Kapitel 35 - In den Gewehrlauf blickend

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Kapitel 35 – In den Gewehrlauf blickend

„Wach auf!", rief jemand und er klang verzweifelt. „Wach auf! ... Bitte!" So ging es weiter.

„Sie wacht nicht auf. Was machen wir jetzt bloß?"

„Keine Sorge", versicherte ein anderer. „Es ist der Zauber, er wird schon schwächer."

„Nichts", kam noch eine Antwort von jemand anderem. Gleichzeitig drang ein Wimmern an Lucius' Ohr. Langsam setzte er sich auf und rieb sich verwirrt den Kopf. Neben ihm erwachte Hermine allmählich, doch er sah viel mehr Gestalten als die ihre. Er stöhnte und ächzte. Viele Menschen waren auf engem Raum und sie bewegten sich auf und ab.

„Hermine!"

„Colin?"

Hermine sprang auf die Füße und Lucius war fassungslos. Eine Kaskade an Gedanken setzte ein. Colin Creevey? Dies war doch der verschwundene Junge. Lucius lehnte sich ans Gitter. Um sich der Situation weiter gewahr zu werden, atmete er tief durch. Langsam glitt sein Blick durch den Raum und über die Anwesenden. Hermine hatte sich am anderen Ende der Zelle ebenfalls aufgerichtet und probierte, mit ihren Fingern ihr wirres Haar zu glätten. Immer wieder schob sie Strähnen hinter die Ohren, doch jedes Mal fielen sie zurück in ihr Gesicht. Colin Creevey hockte neben ihr und strich ihr unruhig über die Schulter. Tatsächlich! Das hieß...

... Dass sie in eine Falle getappt waren.

Er erinnerte sich an die letzten Momente. Vor seinem inneren Auge sah er Daphne, die reglos im Bett lag, bleich wie ein Laken. Dann verwandelte sie sich in Grindelwald, mit blonden, streng zurückgekämmten Haaren, so wie man ihn aus den Geschichtslehrbüchern kannte. Lucius schluckte und ein Schauer fuhr ihm über den Rücken. Der Gedanke an Grindelwalds Rückkehr war schon schlimm genug, doch da war mehr. Wer hatte Daphne in sein Haus gebracht? Seine Eingeweide zogen sich zusammen.

Draco ... Draco hatte ihr helfen wollen. Sie hatten ihn gefunden gehabt! Endlich war seine lange, schmerzvolle Suche von Erfolg gekrönt gewesen. So vieles hatte er auf sich genommen, nur um seinen Sohn noch einmal in die Arme schließen zu können. Doch wo war er nun?

Hermine und Creevey waren bei ihm und in der anderen Zelle, hinter den Gitterstäben sah er Professor Slughorn stehen, der ihm einen skeptischen Blick zuwarf. In der Ecke, beinahe durch die Körper der anderen vor Neugier geschützt, sah er eine Person mit weasleyrotem Haar liegen.

„Ron?" Auch Hermine hatte die Gestalt entdeckt. „Ron! Was ist passiert? Was ist mir dir los?" Sie kreischte beinahe.

„Wo ist Draco?", flüsterte Lucius.

Niemand nahm Notiz von ihm. Er hatte zu leise gesprochen. Hermine schluchzte und übertönte das Rascheln seiner unruhigen Füße. Immer wieder schabte er mit seinen Schuhen über den Beton.

„Seitdem sie ein Experiment an ihm durchgeführt haben, ist er so!", stieß Creevey aus und sah in ihr erschrecktes Gesicht. „Er kann nicht mehr zaubern, aber es ist nichts Lebensgefährliches, keine Sorge. Mit mir haben sie es auch gemacht."

Hermine hielt inne und auch Lucius' Füße erstarrten in der Bewegung. Es dauerte Sekunden, bis sein Gehirn die Informationen verarbeitet hatte und noch länger, bis er nicht mehr daran zweifelte, dass er diese Worte gerade tatsächlich gehört hatte. Es wäre ein Moment gewesen, indem er sich dumm hätte vorkommen können, doch Hermine passierte genau dasselbe. Ihre Kinnlade war heruntergeklappt und mit weit aufgerissenen Augen schwenkte ihr ungläubiger Blick zwischen Creevey und Ron hin und her.

„Sie haben Ron das Gift verabreicht?", fragte sie ungläubig. „Draco erzählte davon."

„Wo ist Draco?", sprudelte es aus Lucius hervor und er wurde noch verwirrter, als er von den anderen angeblickt wurde, als hätte er gerade einen schlechten Witz gemacht. Nun fing das schon wieder an. Für seine Sorge um seinen Sohn verteufelte man ihn, dabei war es eine ehrlich gestellte Frage gewesen. „Was ist?"

Moral und Wahnsinn - In der Gegenwart meiner FeindeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt