Kapitel 21

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POV Valeria

„Allegra!"
Andrin stand im Türrahmen seines Restaurants und winkte zu uns rüber, als wir gerade aus dem Auto stiegen. Das Bergdorf, in dem wir nun waren, konnte unmöglich mehr als 300 Einwohner haben. Ich fragte mich, ob sich eine Wirtschaft hier oben überhaupt lohnte.
Sascha ging zu ihm hin, sie schlugen zur Begrüssung ein, ehe sich Andrin mir widmete und mich sachte umarmte. Ich kniff die Augen schon zusammen, da ich eigentlich einen heftigen Schmerz erwartete. Das letzte Mal, als er mich umarmte, klopfte er mir nämlich herzhaft mit der flachen Hand auf den oberen Rücken. Dass er mich jetzt sanfter als das letzte Mal in seine Arme schloss, verwirrte mich. Es war, als wüsste er Bescheid, aber er sagte nichts.
Wir gingen hinein und setzten uns an einen grossen, runden Tisch.

"Pass auf, jetzt tut er's gleich!"
Andrin, der sich inzwischen zu uns gesellt hatte, lehnte sich zu mir rüber und sprach so leise, dass nur ich es hören konnte.
Inzwischen waren kaum mehr Gäste da, bis auf den Stammtisch, der sich hier schon fast von selbst versorgte, waren wir die letzten Besucher.
Sascha, der uns gegenüber sass, nahm gerade seinen Burger in die Hände, führte ihn zum Mund und verschlang etwa die Hälfte davon in nur einem Bissen. Andrin und ich lachten laut auf. Es schien ihm die ganze Zeit über schon bewusst gewesen zu sein, dass er beobachtet wurde, er schien Andrins Reaktion schon erwartet zu haben.
"Und jetzt verschlingt er das Teil ohne es zu zerbeissen!" Andrins Stimme war schon fast ein ungläubig klingendes Brüllen, während er mir auf die Schulter klopfte und zu Sascha nickte. Er konnte sich vor Lachen kaum halten.
"Wow, ich hätte nicht gedacht, dass das physisch überhaupt geht!"
„Das tut er schon seit Kindesalter!" Andrins Lachen unterbrach ihn. „Gib dem Mann ein Sandwich und er verschlingt es in einem einzigen Bissen!"
Die Art und Weise wie Sascha sein Essen verschlang, in Rekordzeit, mit übergrossen Bissen und beinahe unzerkaut, war mir bisher nie aufgefallen. Den Burger, den Andrin ihm zubereitet hatte, vernichtete er innert weniger Sekunden.
Er schmunzelte zu Andrin rüber.
"Komm schon, muss das sein?"
"Alter, wie machst du das? Renkst du dir dafür den Unterkiefer aus?"
Sascha schüttelte lachend den Kopf und wischte sich die Mundwinkel ab. Er fühlte sich wohl etwas ertappt.
Ich hatte derweilen meine kalte Platte kaum berührt.
"Pass auf deine Salsiz auf! Der frisst sie dir sonst noch weg!"
Andrin deutete erst auf die aufgeschnittene Salsiz, die auf meinem Teller lag, ehe er in Saschas Richtung nickte. Ich blickte zu Sascha rüber.
„Magst du Salsiz?"
„Das ist sein Lieblingsessen, ich kenne keinen, der so viel Salsiz verdrückt wie Sascha" erzählte mir Andrin.
Ich schmunzelte.
„Magst du was abhaben?" fragte ich Sascha.
„Nein." Er schüttelte den Kopf, während er meine Salsiz anschaute. Dann hob er seinen Blick, sah erst mich an, dann Andrin, ehe er ihn aufforderte, ihm eine eigene Salsiz zu bringen. Seufzend stand er auf.
„Du treibst mich noch in den Ruin, Sascha!"
Sascha schaute ihm hinterher, bis er in der Küche verschwand. Dann fokussierte er wieder mich. Sein strenger Blick haftete auf mir, sah mich erwartungsvoll an.
„Du hast mir heute morgen etwas versprochen, Valeria."
Er deutete auf meine Platte.
Bedrückt nickte ich, ehe ich nach dem Stück Brot griff, eine Scheibe Käse darauf legte und zögerlich hineinbiss.
Ich wusste nicht genau, wieso es mir neuerdings so schwer fiel zu essen. Es war, als wäre mein Appetit komplett verschwunden. Und dann kam noch dazu, dass ich in diesen paar Tagen, in denen ich nun kaum was zu mir genommen hatte, verhältnismässig viel abgenommen hatte. Und es wäre gelogen zu behaupten, dass es mir nicht gefiel. Mein Bauch war superflach, die Bauchmuskeln besser sichtbar und die Venen an meinen Unterarmen kamen mehr zum Vorschein als zuvor. Ich fühlte mich reiner, wenn ich nichts ass, und das hatte ich dringend nötig, nachdem ich mich seit Stauffers Aktionen extrem dreckig fühlte.
Der Käse und das Brot schmeckten zwar gut, doch ich konnte kaum mehr als zwei Bissen runterbringen. Sascha beobachtete währenddessen jede meiner Bewegungen. Ich fühlte mich entblösst.
Erleichtert legte ich das Brot wieder zur Seite, als Andrin und mit ihm die lockere Stimmung endlich zurückkam. Er brachte Sascha dieselbe Platte, die er mir gebracht hatte und stellte uns zwei Bier daneben. Obwohl Sascha sich bedankte und die beiden Bierflaschen öffnete, merkte ich, dass seine Aufmerksamkeit nicht eine einzige Sekunde von mir wich.

Discipline and DesireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt