6.Kapitel Die läuternde Wirkung schicksalhafter Kräfte

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Gandalfwar fertig zum Sprung hinab von der Höhe, mitten in die Speere der Orks hinein. Das wäre sein Ende gewesen"

Bezeichnender Weise trägt das Kapitel die Überschrift "Raus aus der Bratpfanne rein ins Feuer". Dem geneigten Leser stellt sich nun natürlich auf den ersten Blick die Frage: Was will uns dieses Sprichwort sagen? Zum einem: Was sagt das Sprichwort aus? Aber zum anderen auch: Was will Tolkien uns sagen, wenn er das Sprichwort an dieser Stelle benutzt? Beides sind schwierige Fragen. Nehmen wir es mal wörtlich, wie es genau dort steht: Aus der Bratpfanne heraus, hinein in das Feuer. Irgendetwas wird also aus der Bratpfanne wieder herausgenommen und wird dann ins Feuer geschmissen. Die Hitze in der Bratpfanne ist, so weiß jeder von uns, weniger stark als die direkt im Feuer. Heißt das also, dass etwas, was an sich schon sehr unangenehm ist, sich noch einmal verschlechtert? Also eine bereits schon unerträgliche Lage verschlimmert sich noch einmal? Wie hier bei unserer geschätzten Reisegruppe. So können wir beobachten, wie unsere Abenteurer den Kreislauf durchlaufen, den Trollen zu entkommen, um dann von den Orks erwischt zu werden. Den Orks zu entkommen, um dann fast von den Wölfen gefressen zu werden. Den Wölfen auf die Bäume entwischt zu sein, um dann in den Bäumen beinah zu verbrennen. Tolkien verwendet hier zur Beschreibung des gleichen Phänomens auch das Zitat „Den Orks entwischt, um von den Wölfen geschnappt zu werden".

Aber in dem Sprichwort kommt noch ein weiterer Aspekt zum Tragen, und zwar der der Hoffnung. Während der Phase der Entnahme aus der Bratpfanne kann Hoffnung auf Rettung entstehen. Dann aber landet man im noch heißeren Feuer, um dann dennoch wieder einen Ausweg aus dieser verfahrenen Situation zu finden - durch eine gänzlich ungeahnte und unvorhersehbare Wendung der Geschehnisse, die wiederum Hoffnung mit sich bringt. Ist es nicht auch so im richtigen Leben, kaum hat man gerade einen Berg hinter sich gebracht, glaubt, dass man fast nicht mehr kriechen kann, und schon kommt die nächste Herausforderung. Kaum hat man sich zitternd erhoben, haut einen der nächste Schicksalsschlag um. Doch Rettung naht, wie auch immer diese aussehen mag, auch wenn man in keinster Weise mehr an sie glauben kann, zu unwahrscheinlich mag sie erscheinen. Das klingt fast wie die Beschreibung eines ewigen Kreislaufes. Der Kreislauf von einem Schicksalsschlag zum nächsten.Doch sollten wir nicht übersehen, dass immer in den Phasen dazwischen Rettung und Hoffnung nahen kann. Wie auch immer diese aussehen mögen - und von welcher auch ach so unwahrscheinlichen, unerwarteten Richtung aus. Oder hätten Sie gedacht, dass aus dieser brennenden Sackgasse noch ein Weg herausführt? Und dann aus der unwahrscheinlichsten, kaum vorstellbaren Richtung, der des Himmels, von wo aus die rettenden Adler nahen („denn in diesem Augenblick glitt der Fürst der Adler herab, griff ihn (Gandalf) mit seinen Klauen, und weg war er").

Man kann nicht verleugnen und kommt nicht umhin zu sehen, dass menschliches Leben tatsächlich in diesem Rhythmus verläuft. Ein Leben ohne Hindernisse und Schicksalsschläge, das haben wir ja schon in früheren Kapiteln gesagt, wird es fast nicht geben. Und wenn es ein solches Leben wirklich gäbe, wäre es dann so wünschenswert?

Einen weiteren Aspekt, den dieses Sprichwort beinhaltet, sollte man deshalb unter keinen Umständen übersehen.Und zwar die läuternde Wirkung des Feuers. Nimmt man das Sprichwort gänzlich „sprich-wörtlich" dann wird man in einer Bratpfanne höchstens recht ölig und gar. Aber in der größeren Hitze des Feuers kann man gestählt und geläutert werden und auch, je nachdem aus welchen Bestandteilen man besteht, zu einem höherwertigen Material verarbeitet werden. Das Schicksal kann sich also immer mehr aufbauschen, aber es läutert uns auch.

Das Kapitel zeigt ganz deutlich, dass das Überwinden der Gefahrenquellen und Schicksalsschläge in den beteiligten Akteuren ganz starke Gefühle hervorbringt. Gefühle von Verpflichtung: „Aber während der ganzen Zeit wurde ein sehr unangenehmer Gedanke immer stärker in ihm. Er überlegte, ob er nicht als Besitzer des Zauberringes in die furchtbaren Stollen und Gänge zurückkehren müsse, um seine Freunde zu suchen. Gerade hatte er sich zu der Ansicht durchgekämpft, dass dies seine unumgängliche Pflicht sei - er fühlte sich ganz elend bei diesem Gedanken - da hörte er Stimmen".  Von Verantwortung: „Die Zwerge brummten, und Gandalf sagte, dass sie keinesfalls ihre Reise fortsetzen und Mister Beutlin in den Händen der Kobolde lassen könnten. Sie müssten herausfinden, ob er noch lebte oder tot war, und sie müssten unbedingt versuchen, ihn zu retten. „Schließlich ist er mein Freund", sagte der Zauberer „und gewiss kein schlechter Kerl. Ich fühle mich verantwortlich für ihn.".  Von Mut, sich selbst in Gefahr zu bringen: „Dori klettert also ganz vom Baum herunter und ließ Bilbo sich auf seine Schultern stellen". Bis hin zu einem Punkt der Bereitschaft, sich selbst für die Freunde aufzuopfern. So will sich Gandalf in dieser doch sehr aussichtslosen Situation vom Baum stürzen: „Gandalf war fertig zum Sprung hinab von der Höhe, mitten in die Speere der Orks hinein. Das wäre sein Ende gewesen", was aber von den Adlern zum Glück verhindert werden kann. Solche Situationen, die sich krisenhaft zuspitzen, können sehr oft auch das Beste im Menschen zu Tage bringen. In diesem Sinne sollte man nicht so sehr von dem Mißbill reden, der in manchen Situationen steckt, sondern von der Entwicklung hin zu höheren menschlichen Gefilden, zu Gebieten, die uns in unserem Menschsein erst ausmachen. Das Herausbilden von Werten, wie Kameradschaft, Freundschaft, Hilfsbereitschaft sind ja erst in der Evolution durch die schicksalhaften Kräfte dieses Universums geformt worden.

Der "Kleine Hobbit" als praktischer Begleiter durch die Reise des LebensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt