Kapitel 25

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POV Valeria

Ich erwachte durch aggressives Klopfen an der Türe. Schon 6.00 Uhr? Das konnte doch nicht wahr sein! Ich konnte meine Augen kaum öffnen, so schwer waren meine Lider.

"Sarasin!" hörte ich Sturms Stimme, bevor er die Tür aufschlug. Er trat zwei Schritte in mein Zimmer hinein und blieb sofort stehen. Ich lag bis unter die Nase zugedeckt im Bett. Als er das Zimmer betrat, sprang ich sofort auf und begab mich in meine Bereit-Stellung.

Er sah mich merkwürdig an, er schien zu bemerken, dass etwas anders war als sonst. Sein Blick schweifte analysierend durchs Zimmer, bevor er mich wieder fixierte. Nach kurzem Innehalten schloss er die Tür hinter sich, was mich verwirrte. Dann kam er auf mich zu.
"Rico war gestern bei dir, nicht wahr?"

Sofort wurde ich nervös. Woher wusste er das? Er war gestern Abend ja nicht mal auf dem Areal.
Stumm und leicht verwirrt nickte ich. Sein Blick war kalt und durchdringend. Er jagte mir kalte Schauer über den Rücken. Dann nahm er mein Kinn in die Hand und zwang mich somit seinem Blick standzuhalten. Er musterte erst mein linkes, dann mein rechtes Auge.
"Willst du mir vielleicht etwas sagen?"
Mein Herz pochte mir bis zu den Ohren. Ich hatte keine Ahnung wie er reagieren würde, wenn ich ihm erzählte, dass ich gestern was mit Rico hatte. Ich bereute sofort es gestern so weit kommen gelassen zu haben. Er hatte mir zwar eine ziemlich grosse Toleranz entgegengebracht, doch es fühlte sich zu falsch, zu verboten an, was gestern Abend geschehen war. Ihm etwas zu verschweigen war sinnlos, das wusste ich.
"Woher weisst du, dass Rico hier war?"
"Beantworte meine Frage!"
Seine forsche Art überraschte mich und trieb mir beinahe eine Träne ins Auge. Ich merkte, wie sich ein Kloss in meinem Hals bildete.
"Entschuldigung" begann ich "Ja, ich will dir gestehen, dass Rico gestern Abend in meinem Zimmer war. Wir haben zusammen... Naja, wir sind uns näher gekommen. Es... Ich hab die Kontrolle verloren, es tut mir leid."
Meine Stimme begann etwas zu zittern. Sein Griff verfestigte sich um mein Kinn, als er merkte, dass ich seinem Blick auszuweichen versuchte.
"Und wieso hast du die Kontrolle verloren?" wollte er wissen.
"Ich kann es dir nicht genau sagen. Es war eine Reihe zufälliger Ereignisse, die dazu führte."
Er schweig. Ich wagte nicht mich unter seinem Blick auch nur einen Millimeter zu bewegen. Dann liess er mein Kinn los und nahm seine Hände hinter den Rücken. Er blickte kurz zu Boden, bevor er mich wieder fixierte, mein Gesicht ganz genau musterte und jede kleine Bewegung darin zu durchschauen versuchte.
"Erzähl mir ganz genau, was war. Ich will jedes einzelne Detail wissen!"
Verwirrt schaute ich ihn an. Es war mir ein Rätsel wieso er das wissen wollte. Möglicherweise wollte er, dass ich mich schlecht fühlte, wenn ich ihm so detailliert schildern musste, was ich hab geschehen lassen. Vielleicht war es auch sein Kontrollzwang, der nicht zuliess, dass ich ihm was verberge.
Also erzählte ich ihm alles so genau ich konnte. Ich erzählte ihm, dass Rico das Foto aus meinem Tagebuch entwendet hatte, dass er dann mein Tagebuch an sich nahm, dass ich versuchte es ihm abzunehmen und alles, was folgte. Ich erzählte ihm, wie Rico mich an die Schrankwand drückte, was wir im Bett gemacht hatten und dass er kurz darauf wieder ging.
Als ich fertig war mit meiner Erzählung, schlich sich ein richtig dreckiges Lachen auf Saschas Lippen. Ich hatte keine Ahnung, was das zu bedeuten hatte. Er merkte während meiner Erzählung, dass ich Mühe hatte die Tränen bei mir zu behalten. Sein Blick wurde mit der Zeit etwas weicher.
"Es tut mir leid" war das letzte, was ich sagte. "Ich hab Scheisse gebaut" fügte ich mit flüsternder Stimme hinzu.
Dann senkte ich meinen Blick und versuchte die Stille zu ertragen.
"Es ist in Ordnung. Es war ja vorhersehbar, dass es wieder vorkommen wird" begann er.
"Rico tut mir auch ein bisschen leid. Der steht dir so nahe aber eben doch nicht so nahe, wie er gern würde."
Verwundert sah ich zu ihm hoch.
"Der ganze Raum riecht nach ihm, da ist es offensichtlich, dass er hier war. Genauso riecht man, was ihr getan habt. Ich wollte es von dir hören, um zu schauen, wie ehrlich du zu mir bist. Und ich wollte wissen, wie er sich angestellt hat, wenn er dich schon anfasst."
"Du bist nicht sauer" stellte ich fest.
"Natürlich nicht. Man könnte von Eifersucht sprechen, wenn ich tatsächlich Gefahr laufen würde dich an ihn zu verlieren. Natürlich magst du ihn und er ist dir wichtig, aber er spielt so fernab von meiner Liga, wieso sollte mich das kümmern?"
Er setzte eine Pause ein. Als er weitersprach, griff er wieder nach meinem Kinn.
"Die Bindung, die du zu mir hast, ist nicht zu vergleichen mit derjenigen zwischen dir und Rico. Ihr seid Gruppenmitglieder, wenn ich wollen würde, könnte ich ihn sofort aus der Gruppe werfen und dafür sorgen, dass er dich nie wieder zu Gesicht bekommt. Aber so lange er nichts gegen deinen Willen tut und meine Autorität auf dich bezogen nicht missachtet, kümmert mich das kaum. Es ist nur eine Frage vom Stolz, und Stolz ist etwas würdeloses. Er bringt dich nicht weiter, er vergiftet dich. Trotzdem werde ich ihn später zu mir ins Büro holen und ihn darauf ansprechen. Er soll sich erklären, nur um ihm nochmals ins Gedächtnis zu rufen, wer ICH bin und wo ER hingehört. Verstehst du?"
Ich nickte. "Ja, verstanden Sir."
Er sah mir kurz auf die Lippen und weckte in mir die Hoffnung, dass er mich küssen würde. Doch das tat er nicht.
"In wenigen Tagen wirst du nach Russland fliegen. Wie geht es dir dabei?"
Ich war etwas überrascht aber froh über den plötzlichen Themenwechsel.
"Langsam kommt die Nervosität. Aber ich denke, das ist normal, nicht wahr?"
Ein leichtes Schmunzeln legte sich auf seine Lippen, ehe sein intensiver Blick seinen Weg zurück in meine Augen fand.
"Natürlich. Du wirst diesen Wettkampf aber erfolgreich hinter dich bringen, dessen bin ich mir sicher."
"Tja, ich hoffe es zumindest."
Ich lächelte verlegen, während Sascha sich wiedermal alle Zeit der Welt nahm, um mein Gesicht zu mustern.
"Bitte versprich mir, dass du auf dich Acht gibst, Anguel."
Dann gab er mir einen Kuss auf die Stirn.
Plötzlich leuchtete es mir ein.
"Sprichst du eigentlich Rätoromanisch?"
Er schaute mich erst etwas verwirrt an, schien dann aber zu begreifen, dass mich der Kosename, den er mir gab, auf diese Vermutung kommen liess. Wieder schlich sich ein dezentes Lächeln auf seine Lippen, ehe er antwortete.
"Ja, ich spreche Rätoromanisch, was nebenbei eigentlich nichts weiter als ein Sammelbegriff verschiedener Idiome ist, die sich untereinander teilweise nicht einmal verstehen."
Verwirrt schaute ich zu ihm hoch und antwortete mit einem knappen "ok".
"Anguel heisst in meiner Muttersprache Engel, aber bestimmt bist du da selbst schon drauf gekommen."
Ich schmunzelte, nickte und schaute verlegen zu Boden.
"Naja, nebensächlich" sagte er "ich wollte dich eigentlich noch auf was anderes ansprechen, Valeria."
Fragend schaute ich zu ihn hoch.
"Bevor du nach Russland fliegst, will ich wissen, was damals mit deinem Ex war."
Ich zog die Augenbrauen zusammen und presste meine Lippen aufeinander. Ich mochte dieses Kapitel nicht, ich wollte nicht daran denken, geschweige darüber sprechen.
"Valeria"
Er griff nun wieder nach meinem Kinn. Diesmal allerdings sanft und behütend.
"Du sagtest, er stalkt dich, du hast im Präsens gesprochen. Wann hattest du das letzte Mal Kontakt zu ihm?"
Ich schaute ihm in die Augen, während ich mir im Kopf eine Antwort zusammenlegte.
"Seit ich hier bei den ZEUSS bin, hat er keinen Kontakt mehr zu mir gesucht. Zum Glück. Ich zweifle aber nicht daran, dass er es nicht könnte. Er hat es noch immer geschafft mich aufzuspüren."
Ich atmete tief durch.
"Sascha, ich will wirklich nicht darüber sprechen. Ausserdem sollten wir doch langsam rausgehen, die anderen werden sich schon wundern, wo du bleibst."
"Lass das meine Sorge sein, Valeria. Ich hab die Jungs noch nicht geweckt und die werden mir bestimmt nicht böse sein, wenn ich sie nach dem gestrigen Abend noch etwas länger schlafen lasse. Wir haben alle Zeit der Welt. DU hast alle Zeit der Welt, Valeria. Und ich möchte, dass du sie nutzt, um mir von Rodrigo zu erzählen."
Wieder atmete ich tief durch.
"Wir waren knappe fünf Jahre zusammen. Mir wird schon beim blossen Gedanken daran schlecht. Er ist, naja, ein sehr unberechenbarer Mensch mit hoher Gewaltbereitschaft und einem sehr breiten Netzwerk, in unserer Heimatstadt zumindest. Die Beziehung war am Anfang schön, hat Spass gemacht, war aufregend. Er hatte eine sehr sadistische Veranlagung. Da war grundsätzlich nichts dagegen einzuwenden. Aber nach und nach begann er mich vermehrt zu kontrollieren. Er hörte meine Anrufe ab, verfolgte mich, wenn ich ohne ihn unterwegs war und sorgte dafür, dass jene Freunde von mir, die er nicht mochte, wie vom Erdboden verschluckt wurden. Irgendwann verbat er es mir mich ohne seine Einverständnis mit anderen Leuten zu treffen. Ich war dann meistens bei ihm Zuhause oder mit ihm unterwegs. Wenn wir zusammen unterwegs waren, durfte ich irgendwann nicht mehr mit anderen Menschen sprechen. Er begann mich dann für Dinge zu bestrafen, die ich angeblich falsch gemacht hatte. Und das wurde von Jahr zu Jahr mehr. Er... hat mir eigentlich ständig das Gefühl gegeben, nichts Wert zu sein und dass ich ohne ihn nicht klarkommen würde, weil ich eben zu nichts fähig wär. Das Schlimmste daran war, dass ich ihm mit der Zeit tatsächlich geglaubt hatte. Ich dachte wirklich, ich käme ohne ihn nicht mehr zurecht. Das hatte mit dem sexuellen Kontext von Bestrafung und Unterwerfung nichts mehr zu tun. Ich hab es dann aber tatsächlich geschafft mich von ihm zu trennen. So wie es war, konnte es ja nicht bleiben. Was hatte ich schon zu verlieren? Nach einer langen Partynacht, in der er Zuhause gleich einschlief, hab ich ganz leise meine Sachen gepackt und bin einfach gegangen, bin untergetaucht und hab kurz darauf die Stadt verlassen. Ich konnte ja nicht dort bleiben. Sein Netzwerk und er waren allgegenwärtig. Die hätten mich gleich wieder gefunden und zurück geschleppt."
Der Gedanke an diese Zeit liess mir die Nackenhaare zu Berge stehen. Mir wurde flau im Magen. Ich presste meine Augenlider kurz fest aufeinander, schüttelte angewidert den Kopf, ehe ich die Augen wieder öffnete und weitersprach.
"Ich bin dann also in eine andere Stadt gezogen und hab die Scheisse hinter mir gelassen. Doch der Alptraum ging dann erst richtig los. Den körperlichen Schmerz zu ertragen war nämlich viel einfacher als ständig dieses Psychospiel. Er liess mich Tag für Tag wissen, dass er mir auf den Fersen war, ich konnte NICHTS tun, ohne dass er es mitbekam. Er schrieb mir, legte mir Fotos auf die Türschwelle, stand plötzlich stillschweigend im selben, überfüllten Bus, mit dem ich nach der Arbeit nach Hause fuhr. Er stand einfach nur da, per Zufall erblickte ich ihn durch die Menschenmenge, grinste zu mir rüber mit seinen schlangenartigen Augen, sein Basecap tief runter ins Gesicht gezogen. Er war mir immer einen Schritt voraus, ich wusste nicht, wie er das tat."
Ich verlor mich in der Erinnerung, schien sogar seinen Körpergeruch wahrzunehmen.
"Er war ein Dämon, eine personifizierte Sünde" fügte ich gedankenverloren hinzu.
Saschas Blick holte mich zurück in die Realität.
"Er war Mitgrund, wieso ich zu den ZEUSS gekommen bin. Ich wollte aus meinem Leben flüchten, verstehst du? Das hier gibt mir Sicherheit, einen sicheren Raum. Ich weiss nämlich ganz genau, dass er weiss, wo ich mich aufhalte, mit wem ich mich hier aufhalte und was ich so tue. Trotzdem hat er es bisher nicht gewagt wieder mit mir in Kontakt zu treten."
Saschas Augen schienen sich verdunkelt zu haben, seine Augenbrauen hatten sich gesenkt. Auf Anhieb konnte ich erkennen, wie er die Gedanken in seinem Kopf zusammenbraute, sortierte und ergänzte.
"Wie sieht er aus?"
Seine Frage verwirrte mich.
"Er hat ein auffälliges Erscheinungsbild. Er ist bis zum Hals tätowiert, trägt meistens schwarze Jeans und einen Hoodie mit Kapuze und sein Basecap. Auch seine Finger sind tätowiert, selbst seine Schläfe. Er hat von Natur aus einen dämonischen Blick, ähnlich einem Reptil, beinahe gelbe Augen. Und eine gespaltene Zunge."
"Sein Netzwerk... War das innerhalb eines MC's oder der rechten Szene?"
"Nein, nichts derartiges. Seine sogenannte Bruderschaft ist eine Art Strassenmafia, aber allzu viel weiss ich auch nicht darüber. Er war diesbezüglich immer sehr verschwiegen. Wieso?"
Sascha blickte zu Boden, schien kurz nachzudenken und schüttelte dann aber den Kopf.
"Ich versuch mir nur ein Bild von ihm zu machen, ihn zu verstehen, seine Gedankengänge nachzuvollziehen... Fühlst du dich noch bedroht von ihm?"
"Nein, zur Zeit fühl ich mich ziemlich sicher und bin auch nicht mehr paranoid."
Er nickte.
"Nachvollziehbar wieso du zur Zeit nicht darauf brennst zurück nach Hause zu gehen. Aber was ist mit deinen Eltern? Wie viel von all dem haben sie mitbekommen?"
"Meine Familie hat wage mitbekommen, dass er... ein schwieriger Mensch war. Aber ich hab ihnen natürlich nie erzählt, was genau alles vorgefallen ist. Sie waren damals etwas in Sorge, als ich zu den ZEUSS gegangen bin, aber schlussendlich bin ich ja volljährig und kann machen, was ich will."
"Verstehe, verzeih mir meine Neugierde und dass ich dich dazu genötigt hab mir davon zu erzählen."
Er legte seine Hand auf meinen Rücken, zog mich etwas näher an sich, gab mir einen Kuss auf die Stirn, ehe ich mich an seine Brust schmiegte, seinen göttlichen Körperduft tief inhalierte und dabei die Augen schloss. Er gab mir so viel Sicherheit. Nachdem er sich dann noch einmal um mein Wohlbefinden erkundigt und mich dazu aufgefordert hatte wieder grössere Nahrungsmittelmengen zu mir zu nehmen, ging er wieder zur Tür.
"Zieh dir was Warmes an, es ist kühl draussen."
Er warf mir einen letzten Blick zu, ehe er aus meinem Zimmer trat.

Discipline and DesireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt