Kapitel 10 - Der Wahrheit jüngstes Kind

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Kapitel 10 - Der Wahrheit jüngstes Kind

06. Mai, später Nachmittag, im Fuchsbau

Sie hatten fast den ganzen Tag lang Tränke gebraut. Nach Stunden hatte Poppy diese Arbeit als erledigt erklärt und sie mit zu zwei Krankenbesuchen genommen. Diese waren jedoch genauso ereignislos verlaufen wie der gesamte Tag. Die Heilerin war höchst zufrieden gewesen, da all ihre Patienten beinahe genesen waren. Als sich der Abend anbahnte, verabschiedete sich Hermine. Im Fuchsbau wurde sie hocherfreut von Molly Weasley begrüßt. Mit Erstaunen musste sie feststellen, dass sie die Erste war, die Feierabend gemacht hatte. Kingsley, Ron und Harry waren noch unterwegs. Molly konnte nicht mit Sicherheit sagen, wo sie sich aufhielten und vermutete, dass sie am Nachmittag in die Redaktion des Tagespropheten gefloht waren. Dort sollte sich ein viel wissender und auch gesprächiger Informant warten. - Dies hatte sie im Vorbeigehen aufgeschnappt, als sie das Mittagessen vorbeigebracht hatte.

Bill war arbeiten. Er hatte sich zu einem großartigen Fluchbrecher entwickelt und Grinsgott hatte ihn damals mit Kusshand genommen. Molly wurde nicht müde, dies bei jeder halbwegs passender Gelegenheit zu erwähnen und jedes Mal schwoll ihre Brust vor Stolz. Hermine freute sich für den Ältesten der Weasleybrüder. Seine bildschöne Frau Fleur besuchte momentan ihre Familie in Frankreich und wollte sich dort nach dem Rechten umsehen. George war - wie immer momentan - in der Garage und hatte sich auch nicht zum gemeinsamen Mittagessen gezeigt. Arthur hatte mittlerweile aufgegeben, ihn daran zu erinnern.

Als Hermine unter den wachsamen Augen Mollys die warmgemachten Reste des Mittagsessens aß, wurde sie mit detaillierten Fragen gelöchert. Weil der Fuchsbau maßlos überfüllt war, waren die Gelegenheiten für ein Gespräch unter vier Augen rar geworden. Die Gastgeberin wollte es wieder gut machen und erfragte alles über ihren Tag und ihren Besuch bei den Creeveys. Hermine schilderte ihre Erlebnisse in aller Ausführlichkeit. Sie fühlte sich umsorgt, auch wenn sie gleichzeitig fürchtete, ihrem Gegenüber ein Ohr mit langwierigen und doch langweiligen Erläuterungen abzukauen. Dieses überschwängliche Interesse war ihr unbekannt. Sie wurde das Gefühl nicht los, dass Molly etwas anderes wissen wollte, als die Antworten auf ihre Fragen, etwas zwischen den Zeilen. Dabei stellte sie von sich aus Nachfragen und gab sich mit einer knappen Antwort grundsätzlich nicht zufrieden. Ihre Portion aufzuessen dauerte um ein Vielfaches länger. Es war erkaltet, bevor sie die Hälfte geschafft hatte.

Danach saß sie in den Feldern, die den Fuchsbau umgaben und genoss die letzten Sonnenstrahlen des Tages. Schnell fanden ihre Gedanken zu den sonderbaren Ereignissen in der heulenden Hütte zurück. Sie steckte in einer Sackgasse und musste sich zwingen, an etwas anderes zu denken. So konnte es nicht weiter gehen. Wenn doch, konnte man sie schlicht besessen nennen. Unter diesem Druck wanderten ihre Gedanken wie von allein zur Schlacht. Zu Freds Tod. Zum Moment, als sie die Nachricht über Tonks Tod erhalten hatte. Klar, als würde er vor ihr stehen, sah sie einen weinenden Harry vor ihrem inneren Auge. Auch Ron hatte Tränen in den Augen gehabt.

Vielleicht war es die Schwere der Trauer, die dafür sorgte, dass sie dieses oft beschriebene Leichtigkeit der Verliebtheit nicht verspürte, wenn sie an Ron dachte. Es war doch verrückt, sich während einer Schlacht zu verlieben. Oder kurz danach eine romantische Beziehung zu beginnen. Ron und sie hatten sich schon so lange gekannt und ausgerechnet jetzt hatten sie ihre Gefühle füreinander gewahr werden müssen. Jetzt wo es so viel anderes zu tun gab! Wo alles einem so schwerfallen musste!

Da kam ihr wieder die Schlange in den Sinn und mit ihr die Erinnerung an Malfoys seltsame Freundlichkeit. Sie streckte ihre Hand nach ihrer Perlentasche aus, die neben ihr im Gras lag. Die Grashalme kitzelten leicht ihrer Fingerkuppen. Sie lächelte kurz. Die Sonne wärmte ihre haselnussbraunen Haare, die heute besonders gut lagen. Mit einem Summen öffnete sie den kleinen Beutel aus Samt. Der Zauberstab lag griffbereit neben ihr. In ihrem Kopf hallte Malfoys Warnung wider. Er hatte sie so lieblich ausgesprochen, dass Hermine ihm die Sorge tatsächlich abgekauft hätte, würde sie ihn nicht besser kennen. Ein liebenswürdig handelnder Malfoy wäre eine Rarität, eine mit äußerst hohem Wert, die sich nie angesichts eines Gryffindors zeigen würde.

Moral und Wahnsinn - In der Gegenwart meiner FeindeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt