Kapitel 2 (Valeria)

3.4K 101 2
                                    

POV Valeria

Die hohe, körperliche Belastung sowie der Schlafentzug zerrten an meinen Kräften. Aber ich wusste, mein Körper würde sich bald daran gewöhnen. Viel schwieriger war es mich in meine Gruppe zu integrieren. Diese bildete in den nächsten vier Jahren sowas wie eine Familie für mich. Ich musste deshalb gut mit ihnen klarkommen.

Nach der ersten Woche konnte ich bereits einige dominante Charaktere heraus spüren. Ein paar von ihnen konnten sich keine Gelegenheit verkneifen mir einen sexistischen Kommentar an den Kopf zu werfen, andere taten sich schwer eine Frau in ihrer Gruppe zu tolerieren. Sie alle liessen mich spüren, dass ich vom anderen Geschlecht war. Besonders dieser Pascal Stamm war unangenehm. Seine lüsternen Blicke begleiteten mich bei allem, was ich tat, sobald ich in sein Blickfeld trat. Er konnte es nicht lassen sich langsam über die Oberlippe zu lecken, wenn sich unsere Wege kreuzten. Es fiel mir glücklicherweise nicht allzu schwer dies zu ignorieren.

Total übermüdet, ja fast schon geistesabwesend stand ich an diesem Dienstagabend vor dem Buffet in der Cafeteria. Meine Augenlider konnte ich nur unter grosser Anstrengung offen halten. Die Geräuschkulisse, bestehend aus wirrem Gerede, nahm ich kaum mehr wahr. Das Tablett mit Teller und Trinkflasche schob ich auf der Ablagefläche vor mir her, während ich mir Gulasch schöpfte und anschliessend ein paar Schritte weiterging. Fast schon blind griff ich in den Obstkorb, nahm mir irgendeine Frucht, legte sie neben den Teller, blickte in den leeren Korb daneben, in dem für gewöhnlich noch ein paar süsse Snacks lagen. Es dauerte erschreckend lange, bis ich realisierte, dass da nichts mehr drin war.
"Sag mal, hörst du mir überhaupt zu?"
Nur langsam begriff ich, dass die Stimme neben mir mit mir gesprochen haben musste. Der Schlafentzug hatte definitiv einen negativen Einfluss auf meine kognitive Leistungsfähigkeit. Ich drehte den Kopf und blickte auf.
"Was?"
Das leicht verwirrte Augenpaar eines Mitschülers schaute zu mir rüber. Ich kannte seinen Namen noch nicht, dennoch konnte ich ihn einigermassen einordnen. Er war einer der wenigen, der mich von Beginn an wie einen normalen Menschen behandelt hatte.
"Hast... Hast du was gesagt?"
Sein Blick fokussierte mich weiterhin, während sich nun langsam ein freches Lächeln auf seine Lippen schlich.
"Alles klar bei dir?"
Nun begann er zu lachen.
"Etwas erschöpft, was?" Ergänzte er.
"Ja, kann man wohl so sagen."
Etwas beschämt blickte ich zu Boden.
"Tja, die Anzahl Stunden Schlaf, die wir hier zur Verfügung gestellt bekommen, sind auch echt knapp kalkuliert."
Nun musste auch ich schmunzeln.
"Das kannst du laut sagen."
Ich erwiderte wieder seinen Blick.
"Ob du den Cookie mit mir teilen willst, wollte ich vorhin von dir wissen."
Er nickte auf den Cookie, der da auf seinem Tablett lag. Ich schaute erst runter, dann wieder zu ihm hoch. Langsam konnte ich die Verknüpfung zwischen leerem Snack-Korb und Cookie-Angebot herstellen. Mein Lächeln musste verraten haben, dass der Groschen endlich gefallen war.
"Wow" er lachte. "Ausgehend von deiner geistigen Abwesenheit müsste ich dir eigentlich den ganzen Cookie überlassen. Aber so nett bin ich nur ungern zu Leuten, die ich noch nicht kenne."
Er zwinkerte mir zu.
"Sorry" Ich musste wieder schmunzeln. "Ich bin Valeria."
"Weisst du, wenn ich an die Namensliste unserer Gruppe denke, hab ich mir das schon fast gedacht."
Er nickte rüber zum Rest unserer Gruppe. Sie sassen ein paar Meter weiter rechts am Tisch und widmeten sich bereits dem Gulasch.
"Ich glaube nämlich nicht, dass einer von denen Valeria heisst."
Dann schaute er wieder zu mir runter. Sein freches Grinsen wich nicht eine Sekunde von seinen Lippen.
"Tja, du scheinst ein kluger Junge zu sein. Und wie war nochmal dein Name?"
Er lachte. "Ich bin Rico."
"Freut mich dich kennenzulernen."
Ich schaute ihm wieder in die Augen und erwiderte sein Lächeln.
"Mich ebenso. Den ganzen Cookie kriegst du trotzdem nicht."
Er legte mir die eine Hälfte des Cookies neben den Teller und stiess mich dann mit seinem linken Ellbogen etwas an, um mir zu verstehen zu geben, dass ich ihm folgen sollte.
"Komm schon mit, bevor du hier noch im Stehen einpennst!"

Discipline and DesireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt