Kapitel 11

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POV Valeria

Ich wachte verwirrt auf. Es dauerte einen Moment, bis ich realisierte, wo ich war. Ich musste lächeln beim Gedanken an letzte Nacht. Sascha lag nicht mehr da. Gerade wollte ich aufstehen, als ich Stimmen aus dem Wohnzimmer hörte. Ich hielt kurz inne, konnte die Konversation aber nicht verstehen. Meine Kleider mussten noch auf dem Balkon liegen.

Mit der Bettdecke um den Körper gewickelt stand ich auf und stellte erleichtert fest, dass Sascha mir meine Tasche nach oben gebracht hatte. Ich ging zu ihr hin, holte mir einen Sport BH, einen frischen Slip, Socken, kurze Trainerhosen und ein Shirt, zog mich an und ging zur Türe.

Vorsichtig öffnete ich sie und tappte hinaus. Leise schlich ich die Treppe runter. Sascha stand in der Küche und machte Kaffee, die zweite Person stand auf der anderen Seite am Tresen, sodass ich nur ihren Rücken sehen konnte. Nichtsdestotrotz ging ich nach unten und wollte mich gerade zu den beiden gesellen, da traf mich der Schock:

Das war Tschopp, der  sich im selben Moment zu mir umdrehte und mich mit einem Kopfnicken begrüsste.

„Allegra!" rief er mir zu.
Sofort brach Panik in mir aus! Ich hatte ihn nicht erkannt in ziviler Kleidung und war nun so perplex, dass ich mich erst verstecken wollte. Doch dafür war keine Zeit. Er hatte mich ja bereits gesehen. Nach einem ängstlichen Blick in Saschas Gesicht, der total ruhig war und sich ab meiner Reaktion zu amüsieren schien, was mich noch viel mehr verwirrte, stellte ich mich etwas beschämt sofort in meine Antreten-Position. Das war ja eigentlich total bekloppt von mir, doch in diesem Moment konnte ich nicht klar denken. Zu tief sass der Schock.
Sascha begann mich bemitleidend auszulachen, während Tschopp offenbar genauso verwirrt war wie ich.

"Alles in Ordnung, das ist nicht Tschopp, sondern sein Zwillingsbruder."
Sascha stützte sich auf dem Tresen ab und nickte dem Zwillingsbruder von Tschopp zu.
"Sie hält dich für Thierry."

Nun war ich komplett verwirrt. Nur sehr sehr langsam begann ich zu verstehen.

"Stimmt! Sie ist ja eine Schülerin von euch. Ist ja nice! An so eine Reaktion könnte ich mich gewöhnen" sagte er, während er mich mit einem heiteren Schmunzeln musterte.
"Sie ist eine Schülerin von MIR" stellte Sascha richtig.
"Also, Tschopp hat einen Zwillingsbruder?" fragte ich noch immer sichtlich verwirrt.
"So ist es."
Sascha deutete auf besagten Zwillingsbruder.
"Ich kenne ihn schon länger als Thierry, also den Tschopp, den du von den anderen Performern kennst. Muss verwirrend sein. Komm her! Ich mach dir einen Kaffee."

Ich nahm die Hände hinter dem Rücken hervor, ging zum Tresen und stellte mich vor den Zwillingsbruder.

"Entschuldige, ich, ich wollte keinen merkwürdigen ersten Eindruck machen. Normalerweise bin ich... normaler. Freut mich dich kennenzulernen. Ich bin Valeria."
Meinen eigenen Vornamen zu hören oder gar selbst auszusprechen fühlte sich merkwürdig an. Ich hatte mich bereits so sehr daran gewohnt, dass mich alle Sarasin nannten, dass mir Valeria beinahe fremd vorkam.

"Andrin. Die Freude ist ganz meinerseits."
Er lächelte mich an.
Sascha stand derweilen mit dem Rücken zu uns und bediente die Kaffeemaschine.
"Andrin hat übrigens ein Geschenk für dich" sagte Sascha, sichtlich gereizt. Verwirrt schaute ich zu Tschopp's Zwillingsbruder rüber.

"Meine Güte, ich wusste ja nicht, dass du Besuch hast!" begann er. "Ich dachte, ich komme dich spontan besuchen, wenn du schonmal hier bist. Dann hab ich mich gewundert, dass du so spät noch schläfst."
Er schaute zu mir.
"Der ist ja normalerweise schon wach, bevor die Sonne aufgeht. Sogar an freien Tagen! Total krank! "
Mit hochgezogenen Augenbrauen nickte vielsagend zu Sascha rüber.
"Naja was soll ich sagen. Ich wollte mir einen Spass draus machen ihn zu wecken und kam ins Schlafzimmer gestolpert. Da sah ich euch zusammen liegen. Das sah so süss aus, drum hab ich ein Foto gemacht."
Mit diesen Worten händigte er mir ein Foto aus. Ich war peinlich berührt und hatte doch Freude, weil das Foto wirklich süss war. Es zeigte Sascha und mich schlafend in derselben Position, in der wir in der Nacht eingeschlafen waren.

"Aber ja, mit der Hintergrundgeschichte kann ich deinen Ärger schon verstehen, Sascha."

Ich blickte Sascha an, der mir im selben Moment meinen Kaffee aushändigte.
"Dass du gottverdammt nochmal nichts in meinem Schlafzimmer zu suchen hast, ist ja halb so schlimm. Aber wenn dieses Foto die falsche Person in die Finger bekommt, sind wir beide geliefert."

Er sah mich ernst an, kurz lief es mir kalt den Rücken runter. Dieser eigentlich gewohnt kalte Gesichtsausdruck von ihm war nach dem gestrigen Abend wie eine Faust ins Gesicht. Ich versteckte mich hinter der Kaffeetasse, um seinem Blick zu entgehen.

"Deshalb hab ich das Foto ausgedruckt und von seinem Handy gelöscht" sagte er mit einem Nicken in Andrins Richtung. "Nachdem ich es mir selbst geschickt habe" ergänzte er schnell und beiläufig.

Nun sah ich ihn verwirrt an. Er gab sich grösste Mühe seine innere Freude darüber zu vertuschen. Aber inzwischen konnte ich diesen kleinen Funken in seinen Augen, das Zucken seiner Mundwinkel genug gut deuten, sodass er mir nichts mehr mit seinem Pokerface vormachen konnte. Ich lächelte ihn vielsagend an.

"Der Ausdruck ist für dich. Bewahre ihn sicher auf."
Ich schaute mir das Foto nochmal an und beschloss im selben Moment, dass ich es in mein Tagebuch kleben werde.
"Und wie bist du in die Wohnung gekommen?" wollte ich von Andrin wissen.
"Er hat den Zweitschlüssel" erklärte Sascha, während Andrin besagten Schlüssel nach oben hielt.
"Ich wohne ein paar Häuser weiter unten."
Dann drehte er sich in Saschas Richtung.
"Du hättest mir auch einfach sagen können, dass du nicht alleine kommst!"
"Natürlich! Weil ich selbstverständlich damit rechnen konnte, dass du plötzlich in meinem Schlafzimmer stehst!"
"Hallo!? Wir haben uns seit Wochen nicht gesehen! Natürlich konntest du damit rechnen!"

Die ganze Situation war nach wie vor absurd für mich, da ich noch immer irgendwie dachte, dass das Tschopp von den ZEUSS ist, der da neben mir stand. Sascha sah ihn genervt an, seinen Kopf hatte er leicht zur Seite gelegt. Er atmete hörbar aus.
"Woher hast du überhaupt gewusst, dass ich über's Wochenende komme?"
"Thierry hat es mir gesagt."
"War ja klar."
Sascha war sichtlich genervt.
"Hast du deinen Kaffee fertig getrunken?" fragte er Andrin und bedeutete ihm auf diese Weise langsam wieder zu gehen.
"Ja, hab ich. Wieso? Was habt ihr noch vor?"
"Eine Menge."
"Achja? Was denn?"
Sascha schaute ihn einen Moment lang an, in der Hoffnung, der Groschen würde fallen. Tat er aber nicht.
"Vor allem Schlaf nachholen."
"Achsooo, ich verstehe. Das ganze Wochenende?"
"Ja" antwortete Sascha kurz und knapp.
Andrin machte sich nun auf den Weg zur Tür.

"Bin schon weg!" rief er noch über die Schulter, bevor er die Tür hinter sich schloss.
Sascha blieb genauso stehen, ohne sich zum Abschied umzudrehen.

Plötzlich war es still.

"Also, ich mag ihn mehr als den Tschopp, den ich kenne" erlaubte ich mir die Bemerkung. Sascha musste schmunzeln.
"Woran das wohl liegt?"
Dann kam er auf sie Seite des Tresens, auf der ich stand. Er sah mir in die Augen, nahm mein Kinn sanft in die Hand und gab mir einen Kuss auf die Stirn.
"Entschuldige den ungemütlichen Start in den Tag. Ich hätte den Schlüssel einfach stecken lassen sollen gestern Abend."
Dann liess er mein Kinn wieder los.
"Schon gut, von mir aus hätte er auch noch hierbleiben können" sagte ich mit einem freundlichen Lächeln.
"Von mir aus nicht" erwiderte Sascha. "Andrin und ich stehen uns zwar ausgesprochen nahe, im Moment bevorzuge ich aber die alleinige Gesellschaft mit dir. Ausserdem... hab ich schon genug zu tun mit seinem Bruder."
"Ja, aber der ist nicht so nett wie er."
Er lachte. "Weisst du, die meisten Mentoren der ZEUSS sind auch nur Menschen, mit Humor, Charakter und dem Bedürfnis nach guter Gesellschaft. Sie haben einfach Gefallen an dieser herrschsüchtigen Machtrolle, die sie bei den ZEUSS an euch ausleben können."
"Achja? Bei einigen hab ich so meine Zweifel."
"Glaub mir, hab ich auch. Aber mit Tschopp teile ich mir seit Jahren das Zimmer. Ich weiss, wie er wirklich ist."
"Und wie ist er wirklich?"
"Er ist das Ebenbild seines Bruders, vom Charakter her, genau so wie vom Gesicht."

Discipline and DesireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt