1.Kapitel Sein persönliches Schicksal eigenständig und aktiv gestalten

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„Da drehte Mister Beutlin den Türknopf und trat ein. Die Tukseite hatte gewonnen"

Nach seinem spektakulären Zusammenbruch zweifeln die Zwerge massivst an Bilbos Fähigkeiten („Sobald ich einen Blick auf diesen kleinen Burschen geworfen hatte, der auf der Fußmatte herumhopste, da hatte ich meine Zweifel. Er sieht mehr nach einem Krämer als nach einem Meisterdieb aus"). Diese Aussage schnappte der Hobbit auf und fühlt sich zutiefst verärgert und wütend. Nun will er es ihnen allen zeigen. Seine Tuksche Seite und damit eigentlich sein gesamter Wert als Person wird zu stark, fast karikativ in Frage gestellt. Er tritt wieder unter die Zwerge, wirft alle Rückzugstendenzen über Bord und bietet sich selbst an. („Erzählt mir, was ihr getan haben wollt, und ich werde es versuchen, selbst wenn ich bis zum Ende der Welt marschieren und mit den Lindwürmern in der letzten Wüste kämpfen müsste").

Damit besiegelt Bilbo nun von seiner Seite aus, was das Schicksal ihm bereits angetragen hat - er schlägt ein, willigt ein, und ist nun nicht mehr ein passiv Getriebener, als vielmehr ein aktiv Handelnder. Ist das vielleicht nicht eine Haltung, die auch wir gegenüber den Schicksalsmächten in unserem Leben anstreben sollten? Nicht einfach wegzulaufen vor unserer Bestimmung, um dann vom Schicksal von hinten überrannt zu werden, sondern uns umzudrehen und sich dem Abenteuer zu stellen. Und dann darüber eine neue Echtheit und Selbstsicherheit zu spüren. Sich zu entwickeln von einem gehetzten, in die Ecke gedrängtem Reh hin zu einem sich mitten ins Leben stellendem Individuum mit seiner ganz persönlichen Antwort auf die ihm gestellten Lebensaufgaben. Und zeigt das aktive Eingreifen von Bilbo an dieser Stelle nicht auch deutlich, dass ein Teil von uns die Möglichkeit zur Entwicklung, den „Dazulern- und Erfahrungs-Mach-Effekt" begrüßt? Oder dass es zumindest einen Selbstschutzmechanismus gibt, der einmal erreicht, uns dazu bringt, nicht mehr nur mit dem Rücken zur Wand zitternd unserem Schicksal gegenüber zu stehen, sondern uns umzudrehen und dem, vor dem wir Angst haben, ins Auge zu sehen und die ureigenste Antwort auf die Frage zu geben, die uns das Schicksal stellt.

Wenn man sich entschlossen hat dem Schicksal standzuhalten und daran zu wachsen, dann erfolgt der nächste Schritt: sich klar zu werden, welches Ziel und welchen Weg man überhaupt verfolgen will. Hinzuzufügen ist dabei aber, dass dies einem meist erst im Vollzug seines eigenen Weges klar wird. Mit dem kleinen Hobbit haben wir die Chance jemanden exemplarisch auf seiner Selbstverwirklichungsreise begleiten zu können, um damit die Möglichkeit zu haben unseren eigenen Weg deutlicher spüren zu können.

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, was ist eigentlich das Leitmotiv des Hobbits, sich plötzlich doch auf diese Schicksalsreise einzulassen? Was zu Beginn das Motiv des kleinen Hobbits ist, ist nicht deutlich, weder ihm noch den anderen. Es wirkt nicht so, als ob die Ankündigung seines Anteils am Schatz dafür ausschlaggebend ist, denn diese erfolgt erst viel später, als er der Reise schon zugestimmt hat. Also ist es sicher vorrangig nicht das Streben nach Reichtum, das ihn bewegt, eventuell eher schon sich den anderen, die nicht an ihn glauben, gegenüber beweisen zu wollen. Aber insgesamt scheint es so, als ob in ihm nur ein vages Gefühl vorhanden ist, ein Motiv zu haben und es durchleben zu müssen.

Bei den Zwergen liegt der Fall anders, sie haben klare, offensichtliche Motive für diese Abenteuerreise. Bei ihnen ist es das Motiv Rache und Gier nach dem gestohlenen Schatz ihrer Väter. Besonders Thorin ist getrieben von Rache. Er ordnet sein eigenes Lebensmotiv ganz dem Lebensweg seines eigenen Vaters unter. Er lebt das Leben und die Ziele seines Vaters quasi als Verlängerung des auf derselben Abenteuerreise bereits Verstorbenen. Eigentlich ist es seine Schicksalsreise, der sich der Hobbit anschließt. Bilbo unterstellt somit zu Beginn sein eigenes Lebensmotiv, zumindest phasenweise der Unterstützung des Motivs der Zwerge. Erst viel später im Verlauf der Geschichte tritt er aus dem Schatten der Zwerge heraus und entwickelt seine eigene Lebensmelodie, die einen wesentlich helleren Klang und Widerhall hat, als die untergründigen Motive der Zwerge. I Bilbo übernimmt im Verlaufe des Buches also zunehmend Regie über seinen eigenen Lebensweg. So scheinen die Reisepläne der Zwerge den Stellenwert einer Triebfeder für seine Entwicklung zu haben, denn ohne die ihren Schatz suchenden Zwerge, gebe es keinen sich zu seinen eigenen Motiven hin entwickelnden Hobbit.

Was können wir aus diesem Ablauf für unser eigenes Leben lernen? Zum einen wohl, dass auch für uns erst im Verlauf des Lebens die Melodie deutlich wird, die wir selber beitragen zum Orchester des Lebens. Ist die Entfaltung des eigenen Lebensschicksals nicht vergleichbar mit einem eleganten Tanz mit dem Schicksal vieler anderer Menschen, mit denen unser Leben verknüpft ist? Sich das bewusst machend, spüren wir umso mehr, dass ein in die Hände nehmen unseres eigenen Schicksals eine immens wichtige Sache ist, da wir darüber auch Einfluss nehmen auf das Leben anderer Menschen. Betrachtet man das Umfeld in dem wir unser Leben leben, müssen wir uns hin und wieder deutlich machen, dass andere Menschen auf unseren Weg Randfiguren sind, mit ihrer jeweiligen eigenen Bestimmung, ihrer ganz eigenen Reiseroute. Auch diese sollten wir von uns aus akzeptieren und bestehen lassen. Es gibt nicht den richtigen Weg für alle. Es gibt nur den „richtigen" Weg für einen selbst und den muss man erst erfühlend für sich erkennen. Und dies ist ein nie abgeschlossener Prozess.

Und häufig sind wir für andere Menschen auf ihrer Reise ebenfalls nur Randfiguren. Wir begleiten andere, helfen ihnen und manchmal stellen wir unser Lebensziel unter das Lebensziel eines anderen Menschen. Dieses Vorgehen ist durchaus in Ordnung, wenn wir uns dessen bewusst sind und dies genau so für diesen Zeitpunkt als richtig betrachten. Dadurch können auch wir manchmal zur Unterstützung für etwas Höheres werden, genau wie der Hobbit am Ende des Buches. Sollten und wollten wir das aber tun, dann ist es wichtig, darauf zu achten, ob der eingeschlagene Weg noch in Übereinstimmung steht mit den eigenen Lebensplänen, ob also zumindest die grobe Reiseroute die gleiche ist. Selbst wenn das eigene Leben phasenweise der Unterstützung anderer dient, enthebt uns dies nicht der Eigenverantwortung für die Entwicklungen in unserem Leben. Schieben wir diese von uns, dann liegt die Gefahr, wenn wir merken, dass wir unseren eigenen Weg verloren haben, darin, sich selbst als reines Opfer zu sehen und den anderen als Schuldigen, der uns in diese oder jene Richtung beeinflusst hat. Wir dürfen nie vergessen: für unsere Handlungen müssen wir als Person immer die vollste Verantwortung übernehmen, denn unser Leben leben nur wir. Wenn man sich seinem Schicksal entgegenstellt, verläßt man die Opferrolle und beginnt eigenverantwortlich zu handeln. Auch wenn das bedeutet, aus dem schützenden Windschatten der anderen auftauchen zu müssen und für sein eigenes Leben gerade zu stehen.

Wir müssen also gut darauf achten, langfristig nicht unser ureigenstes Lebensmotiv von anderen fremden Motiven überdecken zu lassen. Seien es die Ziele der eigenen Eltern, naher Freunde, gesellschaftliche Einflüsse oder die Medien, die übermäßig auf uns und unsere Entwicklung Einfluss nehmen. Manchmal kann das Ziel deckungsgleich sein, aber oftmals erscheint es nur so und beinhaltet die Gefahr, uns von uns selbst zu entfremden. Sei es, dass andere unseren Berufswunsch für uns festlegen, die Wahl unserer Freunde, unsere Aktivitäten bestimmen oder einfach nur auf eine übermäßige Art Einfluss auf unser Leben und Denken nehmen. Bilbo schafft es im Verlauf des Buches meisterlich, obwohl er über lange Phasen hinweg die Zwerge unterstützt, mehr und mehr zu seinem eigenen Lebensziel vorzurücken.

Sein eigenes Schicksal selbst aktiv gestalten mit voller Verantwortungsübernahme und mit einem damit verbundenen entscheidenden Zuwachs an Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen, - genau das sollte unser alleroberstes Leitmotiv sein. Und ich bin sicher, ich brauche nicht erneut zu betonen, dass dies zu erreichen, ein lebenslanger Prozess ist, oder?

Der "Kleine Hobbit" als praktischer Begleiter durch die Reise des LebensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt