2.Kapitel Das Walten von Schicksalskräften

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Das lässt euch gerade noch zehn Minuten. Ihr müsst laufen, bemerkt Gandalf.  Aber -, sagte Bilbo. Keine Zeit dafür, sagte der Zauberer.  Aber ich -, fing Bilbo noch einmal an. Auch dafür keine Zeit! Ihr müsst losgehen."

Die Tendenz des Hobbits, sich vor dem sich anbahnenden Schicksal verstecken und weglaufen zu wollen, die schon im ersten Kapitel sichtbar geworden ist, taucht hier am Anfang des zweiten Kapitels in neuer Variation noch einmal auf. Der Hobbit wacht am Morgen erst auf, als die gesammelte Zwergenmannschaft bereits ohne ihn abgereist ist. Bilbo ist darüber sehr erleichtert, aber überraschenderweise sogar ein wenig enttäuscht. Er beginnt jedoch damit, seinen Alltag fortzusetzen, als ob nichts geschehen sei. Dies kann als ein erneuter Versuch, dem Schicksal zu entkommen, betrachtet werden. Diesmal glaubt er nun wirklich den sich anbahnenden Entwicklungen endgültig entkommen zu sein, deshalb trifft ihn das erneute Eintreffen Gandalfs völlig unvorbereitet. Gandalf als Verkörperung des individuellen Schicksals bleibt hartnäckig. Und damit scheitert auch des Hobbits letzter Versuch seinem ihm zugedachten Schicksal zu entrinnen. Der Hobbit hat ausgelöst durch seine Verdrängungstechnik, seine Chance zur Vorbereitung verpasst, da er die Zeichen der Zeit nicht erkannt hat und sich zu lange versuchte zu drücken. Ohne Taschentuch und ohne gewaschenes Geschirr wird er von Gandalf äußerst abrupt auf seine Reise geschickt. („Sein zweites Frühstück ließ er halb beendet und das Geschirr ungespült"). Wäre Bilbo anders vorgegangen, hätte er wohl in einem harmonischeren und weniger stressgeladenen Rhythmus auf die Wirkweise des Schicksals reagieren können.

Ist es nicht oft in unserem Leben genauso: Das Leben stellt Herausforderungen an uns und wir sagen unser zögerndes  Aber, Halt, Stopp, nur das Schicksal hört nicht auf uns, nimmt auch nicht Rücksicht auf unseren Rhythmus oder ob es gerade für uns passend ist, sondern entscheidet den Zeitpunkt und die Art der Herausforderung und da nützen alle Aber und Wenn nichts. Spielen wir zu lange, so wie der Hobbit, Vogelstraußpolitik, dann gibt uns das Schicksal ab einem gewissen Zeitpunkt keine Zeit mehr zum Planen und Nachdenken. Da müssen wir alles stehen und liegen lassen, das halb gewaschene Geschirr und ohne Taschentuch einfach dem Schicksal hinterher rennen.

Oftmals jedoch, so behaupte ich, scheint es uns nur so, als ob wir unvorbereitet ins Abenteuer hineingeschmissen werden. Ist es nicht vielmehr so, dass die Zeichen der Zeit schon lange auf einen Wechsel hingedeutet haben und wir uns ihm einfach widersetzt und bewusst oder unbewusst die Augen davor verschlossen haben? Wie oft schon haben wir den sich ankündigenden Wechsel und die damit einhergehende Veränderung nicht ernst genommen und gemeint wir könnten auch später noch darauf reagieren, bis wir letztendlich von der Entwicklung überrannt wurden, ohne uns ausreichend vorbereitet zu haben. Aber ist das dann die Schuld des Schicksals und des Lebens an sich oder sind wir nur einfach schlechte Zuhörer und Beobachter unseres eigenen Lebens und seiner Entwicklungen?

Aber manchmal, so behaupte ich als nächstes, ist es auch ganz günstig, wenn man einfach ins Abenteuer und in die dazugehörigen Situationen hineingeschubst wird, denn dann kann man gar nicht mehr lange überlegen, sonst würde man sicher sehr lange nach Pros und vor allem sehr lange nach Contras suchen. Oftmals ist es ja so, dass die Angst direkt vor dem Start in ein Abenteuer größer ist als die Angst währenddessen, dass die Phantasie- und Katastrophen-gedanken darüber was alles passieren könnte, häufig schrecklicher sind als die Realität selbst. Mit der kann man im Ernstfall schon irgendwie umgehen. Da braucht es dann manchmal einfach einen gezielten Schubs durch das Schicksal, sonst würden wir uns nie in Bewegung versetzen, erstarrt durch die Konfrontation mit der, jeder Entwicklung innenwohnenden Möglichkeit zum Scheitern.

Werden wir geschubst, dann relativiert das häufig auf einer anderen Ebene auch unsere Prioritäten. Was vorher wichtig erschien, erscheint vielleicht im Verlauf der Entwicklung nicht mehr als wichtig. Hätte Bilbo planen können, so wären ein Taschentuch und andere für das Abenteuer vielleicht unnütze Dinge mit eingepackt worden. Ich kann ihn schon vor mir sehen, den Hobbit, der nach einer langen Vorbereitungszeit losstartet mit einer Unmenge hinderlichen Gepäcks unnutzer Dinge, die er selber aber zu diesem Zeitpunkt für das Abenteuer für unerlässlich hält. („Bis zum Ende seiner Tage konnte Bilbo sich nicht erinnern, wie er hinausgekommen war, ohne Hut, ohne Spazierstock und ohne Geld, ohne irgendetwas, das er gewöhnlich mit sich nahm, wenn er ausging."). Am Anfang sind für ihn noch Dinge wichtig, die im späteren Verlauf für ihn völlig unwichtig werden. Das Geschirr am richtigen Platz, das Taschentuch fein säuberlich im Jackett. Nach seiner Reise wird der Hobbit gewiss andere Prioritäten setzen, dessen bin ich mir ganz sicher. Was ist schon ein fehlendes Taschentuch, ein zerbrochener Teller im Angesicht eines zugreifenden Schicksals?

Der "Kleine Hobbit" als praktischer Begleiter durch die Reise des LebensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt