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YOUR POV

Ich starrte wie benommen aus dem Fenster des Zuges, während wir durch die Präfektur Miyagi rasten. Die Landschaft zog sich wie ein Spielfilm an uns vorbei. Genauso wie die, die wir, als wir noch jünger waren, geguckt hatten.
Die Bäume trugen noch leichte Spuren des kalten Winters an sich, der erst wenige Wochen zurücklag, aber Knospen bahnten sich schon ihren Weg nach draußen. Viele waren auch schon am blühen, sodass manche Bäume die ein oder anderen Blüten trugen.
Ich war so vertieft in die vorbeiziehenden Szenarien, dass ich fast gar nicht bemerkte, wie mir meine kleine Schwester etwas unter die Nase hielt.
"Hier guck mal, V/N, unser Papa ist in der Zeitung", sagte Mio aufgeregt und zeigte dabei mit ihrem Finger auf ein Bild in der Zeitschrift, die sie mit ihren kleinen Händen festhielt.
Ich nahm ihr die Zeitung behutsam ab und sah mir den Artikel genauer an. Es sollte für mich nichts neues mehr sein, unseren Vater in Zeitungen oder Nachrichten zu sehen. Er war immerhin Isamu Nakamura, der berühmte und beste Zuspieler, der in der japanischen Nationalmannschaft für Volleyball spielte. Ich sollte mich freuen, ich sollte glücklich sein, so einen unglaublich berühmten und auch gutverdienenden Vater zu haben, aber das tat ich nicht. Das tat ich noch nie - das wusste ich jetzt.
Denn jetzt, nach der Scheidung meiner Eltern, als Mio und ich den Nachnamen unserer Mutter angenommen hatten, verband uns nur noch die Tatsache, dass er unser leiblicher Vater war. Mehr aber auch nicht.
Nach Mios Geburt wurde schnell klar, dass der Sport ihm wichtiger war, als seine eigene Familie. Er war kaum zu Hause und wenn er es mal war, dann stritten er und unsere Mutter sich nur - bis sie beide beschlossen hatten, dass die Scheidung das Beste wäre.
Meine Mutter, die von unserem Zuhause in Tokio in die Präfektur Miyagi, zu dem alten Haus meiner und Mios verstorbenen Großeltern gezogen war, hatte das volle Sorgerecht erhalten, da es sowieso besser für uns war, wenn wir jemanden hatten, der mehr Zeit für uns hatte und nicht ständig außer Haus war. Zudem schien es gut, wenn unser Elternteil das gleiche Geschlecht wie wir hätte, das wollte aber niemand laut aussprechen.

Und jetzt saßen Mio und ich hier und fuhren mit dem Shinkansen gen Norden. Es war zum kotzen. Und das alles nur wegen diesem beschissenen Volleyball. Wäre meine Mutter doch damals nie auf ein Volleyballturnier gegangen, dann hätte sie sich nie in unseren Vater verliebt. Und er sich nicht in sie.
Und dann hätten Mio und ich nicht so eine Kindheit erleben müssen.
Ich sah zu meiner Schwester, die auf den Polstersitzen mir gegenüber gerade ihre zweite Packung Mochi aufmachte.
"Iss nicht so viele davon. Du weißt doch, später gibt es bei Mama etwas zu essen", mahnte ich sie, doch musste selber lächeln.
Mio sah auf die nun schon offene Packung und wieder zurück zu mir und hielt sie mir schließlich hin.
"Willst du auch einen?", fragte sie mich und mein Lächeln wurde bei ihrem unschuldigen Blick noch breiter.
Mio war mit ihren gerade mal neun Jahren schon erschreckend klug, was mir immer mal wieder Sorgen bereitete. Sie wusste, weshalb sich unsere Eltern getrennt hatten und sie wusste auch, warum sie sich immer stritten, obwohl ich jedes Mal versucht hatte, sie davon abzuschirmen.
Doch trotzdem war sie so unschuldig, dass ich sie um jeden Preis beschützen wollte. Ich hoffte nur, dass an unser beider neuen Schulen alles gut laufen würde.
Unsere Mutter hatte immer so gut wie möglich versucht, uns aus dem Rampenlicht unseres Vaters herauszuhalten, was ihr auch zum Teil gelungen war. Zwar wussten alle, dass Isamu verheiratet war und auch zwei Kinder hatte, doch keiner wusste, wie wir aussahen. Auch, dass wir den Nachnamen unserer Mutter hatten, wird uns in den neuen Schulen helfen.
Die Wahrscheinlichkeit, dass uns dort jemand erkannte, war verschwindend gering.

Ich sah wieder zurück aus dem Fenster. Die Kirschblüten waren dieses Jahr wieder einmal besonders schön. Mio und ich hatten das Glück, zum Beginn des neuen Schuljahres wechseln zu können und nicht erst mittendrin.
Doch dann war da noch das große und wohlbekannte Problem mit dem Wunsch für die Zukunft.
Alle wussten schon, was sie mit ihrer Zukunft anfangen wollten. Sogar Mio wusste es schon. Wenn sie mit der Oberschule fertig war, wollte sie nach Kyoto ziehen und dort ein eigenes Mochigeschäft aufmachen. Das klang vielleicht wie etwas, was jedes neunjährige, Mochi-verrückte Mädchen sagen würde, aber es war immerhin etwas.
Ich kam jetzt in das zweite Jahr der Oberschule und wusste noch gar nicht, was ich mit meiner Zukunft anstellen sollte. Als kleines Mädchen wollte ich auch Volleyballspielerin werden, wie mein Vater, aber dieser Wunsch hatte sich schnell verflüchtigt.

Ist man gut in Volleyball, wird man berühmt und wenn man berühmt war, blieb für Familie oder Liebe keinen Platz. Das war nunmal die traurige Wahrheit.

_________

Keine Stunde später fuhren wir auch schon in den Hauptbahnhof der Hauptstadt Sendai in Miyagi ein. Ich nahm meine Schwester an der Hand und führte sie gemeinsam mit unserem Gepäck aus dem Zug. Ich erkannte unsere Mutter erst gar nicht wieder, als sie sich durch die Menschenmassen zu uns durchkämpfte.
Sie sah gut aus, besser als das letzte Mal, kurz vor der Scheidung. Ihre Wangen waren nicht mehr so stark eingefallen und ihr Gesicht wirkte jetzt ohne Schminke auch viel natürlicher und hübscher. Sie hatte ihre Fingernägel lackiert und ihre Haare zu einem Zopf geflochten.
"Lasst euch drücken, meine Süßen, ich habe euch so vermisst", sagte sie und schlang sofort ihre Arme um mich und Mio.
"Wir haben dich auch vermisst, Ma. Obwohl es nur drei Tage waren, in denen wir uns nicht gesehen haben", erwiderte ich und schloss meine Augen, als ich sie zurückumarmte.
"Hier, Mama, guck mal, was ich dir mitgebracht habe." Nachdem Mio unserer Mutter eine Packung Mochi aus dem Zugrestaurant, die sie aufbewahrt hatte, überreichte, gingen wir gemeinsam zum Parkplatz, wo das Auto unserer Mutter stand.

Das Haus unserer Großeltern lag etwas außerhalb von Sendai, aber unsere Mutter hatte uns versichert, dass wir mit dem Bus direkt in die Stadt fahren könnten. Dennoch zu unseren Schulen fuhr sie uns selbst, da diese auf ihrem Weg zur Arbeit lagen.
"Freut ihr euch schon auf morgen?", fragte unsere Mutter und sah uns dabei durch den Rückspiegel hindurch an.
Ich seufzte und überließ Mio das reden, die schon direkt drauf los brabbelte.
Erste Schultage waren nie leicht.
Aber vielleicht schaffte ich es auch an dieser Schule, mich, wie die letzten Jahre in meiner Schulzeit, einfach unsichtbar zu machen.

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Huhu✨

Vielen Dank, dass ihr euch dazu entschieden habt, dieser Geschichte eine Chance zu geben und ich hoffe, daß erste Kapitel hat euch gefallen, ansonsten würde ich mich auch sehr über Kritik in den Kommentaren freuen<3

Wer weiß, vielleicht lest ihr ja weiter😉

Bis dann❤️

   - A

Falling For Her // (Oikawa x Reader) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt