36.

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OIKAWA POV

Vorsichtig öffnete ich meine Augen. Es war so hell. Zu hell. Was war das für ein grelles Licht?
Ich erinnerte mich nur noch daran, dass ich den Ball auf die andere Seite des Netzes schlagen wollte. Und an diesen höllischen Schmerz, der dann mein ganzes Bein durchfuhr. Was war passiert? Wie war das Spiel ausgegangen? Und wie lange war ich bewusstlos?
"Bin ich tot?", murmelte ich unterbewusst und zwang mich, meine Augen weiter zu öffnen.
"Noch nicht ganz.", ertönte eine Stimme. Sie klang so wunderschön und so fremd, doch gleichzeitig auch vertraut.
Ich konnte Umrisse einer Person erkennen, die neben mir saß, dann das Fußende eines Bettes und auch den Rest des Raumes, in dem ich lag. Das weiße Licht wurde immer schwächer und klare Strukturen wurden sichtbar.
"Träume ich?", fragte ich und starrte die Person an, die neben meinem Bett auf einem Stuhl saß, den Trainingsanzug der Seijoh tragend.
"Nein, tust du nicht. Aber vielleicht wünschst du dir gleich, du tätest es.", sagte V/N und erst jetzt bemerkte ich, wie fertig sie eigentlich aussah.
"Was machst du hier?", fragte ich leise und meine Fingerspitzen zuckten. Wie gerne ich sie jetzt berühren wollte. In meine Arme nehmen wollte. Auch wenn sie mir schon einmal verdammt wehgetan hatte, es tat noch viel mehr weh, sie so erschöpft zu sehen. Ihre Augen waren gerötet und blutunterlaufen. Ihre Haut war ganz blass und ihr Blick betrübt und müde.
"Herr Irihata hat mich gebeten, bei dir zu bleiben, falls du aufwachst. Er und Herr Mizoguchi waren nicht sehr erfreut über das, was passiert ist.", seufzte sie und stand auf.
Nein, geh nicht, flehte ich sie stumm an.
"Hier ist ein Glas Wasser. Du musst was trinken." V/N reichte mir ein frisches Glas, das zusammen mit einer vollen Karaffe auf einem Tisch stand. Dankbar nahm ich es an und merkte jetzt erst, wie staubtrocken sich mein Mund anfühlte.

"Wie lange war ich bewusstlos?", fragte ich und stellte das leere Glas auf ein Tischchen neben meinem Bett.
"Du warst nicht bewusstlos, Oikawa. Nachdem die Sanitäter dich hier ins Krankenzimmer gebracht haben, hat dir ein bereitstehender Arzt Beruhigungstabletten gegeben und du bist vor Erschöpfung und Schmerzen eingeschlafen.", erwiderte V/N und klang dabei angespannt. Auch ihre Hände zitterten unkontrolliert, doch sie stand zu weit weg, als dass ich sie hätte berühren können.
"Was... Was ist mit dem Spiel?" Meine Stimme zitterte. Machte ich mir gerade mehr Sorgen um das Spiel, als um meine Gesundheit oder V/N?
"Nachdem du weggebracht wurdest, hat Herr Irihata sich mit dem Schiedsrichter abgesprochen und das Spiel wurde fortgefahren. Auch ohne dich konnte dein Team gegen die Dateko gewinnen."
Etwas löste sich in meiner Brust und ich atmete erleichtert aus.
"Das heißt aber nicht, dass du heute bei eurem Nachmittagsspiel antreten kannst. Dir wurde für den restlichen Tag Bettruhe verschrieben. Der Arzt kommt gleich wieder und untersucht dann nochmal dein Knie. Anscheinend hast du eine leichte Muskelquetschung erlitten.", sagte sie und holte eine Salbe aus der Sporttasche, die um ihren Stuhl hing.
"Was? Was soll das heißen, ich kann heute nicht mehr spielen?"
"Das soll heißen" Sie drehte den Tubendeckel auf. "Dass du eine leichte Knieprellung hast, Oikawa, und dass du morgen, solltet ihr heute Nachmittag wieder gewinnen, auch noch nicht spielen kannst." Sie schlug die Decke zur Seite und ich erschrak beim Anblick meines Knies. Es war nur leicht angeschwollen, doch aus dem gewöhnlichen Hautton war eine Mischung aus allen möglichen Blau- und Lilatönen geworden.

"Hier." V/N reichte mir die offene Tube. "Reib dir damit dein Knie ein und zwar ordentlich. Das ist eine Wundsalbe."
"V/N.", flüsterte ich, nachdem ich die Tube in meinen Händen nachdenklich musterte. "Wieso bist du wirklich hier?"
V/N blieb mitten in ihrer Bewegung stehen. "Was meinst du? Ich hab doch schon gesagt, dass Herr Irihata-"
"V/N.", unterbrach ich sie und meine Stimme hatte einen eisigen Ton angenommen. "Hör auf, mich anzulügen. Bitte, hör mit dem lügen auf. Du bist nicht nur hier, weil der Coach es dir so gesagt hat." Etwas entflammte in mir. Etwas, das ich sonst nur beim Volleyball spürte. Ich liebte dieses Mädchen, verdammt, also warum? Warum hatte sie gelogen? Nicht nur jetzt, auch damals. Damals, als sie mir das Herz gebrochen hatte, hatte sie mir mitten ins Gesicht gelogen.
"Oikawa, ich-"
"Sag es, V/N. Wieso hast du auch damals gelogen?" Ich konnte sie nicht ansehen, weil ich Angst hatte. Angst davor, was ich in ihren Augen sehen würde, wenn ich aufblickte.
Ich hörte, wie sie sich auf den Stuhl fallen ließ. Ihr Atem ging schnell, genauso wie meiner.
"Ich habe damals nicht gelogen, Oikawa. Aber ich habe dir auch nicht alles erzählt.", sagte sie leise und mein Herz pochte irgendwo in meiner Kehle.
Nicht alles erzählt?
Mit jeder Sekunde, die sie schwieg, wollte ich am liebsten aufspringen und sie bei den Schultern packen. Ich wollte sie so lange anschreien, mir jetzt zu sagen, was sie damals nicht konnte, und mich nicht länger zu quälen. Denn um ehrlich zu sein war jeder Tag, den ich nicht mit ihr verbringen konnte, jede Minute, die sie nicht da war und mich anlächelte, eine Höllenqual. Ich dachte, ich bräuchte niemanden, der sich um mich sorgte, sich um mich kümmerte, aber nie in meinem ganzen Leben lag ich falscher.

"Mein Vater kam nicht nach Miyagi, einfach weil er Lust dazu hatte.", fing sie nach einem langen Schweigen an.
"Er... wollte mir einen Vorschlag machen."
Ich sah auf. V/N hatte den Kopf gesenkt und ihre Stimme war leise.
"Er wusste, dass ihr noch nie gegen die Shiratorizawa gewonnen habt und hat darum angeboten, euch zu trainieren." Sie lachte auf. Doch es klang falsch und leer. "Ich meine, man hat ja gesehen, dass sich das Training dieses Mistkerls bezahlt gemacht hat."
Ich schluckte. "Was hat er im Gegenzug verlangt?"
Schweigen.
"V/N", wiederholte ich mit warnendem Unterton. "Was hat er im Gegenzug verlangt?" Meine eigene Stimme klang mir so fremd, dass es mir selbst Angst machte.
"Er wollte, dass ich nach den Turnieren mit ihm nach Tokio komme, wo er mich im Volleyball weiterfördert. Es würde seinem Ansehen helfen, wenn die Öffentlichkeit ihn wieder mit seiner Tochter sehen würde.", sagte sie.
Die Zeit stand still. V/N würde... nach Tokio ziehen. Schon direkt nach den Turnieren. Nein. Nein. Nein.
Sie durfte nicht gehen. Sie durfte mich nicht verlassen.
Lass mich bitte nicht allein.
Ich brauchte sie. Mehr als jeden anderen. Aber nicht als jemand, der mir jeden Tag ein Bento machte, weil er der Meinung war, dass ich mich nicht ausgewogen genug ernährte. Auch nicht als jemand, der mir die Hausaufgaben brachte, wenn ich krank war, und sich danach um mich kümmerte. Ich brauchte sie hier, damit ich ihr Lächeln weiterhin sehen konnte. Ich brauchte sie einfach als Person. Ihre unglaubliche Art, mit der sie mich sogar im Volleyball besiegen könnte. Ich brauchte sie.
Denn ich liebte sie.

"Wieso hast du angenommen?", fragte ich und meine Stimme war nichts mehr als ein hilfloses Krächzen.
"Es ist doch dein größter Wunsch, oder? Die Shiratorizawa und Ushijima endlich einmal zu besiegen. Nur mit meinem Vater wäre das möglich gewesen. Du hast es doch selbst gesehen. Ihr alle seid so viel besser geworden. Und..." Sie brach ab und Strich sich eine lose Haarsträhnen aus ihrem zum Boden gewandten Gesicht. "Ich habe es auch für mich getan. Als ich dem Klub als Managerin beigetreten bin, habe ich wieder bemerkt, wie unglaublich viel Spaß Volleyball mir macht und wie sehr ich es liebe. Durch meinen Vater könnte ich später in die Nationalmannschaft kommen und das ist schon ein Traum von mir seit ich denken kann."
Ich sah sie einfach nur wieter an und merkte nicht, wie sich Tränen in meinen Augen gebildet hatten.
"Weißt du", lachte sie leise. "Ich habe mich am Anfang nur so von dir ferngehalten, weil ich nicht wollte, dass eine... mögliche Liebe zwischen uns beiden genauso endet wie bei meinen Eltern. Du hast Talent, Oikawa. Unglaubliches Talent. Ich bezweifle nicht, dass du später mal eine Medaille der olympischen Spiele um den Hals tragen wirst. Und genau dieses Talent machte dich so gefährlich für mich. Für uns beide."
"V/N, bitte, ich..." Alles um mich herum verblasste. Nur noch V/N's Worte schwirrten in meinem Kopf umher. Das war also der Grund. Dieser Grund war es schon immer gewesen. Wie konnte ich nur so blind sein?
Iwa-lein hatte Recht, ich war wirklich ein Idiot.
V/N stand von dem Stuhl auf und hing sich die Tasche über die Schulter.
"Ich glaube, jetzt muss ich mir etwas eingestehen, was ich zu Beginn nicht wahrhaben wollte." Sie hob den Kopf und sah mir endlich in die Augen. Ihre A/Fen Augen waren voller Tränen, doch keine einzige lief ihr die Wangen hinunter. "Ich liebe dich, Oikawa, und es tut mir leid. Wegen allem, was passiert ist." Traurig lächelnd wischte sie sich über die Augen und lehnte den Kopf etwas zurück, bevor V/N mich wieder ansah. "Die Jungs kommen gleich auch mal, genauso wie der Arzt. Hör darauf, was er sagt, dann kannst du mit etwas Glück übermorgen wieder spielen.", fügte sie noch hinzu und ging zur Tür. Ihre Hand lag auf der Türklinke und für einen kurzen Moment wagte ich zu hoffen, dass sie doch nicht gehen würde.
Doch dann öffnete sie die Tür und verschwand im Flur.

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Huhu, ich hoffe es hat euch gefallen, auch wenn es etwas kitschig war, aber ich glaube, das musste auch mal sein✨

Das nächste Kapitel kommt morgen irgendwann im Laufe des Tages<3

Bis dann❤️

   - A

Falling For Her // (Oikawa x Reader) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt