Kapitel 14 - Zweifel, Zorn und Zaudern
Er hatte noch nie in einem Auto gesessen. Zwar hatte es diese schon in seiner Kindheit gegeben, doch im Wool's Waisenhaus hier in London waren Ausflüge nicht oft auf der Tagesordnung gewesen. Einmal im Jahr war man an die Küste gefahren und dann hatte man ihn und all die anderen Kinder in ein Zugabteil gesteckt. Trotzdem konnte er festzustellen, dass Hristo Mladenov einen höchst ungewöhnlichen Fahrstil hatte. Sollten alle Muggel so autofahren, wie er es zu tun pflegte, dann war Chaos vorprogrammiert. Mladenov raste um vier Uhr nachts über die kaum belebten Straßen und schnitt die Kurven, als würde er gerade auf einem Besen sitzen und an der Quidditchweltmeisterschaft teilnehmen. Dabei fehlte von den Verfolgern schon längst jegliche Spur. Er kannte sich nicht mit den Straßenverkehrsregeln aus, doch er wusste, dass sie existierten und es wäre unbegreiflich, wenn Mladenov nicht gerade mindestens eine Hand voll davon gebrochen hatte. „Bist du immer so halsbrecherisch unterwegs?", fragte er ihn keck, „Dann möchte ich nicht mit dir auf einen Besen steigen."
Dies brachte sein Gegenüber zum Lachen. „Unentwegt. Ich habe Knuddelmuffs im Hintern. Willst du was trinken? Ich habe hier irgendwo eine Flasche mit Wasser." Suchend schaute er sich um. Er fand die Reste diverser Mittagessen, leere, zusammengedrückte Tetrapacks und verschiedene Kleidungsstücke wie Pullover und Jacken. Aus dem Sammelsurium angelte er eine zerbeulte Plastikflasche, die mit einem Schluck Flüssigkeit gefüllt war. „Die habe ich zwar nicht gemeint, sollte es zur Not aber auch tun." Er reichte sie Voldemort.
Dieser untersuchte das Ding. „Warum ist die so zerknittert?"
„Es ist Leitungswasser. Ich fülle die immer auf, wenn sie leer sind. Das spart mir Geld", erklärte Hristo. „Ich bin nicht reich. Auch nicht mit Muggelgeld. Hier müsste noch irgendwo eine andere Wasserflasche sein. Die war noch voll, das weiß ich genau." Über seine Schulter blickend musterte er die Rückbank. „Vielleicht ist sie in den Fußraum gerollt. Du kannst ja mal gucken, ob du da herankommst."
„Alles gut. Ich brauche nichts", zürnte Voldemort. „Schau nach vorn. Du hast erschreckend lang nicht mehr auf die Straße geschaut."
Hristo lachte ihn aus. „Aye, aye, Jon."
Idiot! Doch solange er nicht zaubern konnte, musste er mit dem vorliebnehmen, was ihm geboten wurde. Die Augen verdrehend schraubte der den Verschluss auf. Die Flasche setzte er erst an die Lippen, nachdem er ausgiebig daran geschnuppert hatte. Es brannte in seiner Kehle. Auch wenn es durchsichtig war wie Wasser, war es doch keines. „Du gibst mir Vodka?"
„Oh! Entschuldige. Das muss Gin sein." Sein Gesicht sah ernsthaft bestürzt aus.
Voldemort ließ seine Augenbraue Richtung Haaransatz wandern.
„Ich bin kein Alkoholiker", erklärt Hristo, als sei dies der rosa Elefant im Raum. „Ab und zu trinke ich was. Jetzt, wo ich beurlaubt bin, ist es ein bisschen mehr als sonst. Ich hatte ja die letzten Tage Zeit dazu und keine Verpflichtungen. Hättest du mich nicht angegriffen und versucht, mir meinen Zauberstab zu entreißen, wäre ich erst gar nicht nicht beurlaubt worden."
Grummelnd warf Voldemort die Flasche auf die Rückbank. „Ich habe dir nichts unterstellt. Du hast den Anschein mit deinem Geplapper nur noch verstärkt." Zwischen all dem Müll, der gedankenlos abgeladen worden war, entdeckte er einen Rucksack aus schwarzem Stoff. Er streckte sich und angelte nach ihm. In seinem Inneren befand sich neben der gefüllten Wasserflasche, die Hristo gesucht hatte, ein Handspiegel. Er klappte ihn auf und betrachtete sein scharf geschnittenes, irgendwie kantiges Gesicht. Damals, als er als Sechzehnjähriger das Haus der Riddles aufgesucht hatte, war er im Salon einem Antlitz begegnet, dass diesem zum Verwechseln ähnlich sah. Er durchkämmte seine Erinnerung, doch er konnte keinen Unterschied zwischen seinem Spiegelbild und der äußeren Erscheinung seines Vaters finden. Bis in die Haarspitzen schien er eine Kopie des Seniors zu sein. Äußerlich glichen sie sich, doch er war ein Zauberer.
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Moral und Wahnsinn - In der Gegenwart meiner Feinde
FanfictionMitten in der Schlacht von Hogwarts verschwindet Voldemort und er erwacht, seiner Magie beraubt, in Muggellondon. Zur selben Zeit lernt Draco unfreiwillig eine geheime Organisation von innen kennen. Hermine nimmt schnell die Suche nach Antworten auf...