auf dem Bett breit. Ich lasse mich nach hinten fallen und ziehe die Decke über mich. Das könnte rein theoretisch die erste Nacht in meiner ersten eigenen Wohnung sein. Wincent schlüpft auch mit unter die Decke und schlingt die Arme um mich. Ich drehe mich in seinem Arm um und schaue ihn an. "Weißt du was mich stört? Du hast mich den ganzen Tag noch nicht geküsst", sage ich und grinse. Er fängt auch an zu grinsen und legt seine Lippen auf meine.

Ein Herzschlag entfernt | Wincent WeissWo Geschichten leben. Entdecke jetzt