17.Kapitel Innerer Wandel ist möglich, selbst da, wo man ihn nie vermuten würde

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Plötzlich entstand ein Geschrei, und vom großen Tor erklang Trompetengeschmetter. Sie hatten Thorin vergessen! (...), und hinaus rannte der König unter dem Berg, und seine Gefährten folgten ihm(....) Sie trugen glänzende Rüstungen, und zornig glühten ihre Augen. In der Dunkelheit schimmerte die Rüstung des großen Zwergenkönigs wie Gold in sterbendem Feuer"

In diesem Kapitel geht Thorin in seiner Verblendung sogar soweit die Freundschaft zum Hobbit achtlos und voller Wut wegzuschmeißen, als er erfährt, dass Bilbo den Arkenjuwel an die Menschen und Elben weggegeben hat („Kein freundschaftliches Band verbindet mich mehr mit ihm"). Für ihn zählt nur noch der Schatz. Das denkende, anteilnehmende Fühlen ist bei ihm nun völlig ausgeschaltet. Gandalf kann gerade noch eingreifen, bevor Thorin in seiner maßlosen Wut Bilbo über die Mauer in die Tiefe stoßen kann. Der verderbliche Einfluss des Schatzes überdeckt alle guten Ansätze in Thorins Charakter, er wäre jetzt, wie wir sehen, sogar fähig zu töten („Und was Euch angeht: In die Klippen werde ich Euch schmettern! schrie er und hob Bilbo hoch in die Luft"). Immer tiefer verstrickt er sich ins eigene Unrecht. Doch dieser Schritt bleibt ihm dank Gandalfs Eingreifen erspart. Aus Angst und Achtung vor Gandalf schafft es Thorin gerade noch diese destruktiven Anteile in sich soweit zu kontrollieren, dass er es bei einem Fluch belässt. Alles Gute, alles Bewundernswerte in der Psyche des Zwergen ist erloschen, überdeckt von immenser Gier nach dem Schatz. Wurzeln für ein solches Verhalten waren in dem Zwergenkönig ja die ganze Zeit schon zu spüren gewesen, jetzt aber kommt diese Seite, ohne in Höflichkeit gekleidet zu sein, voll zur Geltung. Es geht nur noch um Macht, um Recht haben, um siegen müssen, darum die eigenen starren Bedürfnisse auf eine unflexible, todbringende Art auszuleben. Der letzte und finale Bruch mit allen, die ihm zugewandt waren, findet dort in diesem Moment auf der Befestigungsmauer statt. Selbst hier siegt die Vernunft nicht - immer weiter verstrickt sich Thorin in ungangbare Wege und verbaut dadurch immer mehr den Weg zu den anderen - sogar zu Gandalf seinem Freund und Führer. Nur die anderen Zwerge bleiben ihm. Selbst hier bleibt der Rest der Zwerge starr, bewegungslos, ohne Widerstand gegen das schreckliche Verhalten Thorins. Obwohl die meisten durchaus wissen, wie unmoralisch und unethisch Thorin da handelt („Mehr als einer unter den Zwergen schämte sich tief im Herzen und trauerte über Bilbos Abschied").

Doch wie passen dazu die Handlungen, die Thorin am Schluss der Schlacht zeigt, wo er sich mitten hinein in den tobenden Kampf stürzt und sich damit an die Seite seiner ehemaligen Feinde stellt? Wie passt das zu unserem Bild, dass wir uns im Laufe der letzten Kapitel von Thorin und seinem Charakter gemacht haben? Wie ist es ihm plötzlich möglich aus seinem selbstgewählten Gefängnis heraus zu stürzen und den anderen zur Hilfe zu eilen, die er einige Stunden vorher verflucht hatte - zu seinen eigenen „Feinden" überzulaufen, um gegen die Orks in den Kampf zu ziehen? Sicher auch aus den Gründen, die im letzten Abschnitt beschrieben wurden. Aber welche innere Größe braucht es tatsächlich das eigene „Unrecht" einzusehen, umzudenken, sich neuen Lösungsmöglichkeiten und Handlungsschritten zu öffnen. Aus der Starre wieder in Bewegung zu kommen, die Richtung schlagartig zu ändern und sich wieder in den Lebensstrom mitten hineinzustellen. Und dies sogar unter Bedrohung des eigenen Lebens.

Thorin schließt sich in letzter Minute der richtigen Seite noch an und kratzt somit die Kurve. Er findet damit zu seiner alten Größe zurück, gibt seinem Leben und Handeln wieder Würde, indem auch er in den letzten Stunden seines Lebens erkennt, wo die wahren Werte liegen. Seine Prioritäten, seine Werte und Prinzipien ordnen sich um, wie wenn diese schreckliche Schlacht es ihm wieder ermöglicht hat, klar zu denken, zu spüren, worum es im Leben wirklich geht. Und dass das Verteidigen eines Schatzes keinen Sinn macht, wenn man dann in einer Welt leben muss, in der das Böse, das Destruktive die Oberhand gewinnt.

Thorins Verhalten in dieser konflikthaften Situation zeigt uns, dass eine Umkehr, - ein Umdenken jederzeit möglich ist - jede Sekunde unseres Lebens - bei jedem Menschen, bei uns selbst als auch bei denen von denen wir das am allerwenigsten erwarten würden. In jedem Moment unseres Lebens, selbst wenn wir jahrelang in die „verkehrte" Richtung galoppiert sind, sind grundlegende Veränderungen möglich. Bis zum letzten Atemzug gibt es kein „Zu spät" - innerer Wandel ist immer möglich, - sogar am Sterbebett kann ein Leben geadelt werden - wie wir es im nächsten Kapitel bei Thorin sehen können. Jeder Mensch ist voller Facetten, voller Wahlmöglichkeiten. Manche Handlungsstränge sind dicht ausgeprägt, manche vielleicht kaum sichtbar und trotzdem hat jeder Mensch jede Minute seines Lebens die Wahl zwischen sich weiter ungerecht und zerstörerisch zu verhalten oder zum Gemeinwohl beizutragen, seine eigenen inneren Bedürfnisse unterzuordnen, statt sie egoistisch auszuleben.

Diese Annahme sollte auch unsere Perspektive erweitern, wenn wir andere Menschen „bewerten".Die vermeintlich „Bösen" sind nicht immer böse und in jedem Bereich. Auch sie haben ihre Stärken, ihre verdeckten lebensbejahenden Impulse, auch wenn dies manchmal kaum zu glauben ist, manchmal ist das zutiefst Menschliche so verschüttet worden, so zerstört, dass es bei bestimmten Menschen kaum mehr zu erkennen ist, aber es ist da. Lasst uns den Glauben daran nicht verlieren. Tut man dies doch, dann droht man nun von sich aus, dieser Person, diesem Menschen, die Rückkehr zu verbindendem, ethisch korrekten Handeln zu erschweren, da man den Glauben an diesen Jemand verloren hat - zu sehr hat er einen vielleicht verletzt. Schlimm ist es, wenn das Tor, welches von innen von der Person selbst verbarrikadiert wurde, wie Thorin sich in seiner Burg eingemauert hat, aus Angst, aus Verzweiflung, aus fehlendem Vertrauen plötzlich sich auch nach außen nicht mehr öffnen lässt. So sehr diese Person sich dies auch wünschen würde - die Rückkehr in die Reihen der Gemeinschaft werden oft verwehrt. In Tolkiens Geschichte ist dies nicht der Fall, Thorin rennt hier offene Türen ein, er kann sich auf diese Weise schnell wieder als Individuum mit seinen besonderen Stärken einbringen. Keiner verwehrt ihm aus falschem Stolz heraus für den gemeinsamen Sieg zu kämpfen. Nein - alle lassen ihn kämpfen und aus seinem Kampf ziehen sie unendliche Hoffnung. Wenn Thorin den inneren Kampf gewinnen kann, muss auch der gemeinsame äußere Kampf zu gewinnen sein. Die Wiedergutmachung, die Thorin einbringt, sein eigenes Leben anzubieten, wird von den anderen ohne große Worte, Diskussionen angenommen und bewirkt bei allen einen Prozess des Verzeihens. Ein machtvoller Vorgang, da er es allen ermöglicht den Weg zur Selbstfindung selbst den derzeit „schwarzen" Schafen weiter beschreiten zu lassen und niemand als für immer verloren aufzugeben, sondern an das Überleben des Menschlichen im Menschen zu glauben - immer bis ans Ende aller Tage.



Der "Kleine Hobbit" als praktischer Begleiter durch die Reise des LebensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt