Teil 2: IM SOG DES UNHEILS

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29.12.23 Lang, lang ist es her ... Und dann hat das letzte Kapitel auch so schrecklich geendet. Ich denke, eine Entschuldigung ist angebracht. Entschuldigt bitte!
Endlich habe ich meine Muse, was diese Story betrifft, wiedergefunden. Mit der Zeit sieht es noch mauer aus als vor zwei Jahren, daher erwartet bitte niemand, sollte das hier überhaupt jemand lesen, dass es ab jetzt strikt regelmäßig weitergeht. Aber ich werde jetzt im Rahmen meiner Möglichkeiten weiterschreiben. Die Geschichte wird fertiggestellt, ich weiß, wo es hingeht.

Genießt die Tage zwischen den Jahren, liebe Grüße Olivier




Akt Zwei - Im Sog des Unheils


Kapitel 37 – Hanging on



In Hogwarts angekommen, führte ihr erster Weg in den Krankenflügel. Dort konnten sie die ehemaligen Gefangenen in fähige Hände abgeben und die beiden Leichen ablegen. Madam Pomfrey wandte sich zugleich Ron zu, der als apathisches Bündel am besorgniserregendsten war. Noch immer hatte Ron keinen Ton von sich gegeben, doch er reagierte auf Madam Pomfrey Worte, was Hermine Anlass zur Hoffnung gab. Ihre Augen wanderten zwischen Ron und Lucius hin und her, während sie am Fenster stand und unbewusst auf ihren Fingernägeln kaute.

Lucius hingegen – ... (Lucius – sie merkte wieder, wie komisch sein Name in ihren Gedanken klang, er schien sich gegen ihre Zunge, gegen ihren Kopf zu wehren, wollte ihr einfach nicht über die Lippen), er war in seiner Trauer gefangen. Das Zittern seiner Hände, das er zu
unterdrücken versuchte, hatte sich auf seinen gesamten Körper ausgebreitet. Er hockte vor dem Bett, auf dem Boden, eine Hand nach oben gedreht, um Dracos Finger zu umfassen. Die Haare fielen ihm strähnenweise ins Gesicht, glanzlos, ausgefranst. Von Zeit zu Zeit wurde er ruhiger, das Zittern ebbte ab. Dann fragte sie sich, ob der Rest Leben aus ihm gewichen war. Wenn es einen Moment später wieder anschwoll, tat ihr ein wenig leid, dass sie beruhigt aufatmete.

Wenn ihr Blick dann wieder Rons kümmerliche Gestalt streifte ... Sie musste dem Drang widerstehen, zu ihm zu laufen und seine Hand zu halten. Madam Pomfrey hatte sie bereits mehrmals weggejagt.

Jemand räusperte sich, sodass sie sich umsah. Harry stand neben ihr ans Fenster gelehnt und streichelte ihr über den Rücken. Wenigstens Harry war ihr geblieben. Sie schloss die Augen und lehnte ihren Kopf auf seine Schulter. Harrys Arm lastete schwer auf ihrer Schulter, doch es hatte etwas Wohltuendes an sich, es engte sie nicht ein.

„Er wird schon wieder", sagte Harry. „Mach dir keine Sorgen, gib ihm ein paar Tage, dann wird er wieder der Alte sein. Madam Pomfrey meinte, es sieht gut aus. Er steht nur unter Schock."

Hermine schluckte, doch nickte. Ihre Gedanken wanderten zu all den Abenteuern, die sie schon überstanden hatten. „Weißt du, was man mit ihm gemacht hat?"

„Colin hat mir gesprochen, hat erzählt, was ihm passiert ist. Er hat nicht an Details gespart."

„Wollen wir über die andere Sache mutmaßen?" Die Frage stand im Raum wie ein rosa Elefant, wie eine Gewitterwolke folgte sie ihnen. „Das wird uns auf andere Gedanken bringen, hoffentlich nicht so finstere."

Harry lächelte bereits. „In Ordnung. Wie ist er gestorben?"

„Sehr plötzlich jedenfalls, aus heiterem Himmel. Alle waren auf Draco fokussiert ... der Todesfluch. Du bist der einzige, er den je überlebt hat. Lucius konnte mit Ach und Krach ausweichen und Draco ... muss eine Sekunde nicht aufgepasst haben, da war es schon zu spät." Sie sprach extra leise, in der Hoffnung, dass Lucius nichts davon zu Ohren kam. Ihr Blick lag angespannt auf den Malfoy, doch er zeigte keine Anzeichen.

„Und Voldemort?", hakte Harry nach. „Voldemort ist das eigentliche Mysterium ... Sonst lässt du dich nicht so ablenken."

Da! Hermine zuckte zusammen, weil Lucius bei der Erwähnung des unheilvollen Namens den Kopf hob. Sie blickten einander an. War das Wut? Verzweiflung? Erschöpfung? Er kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen, sie konnte es nicht sagen. „Harry, sei nicht so taktlos", rügte sie ihren Freund und fügte noch leiser hinzu: „Er konnte uns hören."

„Ich will nicht taktlos sein, wirklich nicht." Er stieß sich vom Fenstersims ab und hob beschwichtigend die Hände. „Aber sag mal, was ist da bei dir los?"

„Was meinst du?"

„Ron sitzt dort." Er zeigte zwei Betten weiter. „Deine Augen sind ständig auf Malfoy gerichtet."

War das so offensichtlich gewesen? Dann war sie keine gute Spionin. „Er ist vor meinen Augen gestorben, darf mich das nicht mitnehmen?"

Harry hob seine Hände noch höher. „Sei bitte nicht sauer. Ich will dich ernsthaft nicht kritisieren oder so. Es ist nur eine Feststellung ... oder eine Frage."

Ermattet schüttelte sie den Kopf. „Ist schon gut. Ich wollte dich nicht anzischen."

„Hast du nicht."

Schweigend sahen sie einander an. Hermine wartete darauf, dass Harry wieder näher an sie heranrückte, damit sie ihren Kopf auf seiner Schulter abstützen konnte. Aber er blieb an Ort und Stelle und obwohl er nur eine Armlänge entfernt war, fühlte es sich meilenweit an, und sie wurde unruhig. „Was hast du?", hörte sie sich fragen.

„Hast du Kingsley und Percy gesehen? Irgendeine noch so winzig kleine Spur von ihnen?" Falten der Besorgnis bildeten sich auf seiner Stirn und sie schüttelte traurig den Kopf.

„Nein?"

„Nein."

„Verdammt! Verdammt! Verdammt!"

„Nicht doch", sie nahm die eine Hand und entknotete seine Finger. „Wir werden sie finden."

„Ja? Sicher? Und in welchem Zustand?"

In diesem Moment schwang die Tür auf und Molly und Arthur stürmten hinein.

„Ron? Ron! Spätzchen!" Molly stürmte auf ihren Sohn zu, schloss ihn in die Arme und drückte ihren gegen seinen Kopf. „Sie haben dich gefunden, Merlin sei Dank. Und unverletzt!"

Hermine Magen grummelte. Eigentlich wollte sie nicht sehen, wie Molly herausfand, in welchem Zustand ihr Kind war. Sie hatte für heute schon genug Unglück beiwohnen müssen. Sicher würde ihr das auch niemand übel nehmen, wenn sie sich still und heimlich verabschieden würde. Schlafen, ihren Kopf ins Kissen graben, das würde ihr jetzt gutttun. Sie zupfte an Harry. „Ich geh", flüsterte sie ihm zu. Doch ihre Füße konnten keinen Schritt machen.

„Mama ..."

Ron flüsterte. Es war nur dieses eine Wort, doch es wog unheimlich schwer.

Alles würde wieder zum Alten finden. Es würde alles gut werden.

Für sie.

Sie hatte niemanden verloren. Sie konnte zaubern. Sie war nicht eingesperrt gewesen.

„Nimm Malfoy mit", sagte Harry zu ihr. „Ich denke, es tut ihm nicht gut, hier zu sein. Sein Zittern ist stärker geworden." Er war ein Schatz, seine Sorge galt allen. Schon immer war es so gewesen. Und er hatte recht. Lucius' Körper bebte. Sein Blick war auf den Boden gerichtet und ebenso versteinert. Er schaffte es nicht mehr, Draco anzublicken.

Gefesselt vom Anblick nickte Hermine. „Er braucht frische Luft."

„Du könntest auch zu George gehen. Er ist im Laden."


Last night I dreamed of you again
You swim your way up through my veins
Into my soul until you've reached my brain
You are the greatest part of me
So if dreaming's the only time you're near
Then waking up will be my nightmare


„Ron?" Sie trat an sein Bett näher heran.

„Hm?"

Er reagierte wieder. Sie lächelte breit. Das war ein schneller Fortschritt, der sie darüber hinwegtröstete, dass es die Gegenwart seiner Mutter und nicht die ihre war, die ihn aus der Starre befreit hat.

„Brauchst du irgendetwas?"

Ron sah sie für einen Moment verwirrt an und sie dachte schon, er hätte die Frage nicht verstanden. Dann schüttelte er zögerlich den Kopf. Sie holte tief Luft. „In Ordnung, dann kümmere ich mich um Lucius."

Seine Verwirrung wuchs. „Hm?"

„Lucius ... Lucius Malfoy. Er sitzt dort drüben." Sie zeigte auf die gegenüberliegende Seite des großen Raums und erschrak, als sie sah, dass Lucius den Kopf zwischen Knie und Arme versteckt hatte, einem Häufchen Elend gleichend. „Ich muss los."

Schnellen Schrittes brach sie zur Rettungsmission auf, auch wenn Lucius ihre Hilfe wahrscheinlich gleich hartnäckig ablehnen würde. Als sie ihm die Hand auf die Schulter legte, zuckte er zusammen, als hätte sie zum Schlag ausgeholt. Sie konnte es ihm nicht verübeln, seine bis aufs Äußerste angespannte Körperhaltung zeugte davon, wie düster es in seinen Gedanken aussah.

„Komm mit, ich bring dich an die frische Luft", erklärte sie und versuchte, ihren Ton mild und trotzdem unerbittlich klingen zu lassen. „Du siehst aus, als hättest du das bitter nötig."

Nun spiegelte sich Ärger auf seinem Gesicht und er streifte ihre Hand ab. „Ich bleibe hier."

Er blickte weg, alles war gesagt, aber da er seinen Blick immer noch nicht auf Draco richten konnte, wanderten seine Augen haltlos im Raum herum. Hermine merkte auch, wie er heimlich aus den Augenwinkeln ihr Kinn und ihre Nase inspizierte. Unwillkürlich fuhr sie durchs Gesicht und wuschelte sich durch ihre zerzausten Haare. „Komm schon, du kannst ihn nicht mal mehr ansehen. Ich bring dich nicht für lange weg, du wirst dich verabschieden können."

Er beobachtete die Decke und schwieg.

„Ich weiß, dass du deine Gefühle unterdrückst, weil du vor den Anwesenden nicht weinen möchtest."

Er machte ein protestierendes, fast knurrendes Geräusch.

„Wir gehen ein wenig spazieren und du kannst deinen Gefühlen freien Lauf lassen."

„Ich wusste gar nicht, dass meine Gefühle Ihre Aufgabe sind, Miss Granger. Stecken Sie die Nase woandershin, aber nicht an meinen Allerwertesten."

Lucius klang arrogant, wie immer. Doch anhand seiner Mimik wusste sie, dass es nur vorgeschoben war. „Lucius", bat sie unermüdlich. „Fünf Minuten. Und wir waren doch schon beim Du."

Er schürzte die Lippen und sah ihr direkt in die Augen. Gut, das war schon einmal eine Verbesserung, dachte sie und zweifelte gleich an ihren Worten, als er wütend funkelte. „Du ... Hermine, bist doch froh, dass er tot ist, nicht?"

„Wie? Nein! ... Es tut mir leid, dass er ... tot ist."

Lucius sah noch nicht zufrieden aus. „Du siehst nicht traurig aus."

"Es gibt viel zu tun. Viele, um die sich gekümmert werden muss. Ich stehe neben mir, das kannst du mir glauben."

Ihre Worte schwebten über seinen Kopf hinweg. "Ihr hattet doch Probleme miteinander. Ihr konntet euch nicht leiden."

„Deswegen habe ich ihm doch nicht den Tod gewünscht!"

Schlagartig wurde sein Zittern wieder stärker. Er schüttelte sich wie ein alter Mann.

„Komm." Sie nahm seinen Arm und zog ihn aus dem Krankenflügel. Wunderlicherweise ließ er es mit sich machen. Die Luft war so frisch, dass sie ihre Köpfe kühlte. Auch die Bewegung und die Sonne, die auf ihre Haare schien, halfen ihr, ihre Besonnenheit wiederzufinden. Sie schloss die Augen und atmete tief ein und aus. Beinahe meditativ versuchte sie, ihre rasenden Gedanken zu ordnen. Dann, als sie endlich ein bisschen Ruhe spürte und die Augen öffnete, sah sie unvermittelt in Lucius' Regenwettergesicht.

„Können wir wieder rein? Ich will hier nicht herumstehen, wie bestellt und nicht abgeholt."

„Hm ... Wir könnten zu George in den Laden gehen, uns die Maschine noch einmal ansehen?"

Lucius brummte augenblicklich. „Ich will in den Krankenflügel zurück."

„Um Löcher in die Luft zu starren und sich Vorwürfe zu machen?"

Lucius murmelte etwas Unverständliches.

„Ach, tu nicht so, als würde es dir helfen! Du versinkst ja förmlich in Selbstmitleid!"

„Mein Sohn ist gestorben!", brüllte er sie an. „Das ist sehr unsensibel von dir, wenig diplomatisch und erst recht nicht empathisch!"

„Dann lass deinen Kummer freien Lauf! Friss es nicht in dich hinein! Das kann man ja nicht mitansehen!"

Sie rechnete fest damit, dass er zurückschreien, wild umhergestikulieren und sie verfluchen würde. Auf Dauer würde das nicht gutgehen, fieberhaft suchte sie bereits nach einer Lösung, wie sie die Auseinandersetzung nicht in einen Brüllkampf ausarten lassen könnte — aber vielleicht brauchte er gerade das? —, als Lucius vor ihr zusammensackte.

Er wehrte sich nicht. Einfach so. „Du hast ja recht ... Hier draußen geht es mir besser als dort drinnen."

Mit vielem hatte sie gerechnet, aber damit? „Warum willst du dann zurück?"

„Ich ...", er erwog die nächsten Worte. „Will man immer, was einem guttut? Ich bin sein Vater, ich bin schuld, ich sollte trauern."

„Tust du es nicht?"

„Doch!"

„Du warst sein Vater, du bist nicht schuld und du solltest dich nicht selbst quälen. Jeder trauert anders. Lass uns zu George gehen und dort kurz durchatmen, ein wenig an der Maschine herumexperimentieren.Vielleicht tut dir die Ablenkung gut, wenn nicht — ein Wort und ich bringe dich in den Krankenflügel."

Lucius nickte und strich seine Kleidung glatt. „Wenn wir sie zusammenbauen könnten ..."

Hermines Blick wich in die Ferne. „Was wir damit machen könnten ..."

„Dolohov in die Finger kriegen."

„Und Grindelwald."


You gotta let me know
Don't leave me hanging
And complicate it
All we are is setting ourselves up to fall apart
Don't leave me hanging on


„He he he! Kommt herein, kommt herein. Nehmt ein Getränk und stoßt mit uns an." Wie ein Zirkusdirektor breitete George die Arme aus und lachte, dann überreichte er ihnen zwei Champagnergläser so schwungvoll, dass sie überschwappten.

Verdattert nahm Hermine an und aus den Augenwinkeln konnte sie beobachten, wie Lucius es ihr argwöhnisch gleichtat. Sie ließ den Blick umherschweifen, sie waren nicht allein, das Geschäft war rappelvoll. Ein konzentriertes Arbeiten an der kaputten Maschine würde bei solch vielen Menschen schwierig werden. Sie sah Remus, der noch ein wenig lädiert, aber schon wieder bei Kräften aussah. Die Creevey-Brüder waren beide da, Ginny, Bill und Fleur.

„Wir haben es geschafft!", trällerte George. „Endlich! Er ist besiegt!"

Vielfacher Jubel brach aus.

Er nötigte sie, mit ihm anzustoßen. Hermine machte es, Lucius folgte äußerst zögerlich. Sie sah, wie sich seine Finger um den schlanken Griff des Glases verkrampften. Die Sorge, dass der Boden gleich voll Scherben und Splitter lag, erfasste sie. „George", warnte sie. „Es ist nicht der richtige ..."

Für einen Moment erlosch die Heiterkeit wie ein Kerzenlicht. „Mein Beileid, Mr. Malfoy."

Lucius nickte. Noch einige andere reihten sich ein und wiederholten die Worte, mit so wenig Abwechslung, dass es nichts weiter als eine Floskel war.

„Wie ist es passiert?", schoss es aus Goerge heraus. Obwohl er versuchte, seine Stimme zu senken, drangen seine Worte an Lucius' Ohr, der gerade von Remus in ein Gespräch verwickelt worden war.

Hermine schluckte. „Willst du gar nicht wissen, was mit Ron ist? Wir haben ihn gefunden."

Ihr Gegenüber lächelte vergnügt. „Er ist wohlauf und wird wieder. Colin hat es erzählt und Mum hat einen Patronus geschickt. Wir wollen ihn erst einmal in Ruhe zur Kraft kommen lassen und den Krankenflügel nicht überfüllen."

„Oh, das ist gut", sagte sie, aber wurde von George unterbrochen, der sie mit einem solch intensiven Blick fixierte, das ihr unwohl wurde. „Nun sag schon, wie ist er gestorben?"

„Ähm ...", stammelte sie, nicht wissend, wie sie aus dieser Situation wieder herausnavigieren sollte. Sie wusste, dass Lucius zuhörte. Wenn sie jetzt das Falsche sagte, standen die Chancen nicht schlecht, dass er umdrehen und gehen würde.

„Nun mach' doch kein Geheimnis draus", rundete George die missliche Lage ab.

Bange blickte sie in die Runde. Alle Augen waren auf sie gerichtet. „Ich weiß es nicht!"

„Wie? Du weißt es nicht?", wiederholte George ihre Worte wie ein Echo. „Aber ihr wart dabei, oder nicht?"

Hermine nickte zögerlich. „Schon, aber er ist einfach umgekippt. So von der einen Sekunde auf die nächste. Es gab keine äußere Ursache."

„Höchst ungewöhnlich", sprach Remus und löste sich aus seiner Unterhaltung.

Colin sah ein wenig verlegen aus. „Ich dachte, Hermine, dass du vielleicht eine Ursache erkannt hättest, immerhin weißt du so vieles."

„Leider nein. Es ist mir ein Rätsel."

In diesem Moment bewegte sich Lucius und sie schreckte herum. Ein wenig erleichtert stellte sie fest, dass er nicht zur Tür lief, sondern sich an den Tresen setzte, wo sonst der Kassierer saß, und begann, in der dort liegenden Bedienungsanleitung zu blättern. George zog sie in die Unterhaltung zurück. So schilderte sie ihm nochmal, was sie erlebt hatte und beantworte seine Fragen. Obwohl der Weasley ein hervorragender Entertainer war und es leicht schaffte, alle Aufmerksamkeit an sich zu binden, huschte ihr Blick regelmäßig zu Lucius hinüber, der hochkonzentriert in dem Pamphlet las.

Ein wenig zu konzentriert ... Hermine nahm es ihm nicht ab. Sie fing an, genauer darauf zu achten, ob und wann er eine Seite umschlug. Sie wartete und wartete, hörte mit einem halben Ohr Georges und Remus' Geplauder zu und beobachtete ihn aus den Augenwinkeln.

Nicht eine einzige Seite blätterte er um.

Entweder hatte er etwas Bahnbrechendes gefunden (was sie bezweifelte, denn sie hatte die Bedingungsanleitung selbst schon vor ihm durchgeschaut und sich einen Überblick verschafft) oder er war mit seinen Gedanken ganz woanders. Als sie sich näherte, merkte sie, dass er auf eine bestimmte Stelle starrte und auf keinen Fall las. Glücklicherweise konnte sie feststellen, dass er noch nicht in einem solch desolaten Zustand war, dass er die Anleitung falsch herum hielt.

„Worüber denkst du nach?", rutschte es aus ihrem Mund, als ihr Schatten im Diskolicht sich auf das Pamphelt stürzte. Sie hatte die Frage nicht kommen sehen, war überhaupt nicht auf ein Gespräch vorbereitet, doch um sich einigermaßen gut aufzustellen, sagte sie: „Sei bitte ehrlich zu mir. Ich erzähle es auch niemandem weiter." Sie erwägte gerade, einen Muffliato zu wirken, da antwortete Lucius: „Suizid."

Ihr Herz stolperte über das eine Wort und seine nie gekannte Ehrlichkeit. Ein Grund, solche Fragen nicht zu stellen, wenn man mit den Antworten nicht umgehen konnte. Sie konnte sich zwar ein Leben ohne ihn vorstellen (ziemlich gut sogar), aber sie wollte seinen Tod nicht voraussehen. Sie hatte ja noch nicht mal die Frage voraussehen können. Das konnte er doch nicht ernst meinen? Aber aus Spaß würde er es auch nicht sagen, das wäre geschmacklos. Wusste er, wie sehr er sie mit diesem einen Wort verletzte? „Von wem?"

Er sah sie geradeheraus an. Tränen schimmerten in seinen Augen. Das erste Mal an diesem Tag schien er die Selbstbeherrschung zu verlieren. Sie sah ihn zum ersten Mal weinen. Er war eisern gewesen, hatte lange durchgehalten. „Von mir."

Ihr Hals fühlte sich an wie zugeschnürt. „Mach es nicht", hauchte sie mit brüchiger Stimme.

„Bietest du gerade an, mich umzubringen?"

Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Noch bevor sie sich überwinden konnte, noch bevor sie, die schlauste Hexe ihrer Generation, in der Lage war, den Finger in die Wunde zu legen, war er aufgestanden und hatte sich aus dem Staub gemacht. Auf die Aufrichtigkeit von Lucius Malfoy hatte niemand sie vorbereitet, ihre Existenz war immer wieder bestritten worden.


Sie schüttelte den Kopf. Das konnte er nicht ernst meinen. Sie hatte ihn bloß in einem schwierigen Moment erwischt. Sie lief ihm hinterher, er war bereits disappariert und so machte sie sich wieder auf den Weg nach Hogwarts. Seltsamerweise fand sie ihn nicht im Krankenflügel (wahrscheinlich wusste er, dass sie dort als erstes nach ihm suchen würde). Er streifte ohne Ziel durch die Gänge von Hogwarts. Wo sollte er auch hin? Er lehnte an einem Fenster und starrte in einer Denkerpose in den Innenhof, wo sich einige Schüler versammelt haben. Sein Blick ging jedoch durch alles hindurch, in weltfremde Sphären.

„Alle reden nur über den Tod des dunklen Lords", begann er zu erzählen, als sie sich neben ihn stellte. „Aber niemand redet darüber, dass auch Draco gestorben ist." Er zitterte und nahm die Bedienungsanleitung der seltsamen Maschine aus der Tasche, um es zu vertuschen. „Niemand von denen trauert um ihn."

„Sie sind sicher betroffen."

Genau in dem Moment brach Gelächter in der nichtsahnenden Schülergruppe aus.

„Verteidige sie nicht. Es ist in Ordnung, sie waren ja nicht mit ihm befreundet. Da kann man keine Trauer erwarten ... Aber ich dachte, sie wären schockiert."

„Du warst so beherrscht, so eisern. Ich glaube, sie wussten nicht, ob sie was sagen sollten. Ob du etwas hören wolltest. Wahrscheinlich hätte es dir auch nicht gepasst, wenn sie die richtigen Worte gefunden hätten, oder?"

Er verzog das Gesicht zu einer Grimasse. „Du machst es nicht besser, aber ich verstehe, was du mir sagen möchtest. Ich danke dir für deine Ablenkungsversuche."

Sie fand es selbst komisch, doch der Schmerz um Dracos Verlust brachte sie näher zusammen. Zum ersten Mal konnte Hermine sich vorstellen, wie es wäre, Lucius zum Freund zu haben. Dabei war es ausgerechnet ein Moment, in dem er mit der Welt und seinem Platz in ihr zauderte.


I am a lesson you will learn
I'd take away your pain and hurt
But I'm not strong enough to be your cure
I am the battle you will lose
You think that you are saving me
But I'm the one that's saving you


„Wo willst du hin?"

Ertappt drehte sie sich um. Den Kopf hängen lassend, registrierte sie überrascht, dass auch Lucius Im Begriff zu Gehen war, als er sie zurückpfiff. „Wo willst du denn hin?", fragte sie zurück.

„Ich muss mit Narzissa sprechen. Immerhin sollte ich ihr persönlich sagen, dass Draco ..."

Hermine biss auf ihre Lippe. Sie sah ein Unwetter voraus. „Wo ist Narzissa nochmal?" Sie tat nur so, als könnte sie sich nicht recht daran erinnern. Eigentlich wusste sie ganz genau, wo Narzissa sich aufhielt.

„Bei ihrer Schwester, Bellatrix." Auch Lucius wusste, worauf Hermine hinauswollte, doch er sprach es nicht an. Im Gegenteil, er wandte sich zum Gehen.

„Du kannst da nicht einfach hingehen."

Tatsächlich hielt Lucius in der Bewegung inne. „Aber ich muss."

„Die Lestranges haben versucht, dich umzubringen. Du kannst doch nicht einfach an der Tür klingeln."

„Vielleicht werden sie es verstehen ..."

„Sie werden dir nicht zuhören! Schick eine Eule, auch wenn es unschön ist."

„Nein, das mache ich nicht."

„Dann schicke ihr eine Eule und bitte um ein Treffen."

Er seufzte. „Das kann ich versuchen. Ich hatte es eh vor."

Hermine schnaubte. Natürlich hatte er das.

„Und was willst du machen?", fragte er zurück und sie wusste, dass sie ihn nicht allein lassen konnte. „Ich werde auch eine Eule schicken", antwortete sie deshalb. „An Viktor. Ich muss wissen, wie es ihm geht."

Noch am selben Tag flogen zwei Eulen los.

- Lyrics: „Hanging on" von Falling in Reverse

Moral und Wahnsinn - In der Gegenwart meiner FeindeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt