5.Kapitel Der Weg der Selbstverwirklichung ist für alle da

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Er hätte gerne herausgefunden, was da vor ihm saß, denn er war im  Augenblick nicht richtig hungrig, nur neugierig. Andernfalls hätte er gleich zu gegriffen und dann erst gewispert"

Als Gollum auf den Hobbit trifft, ist er gerade satt und zufrieden. Aus dieser Situation heraus ist es ihm möglich einen minimalen Ansatz in Richtung Selbstverwirklichung zu durchleben, denn auch das Neugiermotiv ist ein Teil des Strebens nachSelbstentfaltung und nach Entwicklung. Selbst in diesem Untergrundwesen ist also der Kern, die Möglichkeit zurSelbstfindung und der Selbstwerdung über den Mechanismus der Neugier auffindbar. Dieser innere, stark verborgene unter Hass und Gier nach seinem Schatz verschüttete Kern wird Gollum dazu bringen auf der Suche nach dem geliebten Ring seine eigene individuelle Lebensreise anzutreten. Eine Reise, die im Buch „Herr der Ringe" in seiner „Aufopferung" endet. Selbst dieses Wesen geht seinen ihm bestimmten und ihm zugedachten Weg. Gollum verwirklicht seine Lebensaufgabe am Ende der Trilogie „Herr der Ringe" genauso wie Bilbo es hier für sich im „kleinen Hobbit" schafft.

Dies führt mich zu der Behauptung, dass der Sinn dieses Lebens und die Tendenzen des sich selbst Verwirklichens sogar bis hinein in die Schattenwelten der menschlichen Existenz wirkt. Wir dürfen nicht so überheblich sein und uns anmaßen, zu wissen, welches Leben, welche Existenzform lebenswert und wertvoll ist. Diese Einschätzung steht uns nicht zu. Allein das Schicksal weiß, zu welcher Rolle und Lebensführung jeder Mensch, jedes Lebewesen berufen ist im sich ständig drehenden Rad des Lebens. Jeder muss seine Rolle spielen und diese so gut es geht ausfüllen, immer ausgehend von den eigenen individuellen Startbedingungen. Die beim einen gut, beim anderen oftmals mehr als dürftig ausfallen. Eine einheitliche Meßlatte für alle Menschen kann es nicht geben. Ein und denselben Bewertungsmaßstab an unterschiedliche Menschen anzulegen, kann einen ungerechtfertigten Vergleich darstellen, der mehr unter Druck setzt, als das der Vergleich konstruktiv ist und wirklich weiterhilft. Jeder hat seinen ureigenen Weg zu gehen. Mag dieser von außen noch so verdammenswert erscheinen.

Die Botschaft die Tolkien hier in diesem fünften Kapitel anfängt vorzuzeichnen, ist deutlich, - über mehrere Bücher und über unzählige Abenteuer hinweg zieht sich das oft unwürdig erscheinende Leben und Verhalten Gollums hinweg, um dann am Ende der Trilogie „Herr der Ringe" in etwas Sinnbringendes gewandelt zu werden, etwas was in der weltumspannenden Entwicklung Mittelerdes eine, wie ein Schlüssel zum Schloss passende Wirkung entwickelt. Denn nicht nur Bilbo hat seine Rolle auszuleben, sich selbst zu seinen Wirkungen in dieser Welt hin zu transzendieren, nein, auch Gollum, von dem man es am wenigsten erwarten würde - ist er doch eine gar zu erbärmliche und verschlagene Figur, transformiert mit einem Schlag, - mit seinem Fall in die Tiefen der Feuer der Schicksalsberge und der damit verbundenen endgültigen Zerstörung des Ringes, am Ende sein Schattenleben in das goldene Licht einer „Sinngestalt".

Die Annahme, die den Sinngehalt in dieser unserer Welt postuliert, kann und darf nicht bestimmte Phänomene aus dieser Sinnhaftigkeit ausgrenzen. Der Glaube an die Sinnhaftigkeit der menschlichen Entwicklung umschließt Phänomene des Glücks, der Liebe, des Heldentums, des inneren Wachstums muss aber ebenfalls Phänomene von Schmerz, von Krankheit und von Leid umfassen und eben auch Phänomene von Gewalt, vom Streben nach Macht, von Gier und Hass. Ein Postulat, welches nur für die gilt, die im hellen Sonnenlicht dieser Welt stehen, kann in sich nicht stimmig sein. Auch die Schattenwelten müssen darin einbezogen sein. Die Annahme der Sinnhaftigkeit der Prozesse in dieser unserer Welt kann nicht das Leben von zahlreichen Individuen ausgrenzen, die einer gewissen Messskala nicht gerecht werden können, da ihre Ausgangsbedingungen völlig rudimentär sind. Sie können einer von außen kommenden, künstlichen Bewertung, geschaffen von der Selbstgerechtigkeit des Urteilenden, nicht gerecht werden. Nur eine Gesamtschau und eine globale Herangehensweise an diese Phänomene wird dem umfassenden Glauben an eine Sinnhaftigkeit gerecht.

Der Sinn dieser Welt endet nicht an den Übergängen ins Schattenreich. Selbst das Böse, Antagonistische muss und hat, ob wir es nun wollen oder nicht, seinen Stellenwert in der Gesamtheit dieses Universums. Jeder hat seine Rolle zu spielen, genau an dem Platz an den er gestellt wird, in der Ausgangslage in die er hineingeboren wird. Zu sagen, Bilbo ist wertvoller als Gollum, oder wichtiger für diese Welt würde dem Glauben an universelle Lebensgesetze widersprechen. Gollum ist genauso wichtig für diese Welt wie Bilbo, nur ist sein individueller Weg ein ganz anderer. Gibt es einen Sinngehalt in dieser Welt, dann muss er alle Phänomene enthalten und nicht nur die hellen Seiten und „guten" Menschen dieses Lebens. Auch wenn es schwer fällt, das zu akzeptieren und zu verstehen. Die formenden Kräfte der Schattenwelten geben den hellen Seiten erst ihre Konturen. Frei nach dem Motto: „Ohne Licht kein Schatten".  In der menschlichen Psyche gilt aber auch das Umgekehrte: „Ohne Schatten kein Licht".

Dies ist kein Plädoyer dafür, alles in dieser Welt einfach geschehen zu lassen und als gottgewollt hinzunehmen. Sondern ein Plädoyer dafür, dass Licht und Schatten einfach zum Leben dazu gehören und sich wechselseitig bedingen. Dies enthebt uns Menschen aber nicht von dem Anspruch - von welcher Ausgangslage wir auch immer losstarten mögen - uns und den uns innewohnenden Möglichkeiten der Veränderung immer mehr Raum in unserem Leben geben zu wollen. Etwas zu verstehen und es zu sehen als das, was es ist, sollte uns nicht daran hindern mit all unseren Kräften uns auf die hellen Seiten dieser Welt zu schlagen und zu versuchen die Schattenwelten immer weiter mit Licht zu füllen, mit dem Licht verstehender Liebe und nicht dem Zurückgreifen auf schattenhafte Mittel. Wir sollten unseren Verstand nützen, um nicht im Zeichen der Strafe und aus dem Gefühl des Getriebenseins heraus, den Schattenwesen und ihren Handlungen ähnlich zu werden. Bilbo schafft dies in diesem Kapitel in bewundernswerter Weise. Sich dem heimtückischen Wesen Gollum gegenüber zu sehen und in seinen Handlungen trotz großer Gefahr für sein Leben die Ethik der Menschlichkeit anzuwenden und im Höchstmaße auszuleben, ist das Zeichen für einen großen innerlichen Sieg über sich selbst, der  ihm damit gelungen ist. Der Hobbit verurteilt nicht, er beurteilt nicht, er nimmt nur wahr und er schont. Mehr brauchen auch wir nicht tun.



Der "Kleine Hobbit" als praktischer Begleiter durch die Reise des LebensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt