Kapitel 17 - Die Gretchenfrage

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Kapitel 17 – Die Gretchenfrage


Der Tag war wieder so erfolglos wie die vorherigen verlaufen. Langsam würde sie die Strategie ändern müssen. In der hogwartseigenen Bibliothek nach Büchern zu suchen, die das von ihr beobachtete Phänomen erklärten oder wenigstens beschrieben, führte sie nirgendwohin, noch nicht einmal auf einen Holzweg. Sie trat einfach auf der Stelle. Die Weasleys, Kingsley oder Harry hatten ihr auch keinerlei Unterstützung oder Hilfestellung gegeben. Ärger wallte in ihr auf, als sie daran dachte, wie sie andere Aufgaben vorgeschoben hatten. Es gab viele wichtige Dinge, das war Hermine klar, aber durch den anonymen Brief waren sie davon überzeugt, dass es tatsächlich unsichtbare Zauberer waren, die mit ihren Opfern seit-an-seit-apparierten. Das Wort ‚Überzeugung' hatte keiner in den Mund genommen, doch Kingsley hatte gesagt, dass er es für einen ‚guten Ansatzpunkt und eine logische Erklärung' hielt. Hermine verzweifelte. Das konnte nicht die Lösung sein. Warum sollte ihnen die Antwort auf diese brennende Frage auf einem Silbertablett serviert werden? Wenn der Briefschreiber ein abtrünniger Todesser war - noch so eine logisch anmutende Schlussfolgerung, die aber wirklich nur anmutete und mehr Fragen aufwarf, als beantwortete - wer sollte Ron entführt haben? - Warum begnügte sich der mysteriöse Tippgeber mit Briefeschreiben, wenn er schon alles zu wissen schien? Welche Rolle spielte Voldemort? War es sein allumfassender Masterplan? Warum sollte er einen Masterplan gehabt haben, als er gerade Hogwarts angriff? War dies nicht sein Masterplan gewesen? Hermine war höchst unzufrieden mit dem, was ihre Recherche und die regelmäßigen Ordenssitzungen zu Tage förderten.

Nach einem quälend langen Tag apparierte sie in den Fuchsbau und merkte augenblicklich, dass etwas nicht stimmte. Etwas war anders als gestern. Anders als sonst. Sie schritt durch die Wiesen und Gärten, dem auftürmendem Wohnhaus entgegen. Das Grün lag in stiller Eintracht vor ihr. Keiner der Weasleys rückte in ihr Sichtfeld, obwohl der schöne, sonnige Tag gerade in seinen letzten Zügen lag. Jemand hatte begonnen, den Rasen, der bereits schon wieder überall hin gewuchert war, zu trimmen und hatte achtlos mittendrin aufgehört. Der Gartentisch war eingedeckt. In der Mitte stand ein angeschnittener Kuchen. Auf jeden der Teller lag noch ein angebissenes Kuchenstück. Wo waren alle hin? Ihre Schritte gewannen an Geschwindigkeit. Auch Harry oder Kingsley konnte sie nirgends entdecken, obwohl auch ihr Tag voller Arbeit längst vorbei gewesen sein müsste. Wenn sie Glück hatte, dann hielten sich alle im Inneren des Fuchsbaus auf. Doch warum? Er war klein und eng und man hatte nie Privatsphäre. Gerade diese Umstände hatten doch alle nach draußen auf die Felder und Wiesen getrieben. Was zog sie in die beengten Räumlichkeiten? Wenn sie Pech hatte... Sie schüttelte sich. Sie durfte nicht immer das Schlimmste erwarten. Vorbereitet sein war gut und schön, aber sie konnte nicht ständig in der Erwartung schrecklichster Dinge leben. Vielleicht war ein Unglück geschehen... Ein Angriff...

Hermines Herz machte einen schmerzhaften Sprung, als sie erkannte, dass die Haustür nur angelehnt worden war. Mit einem festen Griff um ihren Zauberstab trat sie in de unbelebten Flur und lauschte. Auf den Boden stapelten sich tausende von Schuhen und ebenso viele Jacken hingen an der Garderobe. Soweit war alles wie üblich. Dann schallten ihr Geräusche und Laute aus der Küche entgegen. Es war ein Wirrwarr aus Stimmen und Getuschel. Sie atmete erleichtert auf. Kein Angriff. Wohl keine Katastrophe.

„Schluss mit dem Theater! Du verbessert deine Verhandlungsposition überhaupt nicht, wenn du nicht langsam versuchst, Antworten zu liefern", kämpfte sich Kingsleys Stimme aus dem Durcheinander hervor. Durch ihren dunklen Bass hob sie sich deutlich vom Schnattern der anderen ab.

„Kingsley!" Dies war Arthur. Auch er klang aufgeregt. „Das können wir nicht tun. Es ist falsch."

Schnauben.

„Und ob."
„Und wie wir das können!"
Diese Stimmen erkannte sie nicht, vielleicht weil mehrere zugleich sprachen.

Chaos brach aus. Sie hörte Harry etwas einwenden und auch der sonst eher schweigsame Bill beteiligte sich an der erbittert geführten Diskussion. Alle waren so verstrickt im Streit, dass niemand wahrnahm, wie sie in die Küche trat. Das Bild, das sich ihr bot, war gewaltig. Nie hätte sie geglaubt, eines Tages eine solche Szenerie geboten zu bekommen.

Zunächst einmal platzte die Küche aus allen Nähten, so gefüllt war sie mit Menschen. Jeder hatte sich der Versammlung angeschlossen und wusste etwas beizutragen. Alle redeten kreuz und quer durcheinander. Der eine versuchte, den anderen oder seine schlechten Argumente zu übertönen, was in einem Wirbelsturm mit steigender Lautstärke mündete. Molly breitete die Arme aus und versuchte ihre Familie zu beruhigen. Es dauerte einige Minuten, doch dann zeigte es tatsächlich Wirkung. Dann war da noch der verzauberte, überdimensionale Vogelkäfig, der über ihren Köpfen thronte. Dieser war einmal das Zuhause von Percys Wellensittich gewesen, bevor dieser einen unrühmlichen Abflug gemacht hatte. Nun beherbergte er einen Gefangenen. Hermine musste mehrmals hinsehen, um diesen als Lucius Malfoy zu identifizieren.

Malfoy war im denkbar schlechtesten Zustand. Mit seinem Rücken lehnte er am Gitter und die Beine hielt er angewinkelt. Seine Kleidung war verdreckt und blutbesudelt. Den rechten Arm hatte er ausgestreckt und auf eine Querstange abgelegt. Sein Atem ging rasselnd, begleitet von Schmerzenslauten. Am Ende des Armes befanden sich ein Handteller und auch ein Daumen, doch alle vier Finger fehlten. Zu Boden strömte das Blut, auf welches er so stolz gewesen war.

„Setz dich, Kind!" Hermine war entdeckt worden. Molly kam auf sie zugestürmt und drängte sie auf einen Küchenstuhl, von dem sie zuvor Arthur verscheucht hatte. Dieser verzog sich murrend in eine andere Ecke der Küche.

Geschockt nahm sie Platz, den Blick unentwegt auf die verstümmelte Hand gerichtet. In dem Moment, in dem sie sich setzte, kehrte Stille ein. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können. George lehnte am Vorratsschrank und auch Molly, Bill und Fleur standen um sie herum. Percy saß hinter ihr. Harry teilte sich mit Kingsley die Bank. Alle schauten gespannt in ihre Richtung, als sei sie eine Zirkusdirektorin, die gerade den Löwen angekündigt hatte. Einzig Malfoy zeigte keine Reaktion. Seine langen Haare hingen wie ein Vorhang vor seinem Gesicht. Einst waren sie mal platinblond gewesen wie Dracos, doch nun war ihre Farbe so kraftlos, dass Hermine auch bei genauerem Hinsehen nicht erkennen konnte, ob sie nur hell oder schon grau sind. Sie konnte nicht sagen, ob er tatsächlich bei Bewusstsein war, abgesehen von dem Indiz, dass Kingsley gerade mit ihm gesprochen hatte.

„Wieso hat mir keiner Bescheid gesagt?" Sie versuchte, jemanden forsch in die Augen zu blicken. Jeder hatte gewusst, wo sie gewesen war. Jeder hätte sie informieren können. Niemand hatte es getan. Jeder wich ihrem Blick aus.

Harry betrachtete den Tisch und nuschelte: „Ich habe es vergessen." Er knetete seine Hände, es sah beinahe schmerzhaft aus. „Entschuldige."

„Das kann doch nicht wahr sein! Wo sind seine Finger geblieben?"

Kingsley stand auf und straffte seine Brust. „Er ist zersplintert. Wir haben ihn so gefunden. In Hogsmeade, hinterm Ortsausgang, halb in einem Gebüsch liegend, halb auf dem Gehweg. Unter Schreien und Würgen haben wir es geschafft ihn in den Käfig zu stecken."

„Wie kam er dort hin?"

Schulterzucken von seiner Seite. „Ich weiß es nicht und er erzählt es auch nicht. Er stellt nur Forderungen und weiß angeblich von nichts."

Harry mischte sich ein: „Wir haben ihm, so gut es ging, eine Kompresse angelegt. Aber er hat sie sich abgerissen und auf Muggel geschimpft."

Hermine beäugte die zusammengekauerte Gestalt, sie musterte nochmals Kingsley. Ihr Blick huschte zu Harry und dann zu Molly und George. „Kompresse hin oder her. Hat jemand von euch versucht, die Verletzungen zu heilen? Das darf nicht so weiter bluten, das sieht ein Blinder mit Krückstock. Wurde Madam Pomfrey oder ein anderer Heiler verständigt?" Es musste höllisch wehtun. Das gönnte sie keinem. Ohne Schmerzen würde er auch besser ihre Fragen beantworten können.

Sie erstarrte, als alle Beteiligten zaghaft den Kopf schüttelten. Auch Harry tat es, wenn auch noch zurückhaltender als die anderen. „Keiner? Ernsthaft kein einziger von euch?" Sie waren alle fähige Zauberer und Hexen! Hermine konnte nicht verhindern, dass ihre Stimme in die Höhe schnellte.

„Ich habe es versucht, Hermine, ehrlich", meldete sich Arthur zu Wort. „Ich habe die früheren Auseinandersetzungen, die ich mit Malfoy hatte, bei Seite geschoben und habe es versucht. Aber ich wurde aufgehalten, immer wieder davon abgehalten. Harry, Molly und George waren der Meinung, dass es nicht die beste Idee sei, in sofort zu versorgen. Wir sind ein wenig zwiegespalten."

„Wenn wir ihn zuerst heilen und dann verhören, wird er keinen Grund haben, uns etwas zu sagen. Es ist nicht schön, aber so haben wir etwas in der Hand", erklärte Harry ohne den Anstand zu haben, ein klein wenig verlegen zu klingen. „Er versteht es nicht, aber du musst es doch verstehen!"

Kingsley nickte und fügte hinzu: „Und wenn er sofort eingewilligt hätte, unsere Fragen zu beantworten, dann wäre er nun schon wieder geheilt. Bis auf die Finger, da kann man nichts machen, solang man nicht weiß, wo er sie verloren hat."

Ihr wurde heiß und sie begann zu zittern: „Hach, vergessen hast du es... Das war doch Absicht! Ihr wusstet, dass ich das nicht gutheißen werde!"

Nun stampfte Molly von einem Bein zum anderen. „Hermine, mein Kind, es ist für Ron. Es ist alles für ihn und unsere beste Chance, ihn zu finden. Das musst du doch einsehen!"

„Das kann nicht euer aller Ernst sein! Wir können uns doch nicht auf das Niveau der Todesser herunterlassen."

„Hermine!", schallte es im Chor.

„Niemand ist stolz auf das, was wir da tun. Doch es muss getan werden. Malfoy zeigt sich zu hundert Prozent unkooperativ. Dabei ist er unsere Möglichkeit an Informationen zu kommen. Wir hätten alle gern anders gehandelt. Aber schwierige Zeiten erfordern zweifelhafte Maßnahmen. Das hast du doch selbst gesagt", belehrte sie Harry. „Mit jeden Tag, der vergeht, wird es unwahrscheinlicher, dass wir die Vermissten finden."

Dass sie Ron fanden. Hermine stieß einen schmerzerfüllten Laut aus und trat unter den schwebenden Käfig. Schräg schaute sie zu Malfoy hoch. Er bewegte sich und wischte sich mit der unversehrten Hand die Haarsträhnen aus dem Gesicht. Sein Blick war vernebelt, das rechte Auge blutunterlaufen. Durch einen tiefen senkrechten Schnitt wurden seine Augenbraue und seine Wange in zwei Hälften geteilt. Über der gesamten Haut hatte sich eine braune Kruste aus getrocknetem Blut gebildet. „Ich habe damals gesagt, dass verzweifelte Menschen unberechenbar sind", wisperte sie zu sich selbst. Es schien so lange her, dabei waren erst wenige Tage vergangen. Sie hatte eigentlich an Malfoy gedacht, den sie als Briefschreiber und abtrünnigen Todesser in Verdacht hatten. Natürlich traf dies auch auf den Orden zu. Sie hatten all ihre Hoffnung auf den Brief gesetzt. Sie haben sich nach Antworten gesehnt und Malfoy war derjenige, der sie ihnen bereitwillig liefern sollte. Es konnte einen bis in die Grundfesten erschüttern, wenn sich dies als irreführend entpuppte. Hermine selbst hatte schon unzählige Male über ihre seltsame Begegnung im Krankenflügel nachgedacht. Auch dort schien er nicht im Lot mit den Todessern gewesen zu sein. „Er ist bei Bewusstsein, aber ob er unsere Fragen versteht, geschweige darauf antworten kann, mag ich zu bezweifeln."

Malfoy schloss die Augen. Die unverletzte Hand presste er auf die zerschlitzte Gesichtshälfte. „Doch, dazu bin ich durchaus in der Lage, Granger. Weder bin ich unkooperativ, noch habe ich abgelehnt, die Fragen zu beantworten, vorausgesetzt ich weiß eine Antwort. Ihr seid ein wild gewordener Hühnerhaufen. Keiner versteht, was ich sage... Ein letztes Mal: Ich beantworte Fragen, sobald die Hand", angewidert wedelte er mit dem Stumpf, „nicht mehr blutet. Es ist dringend. Tot nütze ich nichts. Foltern könnt ihr mich immer noch. Wie soll ich mir denn sicher sein, dass ihr euer Wort haltet?"

„Wir sind die Guten. Auf unser Wort ist Verlass", knurrte George. Mit Schwung drückte er sich vom Vorratsschrank ab und stellte sich neben Hermine, direkt unter den Käfig, sodass Malfoy zur Seite rücken musste, um ihn in die Augen blicken zu können. „Du bist ein alter, trauriger Sack. Um zu beweisen, wie ernst wir es meinen, sollten wir dich vielleicht tatsächlich foltern."

Molly schlug die Hand auf den Mund und stieß „George!" aus.

Ihr Sohn würdigte sie keines Blickes. Steif stand er in der Mitte des Raumes, wie eingefroren. „Er ist ein Todesser... Wegen ihnen oder seines wegen ist Fred nicht mehr da."

Seine Mutter schluchzte.

Mit langsamen Bewegungen schob sich der Gefangene ans Gitter. Er legte den Hals in den Nacken und lachte leise, was Hermine eine Gänsehaut bescherte. Es war kein richtiges Lachen, sondern eher ein Krächzen, doch es dauerte an. Wieder verdeckte er mit der Hand die Wunde im Gesicht. „Alt und traurig...", hauchte er so leise, dass nur Hermine, die ihm am nächsten war, es hören und verstehen konnten, wenn sie die Ohren spitzte. „Mir ist gleichgültig, was ihr noch mit mir macht. Hast du jetzt hier das Sagen?", fragte Malfoy lauter und an George gewandt. Seine Stimme war brüchig und heiser. Er stotterte nicht, aber schien immer wieder über seine Zunge zu stolpern. Unbeirrt fuhr er fort: „Allerletzter Versuch: Ich schlage einen Kompromiss vor."

George nickte. „Lass hören."

„Findet meine Finger und ich schließe mich dem Orden im Kampf gegen Voldemort an."

Der gesamte Orden lachte spöttisch. George gackerte. Auch Arthur schmunzelte. Malfoy als Mitglied des Phönixordens. Es war eine skurrile Vorstellung, doch er hatte sie todernst und feierlich vorgetragen. Der Blutverlust musste arg gewesen sein. Sein Blick schweifte umher, während sein Körper in eine versteinerte Ruhe gefallen war. Er wirkte, als sei er in mehr als nur einen Käfig gefangen. Sie bereute ihr Lachen. Verzweifelte Menschen waren unberechenbar.

„Wofür sollst du uns zu Nutze sein?", fragte Kingsley.

Hermine konnte nicht zulassen, dass sie Malfoy nicht halfen. Dann wären sie verkommen! Sie konnte nicht zulassen, dass der Orden zu Unmenschen wurde. Ob Malfoy nun nützlich war oder nicht. Sie waren durch den Verlust geliebter Menschen geblendet. Der Schmerz nahm ihnen das Gefühl für richtig und falsch. Sie wollten Antworten, auch wenn es bedeuten würde, über Malfoys Leiche zu gehen. Das würde den Andenken von Fred, Dumbledore, Sirius, Tonks und jedem anderen früheren Mitglied nicht gerecht werden. Verzweifelte Menschen sind unberechenbar. Später würde sie auf diesen Moment zurückblicke und ihre Untätigkeit bereuen. Selbst, wenn es die anderen nicht tun, sie würde es. „Los, George, Bill, geht die Finger holen." Es war kein Befehl, sondern eine Bitte. Sie waren alle sehr verzweifelt.

Malfoy nickte. „Ich weiß eine Menge. Nicht die Antworten auf eure Fragen – ich habe keine Ahnung, wer mit euch Briefe schreibt, ich bin es nicht. Ich weiß nicht, wo Ron", er betonte den Namen seltsam, als hätte er etwas gegen diesen Spitznamen, „ist – die Todesser haben ihn nicht entführt. Den dunklen Lord habe ich seit der Schlacht nicht mehr gesehen, keiner der Todesser hat es. Ich suche Draco und ich weiß, dass Colin Creevey etwas gesehen hat, was er nicht sehen sollte. Aber ich kenne die Todesser, ich habe Kontakte über diese hinaus und ich besitze eine umfangreiche Privatbibliothek." Er sah ihr direkt ins Gesicht und sie wusste, dass dieser letzte Punkt nur für sie in den Raum geworfen worden war.

Georges Augen funkelten. „Nun die Gretchenfrage." Er stellte sich auf Zehenspitzen und streckte seinen Arm durch den Käfigboden, um Malfoys Hals zu umfassen und seinen Kopf weiter nach unten und näher an sein Gesicht zu ziehen. Zähneknirschend ließ Malfoy zu, dass der Weasley ihn in diese unnatürliche Haltung zwängte. „Bist du bereit, all dies unter Veritaserum zu wiederholen und gegebenenfalls einen unbrechbaren Schwur zu leisten?"

Er nickte. „Wenn die Wunden versorgt werden."

George nickte ebenfalls, lief zu Tür und deutete Bill, ihm zu folgen. Hermine war erstaunt, dass sich die Situation auch ohne ihr Eingreifen deeskaliert hatte und sie sich nicht weiter zum Moralapostel hatte machen müssen. Beeindruckt dachte sie an Georges Gehabe. Erst hatte er sich wochenlang in der Garage verkrümelt und war nur murrend herausgekommen. Der alte George war er immer noch nicht, aber sein Selbstbewusstsein schien nun zurückzukehren. Beinahe hatte sie das Gefühl, als wolle er nun die Entscheidungen treffen. Hermine schnaubte über ihre eigenen Gedanken. Sie waren nicht gerecht.

Verzweifelte Menschen waren unberechenbar.

oOo




Hogsmeade

Der Wind zog ihm durch die Haare. Er umhüllte seine Stirn und Draco genoss dieses Gefühl der Geborgenheit und der Freiheit gleichermaßen. Endlich konnte er zum Himmel schauen. Da waren keine Decken mehr, die seine Sicht einschränkten. Er fröstelte. Überstürzt war er aufgebrochen, er hätte Astoria bitten sollen, mit ihm noch einmal auf sein Zimmer zu gehen, sodass er sich einen wärmeren Umhang hätte schnappen können. Das hätte ihr sicher gefallen.


Er rieb seine Hände aneinander und versuchte einen Eindruck von seinem Umfeld zu bekommen. Die Sonne war bereits fast untergegangen. Nur ein paar allerletzte Sonnenstrahlen wärmten die Erde. Hogsmeade lag in Friedhofsruhe vor ihm. Gut! Eiligen Schrittes ließ er die Häuser an sich vorbeiziehen. Er musste sich beeilen. Daphne brauchte so schnell wie möglich das Wolfswurz. Die Folgen seines Abwartens wären von katastrophalem Ausmaß.

Sein Herz würde aber auch leichter sein, wenn er seine Eltern wiedersehen könnte. Wenn er kurz ins Haus hereinstürmen und sagen könnte, dass es ihm gut ging. Es würde sie freuen und wahrscheinlich machten sie sich auch schon große Sorgen. Seine Ängste um ihr Wohlbefinden würden sich als unbegründet herausstellen, wenn er sie quicklebendig und voll Erleichterung sehen könnte-

Er blieb stehen. Es fühlte sich an, als würde der Boden sich um ihn herum drehen. Von einen auf den anderen Fuß wankte er weiter. Übelkeit stieg in ihm auf. Erschöpft musste er sich auf ins kniehohe Gras setzen, damit er sich von seinem Anfall erholte.

Sollte er es wagen? Es würde nur ein kurzer Abstecher sein.

Doch wie konnte er garantieren, dass es wirklich kurz blieb? Seine Mutter würde ihn, wenn sie ihn erst einmal wieder bei sich hatte, nicht gleich wieder hergeben. Das musste er nicht ausprobieren, um es zu wissen.

Daphne brauchte das Wolfswurz. Astoria hatte immer wieder gesagt, dass es dringend war. Er sah ihr verheultes Gesicht vor seinem inneren Auge. Hätte er während der Schlacht nicht so neben sich gestanden, hätte er in diesem Moment des Kampfes nicht so unentschieden und unüberlegt gehandelt, dann wäre dies alles nicht passiert. Nur weil er lieber seine Eltern gesucht hätte, als Astoria schnurstracks aus dem Schlachtfeld zu leiten und er es ihr nicht ins Gesicht hatte knallen wollen, nur deswegen, hatte Fenrir sie erwischen können. Er hatte nicht aufgepasst. Zu sehr war er mit sich selbst beschäftigt gewesen. Ein Egozentriker.

Nun wollte er es richtig machen. Gestärkt schwang er sich auf die Füße. Wenn Daphne diese Heilmittel hatte, konnte er immer noch seinen Eltern ihren langverdienten Besuch abstatten. Nun wusste er, wie er aus dem Gebäudekomplex kam und Astoria hatte schon gesagt, dass er kein Gefangener sei. Nun hatte er die Möglichkeit, alles zu tun, was er wollte. Sein erstes Ziel war Snapes ehemaliges Labor. Wenn jemand Wolfswurz eingelagert hatte, dann er.

Moral und Wahnsinn - In der Gegenwart meiner FeindeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt