Kapitel 9 - Ein Blender und Blinder

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Kapitel 9 - Ein Blender und Blinder

06. Mai 1998, abends

Er flohte nach Hause und kam er in einem dunklen Salon an. Die Sonne war untergegangen. Das gesamte Untergeschoss des stattlichen Herrenhauses war heute nicht beleuchtet. Flure und Zimmer muteten einsam und verlassen an. Staub hatte sich bereits auf den Anrichten gesammelt. Nachdem er am frühen Nachmittag die Ländereien von Hogwarts zu Fuß durchquert hatte, war er in die Nokturngasse appariert, um Borgin & Burkes ein Besuch abzustatten. Ihm war jedoch nicht nach einem Gespräch zu Mute gewesen. Weil Mister Burkes versuchte, Verkaufsverhandlungen für das ein oder andere Ausstellungsstück einzufädeln, war er nach nicht allzu langer Zeit wieder aufgebrochen. Die Enttäuschung hatte dem Ladeninhaber deutlich ins Gesicht geschrieben gestanden, als Lucius eilig an die Kasse herantrat und ein Sümmchen Galleonen für einen kleinen, magisch verriegelbaren Käfig aushändigte. Wahrscheinlich hätte er den Kaufpreis drücken können, doch dafür hätte er sprechen müssen.

Leise schlich er aus dem Salon durch den dunklen Flur in die düstere Küche, bedacht darauf, keine unnötigen Geräusche zu erzeugen. Keinesfalls wollte er die Aufmerksamkeit von irgendjemanden auf sich ziehen. Der majestätische Tisch im Esszimmer war für eine Person eingedeckt. Vor wenigen Wochen noch hatten hier viele flüchtige Todesser gespeist. Narzissa schien bereits ohne ihn zu Abendbrot gegessen zu haben. Beim Anblick des erkalteten Essens knurrte sein Magen. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er über den Mittag herum gehetzt war, unfähig, eine anständige Mahlzeit zu sich zu nehmen. Ein paar Bissen und er würde wieder gesättigt sein. In den letzten Tagen hatte er kaum etwas herunterbekommen. Er wusste, dass er essen musste, aber er spürte den ganzen Tag lang keinen Hunger. Auch jetzt, wo sein Magen sich bemerkbar machte, hatte sich dieses bekannte Gefühl nicht eingestellt. Es lag am Stress, doch diesen konnte er nicht einfach tiefer regeln. Sobald er seinen Sohn gefunden hatte, konnte er wieder mit einem normalen Leben beginnen. Er setzte sich.

„Lucius." Narzissa stand im Türrahmen. Sie hatte bereits ein Nachthemd angezogen und ihr Make- up entfernt. Er nickte ihr zu und schob sich ein Stück Brot in den Mund.

„Lucius", sprach sie nochmals und diesmal schwang ein vorwurfsvoller Unterton mit. „Wo warst du?"

„Im Ministerium", log er, ohne mit der Wimper zu zucken. Er hatte ihr schon oft eine Lüge aufgetischt. Immer um sie vor den gefährlichen Facetten seines Todesserdaseins zu schützen. Es hatte ihm wahrlich nicht viel gebracht. Nach dem Ausbruch aus Askaban hatte er stetig in ihr enttäuschtes Gesicht geblickt. Gleichzeitig hatte der Lord Draco in die Verzweiflung getrieben, indem er ihm unerfüllbare Aufgaben gegeben hatte. Er hatte hilflos zusehen müssen. Narzissa hatte lange gebraucht, um diese Tatsache zu akzeptieren. Dumbledore zu ermorden war ein Unterfangen, das keinem Todesser gelungen wäre. Niemandem außer Snape. Nun musste er gepflegt werden und Draco war ... über alle Berge. Er wehrte sich gegen den Gedanken, dass das Herz seines Sohnes nicht mehr schlagen würde. Er lebte. Er würde ihn finden.

Sie lehnte sich an den Türrahmen, als müsse sie diesen stützen. Haare fielen ihr ins Gesicht. „Soll ich deine Ausgehsachen in die Garderobe bringen?", fragte sie und erntete ein sachtes Kopfschütteln.

Lucius legte eine Hand auf den Umhang und den Mantel, die er auf den Stuhl neben sich abgelegt hatte. „Wir haben doch diese jämmerlichen Hauselfen."

„Gut." Dann verließ sie den Raum, unter dem Vorwand, noch einen Brief verfassen zu müssen. Er hatte keine Ahnung, warum Narzissa so ausführlich mit ihrer Schwester Kontakt hielt. Seufzend griff er nach seiner Kleidung. Auf Zehenspitzen schlich er wieder durch den Flur, auf den Weg in sein Arbeitszimmer, das am entgegengesetzten Ende lag.

Moral und Wahnsinn - In der Gegenwart meiner FeindeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt