6.Kapitel Die formende Kraft von Freundschaft

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Schließlich ist er mein Freund, sagte der Zauberer, und gewiß kein schlechter Kerl. Ich fühle mich verantwortlich für ihn. Ach, wenn ihr ihn nur nicht verloren hättet!"

Auf seinem Weg durch zahllose Abenteuer können wir beobachten, wie Bilbo zunehmend an innerer und äußerer Stärke gewinnt. Sein Charakter ist geläutert worden und im Zuge des Abenteuerverlaufes werden bereits in ihm angelegte Charaktereigenschaften erprobt, erweitert und gefestigt. Vor allem das Motiv der Freundschaft, der gegenseitigen Bezogenheit zu anderen Lebewesen, der Bereitschaft für andere alles zu geben, wird von Tolkien im Verlauf des Buches immer deutlicher heraus gearbeitet. So fragt sich unser mutiger Hobbit, kaum den Orks entkommen, zaghaft, ob er sich zur Rettung seiner Kameraden in das dunkle, gefährliche Höhlensystem zurückbegeben soll („Aber während der ganzen Zeit wurde ein sehr unangenehmer Gedanke immer stärker in ihm. Er überlegte, ob er nicht als Besitzer des Zauberringes in die furchtbaren Stollen und Gänge zurückkehren müsse, um seine Freunde zu suchen. Gerade hat er sich zu der Ansicht durchgekämpft, dass dies seine unumgängliche Pflicht sei - er fühlte sich ganz elend bei diesem Gedanken - , da hörte er Stimmen").

Heutzutage von Pflicht, von Verantwortung anderen Menschen gegenüber zu reden, ist nicht sehr populär. Erst einmal soll/muss man ja an sich denken, (wenn alle solche Freunde wären, wie die Zwerge, die sich jemandem, der belastend für sie ist, schlicht und ergreifend entledigen wollen) wer würde da an einen denken. Die Belastung zu groß, der Wert des Gegenübers für die eigene Sache zu klein also, - weg mit ihm. Für jemand anderen sich anstrengen - ein Minusgeschäft - viel zu gefährlich, da kann nichts Gutes für einen selbst dabei herauskommen.

Gottlob aber gibt es noch „wahre" Freunde, wie Gandalf hier einen darstellt, der sogar bereit ist, sein Leben für seine Freunde zu geben. Eine direkte Konsequenz aus seinem unabdingbaren „Ja" zu allen, die seine Freunde sind („Da kletterte Gandalf in die Spitze seiner Kiefer. Im Wipfel angekommen, ließ er plötzlich seinen Zauberstab furchtbare Blitze speien; Gandalf war fertig zum Sprung hinab von der Höhe, mitten in die Speere der Orks hinein. Das wäre sein Ende gewesen").

Kontrastreicher kann man das Motiv Freundschaft nicht darstellen. Zuerst wollen die Zwerge den Hobbit nicht retten, was verdeutlicht, dass alle bis dahin nur eine reine Zweckgemeinschaft sind und eben noch keine „wahren" Freunde. Erst über Bilbos geschilderte Taten bekommen seine Gefährten Respekt vor ihm. Zusätzlich ist Gandalf der Freund des Hobbits und damit den Zwergen nach einer „Moralpredigt" auch Vorbild, diesem in einer schwierigen Situation helfen zu müssen. Die Zwerge haben sich im Verlauf des Kapitels auch Gandalfs Strafpredigt zu Herzen genommen. Als Bilbo auf der Flucht vor den Wölfen es nicht von allein schafft auf einen der rettenden Bäume zu klettern, rettet der Zwerg Dori ihn unter Gefährdung seines eigenen Lebens. Er hat die Botschaft Gandalfs verstanden, die „Moral" ist bei ihm angekommen. Daneben motiviert ihn sicher auch der Wunsch seiner „Autoritätsperson" Gandalf einen Gefallen zu tun. So sind dieZwerge sicherlich zu diesem Zeitpunkt rein außengesteuert, was heißen soll, dass sie den Wert „Freundschaft" nicht verinnerlicht haben, sondern nur so handeln, weil sie dazu angeleitet worden sind, weil Gandalf es ihnen eben vorlebt und weil die kleine„mutige" hüpfende Ratte später vielleicht doch noch von Nutzen sein könnte. Ein Armutszeugnis an sich, aber was will man von „Zwergen" anderes erwarten. Und immerhin sind sie schon eine Stufe weiter von: Null Motivation jemand anderen zu helfen, zu dem Stadium von jemand anderen, von außen angeleitet Hilfe zu leisten. Ob sie wohl jemals das Stadium erreichen aus freier Wahl, aus einer inneren eigengesteuerten Entscheidung heraus, Risiken für andere einzugehen? Das werden wohl erst die nächsten Kapitel weisen. Soweit sind sie jedenfalls jetzt auf ihrer Selbstverwirklichungsreise noch nicht einmal minimalst angekommen.

Zwischen den Kontrasten, Verweigerung von Hilfe aus egoistischen, aus Sicherheitsdenken heraus, aus vermeintlicher Ahnungslosigkeit , - und dem Punkt sein eigenes Leben für andere aufopfern zu wollen, gibt es noch zahlreiche Zwischenstadien, von dem was Freundschaft, was die „Moral zur Hilfe" ausmacht. Eine Zwischennuance stellen hier die Adler und ihre „edlen" Verhaltensweisen dar. Diese edlen Raubvögel geben Unterstützung, ohne überhaupt eine Verbindung zu den gefährdeten Reisenden zu haben. Allein ihre Position im Kampf gegen die bösen Kräfte ihrer Welt, machen deren Feinde automatisch zu ihren Freunden, denen es zu helfen und die es zu retten gilt. Dies stellt einen hohen Grundwert dar: Hilfe zu geben, auch wenn man die andere Person überhaupt nicht kennt, wenn man in keinster Weise befreundet oder verpflichtet ist zu helfen, einzig weil man um den „Wert" des Fremden weiß, der wie man selbst versucht, den bösen Kräften dieser Welt Einhalt zu bieten, jeder auf seine ureigenste Weise. Das entspricht in meinen Augen dem wahren Heldentum, die völlige Wahlfreiheit zu haben und offenen Auges in gefährliche Situation hineinzugehen, nur um des anderen willens. Gefährliche Situation kann auch einfach nur bedeuten, für „wahre" Freunde eine „großzügige" Spende aus dem eigenen Geldbeutel zu ziehen, einen Betrag, der gegebenenfalls deine abgepolstert „Sicherheit" gefährdet und nicht nur „Peanuts" darstellt.

Aber oft wird Hilfe auch nur in begrenztem Maß gegeben und zugestanden und auch das ist in Ordnung und zu akzeptieren. So sichern die Adler hier der Gruppe ihre Unterstützung zu, aber sie begrenzen diese freiwillige Hilfe auf bestimmte Bereiche. Sie schränken ihre Hilfsbereitschaft ein, machen deutlich, dass sie die Abenteurer nur in Gebiete fliegen werden, die ihnen selbst sicher erscheinen. Sie opfern sich mit ihrer Hilfsbereitschaft nicht auf, sie geben Hilfe, wo Hilfe Not tut, grenzen sich dann aber frühzeitig selbstbewusst ab und geben die Verantwortung für den weiteren Lebensweg des anderen schnellstmöglich wieder in dessen Einflussbereich („Der Fürst der Adler wollte sie keinesfalls dorthin bringen, wo Menschen leben (.....) Nein! Wir sind froh, dass wir den Orks ihr Spiel verdorben haben und Euch unseren Dank abstatten konnten. Aber wir wollen unsere Haut nicht für Zwerge zu Markte tragen").

So ein Verhalten ist mehr als berechtigt, es muss nicht immer die heroische Selbstaufopferung sein, die einem vom eigenen Weg völlig abbringen kann, - sondern es ist durchaus wichtig sich klar zu werden, wer für was denn wirklich verantwortlich ist, und wer wann und wo wirklich Einflussmöglichkeiten hat. Manche Menschen schießen nämlich bei allem guten Willen weit übers Ziel hinaus. Anderen Hilfe zu leisten ist für sie zu so einem hohen Wert geworden, dass sie ihr Leben, ihre eigene Selbstverwirklichungsreise vernachlässigen, oder gar gänzlich gefährden. Aber uns muss klar sein, oftmals braucht es gar nicht die große Selbstaufopferung, selbst kleine Hilfsschritte können den Anderen weiterbringen und für seine Weiterreise flott machen. Man muss ihn nicht durchs Ziel tragen, um jemandem geholfen zu haben. Es hat also durchaus seinen Stellenwert, den anderen (und sich selbst) in seiner Hilfsbereitschaft Grenzen zu setzen. Die Reisegruppe weiter zu transportieren liegt ja schließlich auch nicht im Verantwortungs- oder gar Interessensbereich der Adler - ihr Handeln ist reinstes Entgegenkommen.

Nur leider wird so eine „begrenzte" Hilfe nicht so leicht akzeptiert, wie Gandalf es uns hier vorlebt („Sehr richtig, bemerkte Gandalf. Bringt uns, wohin und so weit ihr wollt! Wir sind Euch schon genug zu Dank verpflichtet"). Es ist eine Kunst, Hilfe anzunehmen und dann, sobald es soweit ist, die Hilfsmöglichkeit wieder loszulassen und wieder auf die eigenen Stärken zu vertrauen. Leider existieren aber immer wieder Individuen, die das Spiel „Kleiner Finger und weg ist die ganze Hand" auf die Spitze treiben. Hier haben wir das Recht und vielleicht auch ein klein wenig die Pflicht, diese Menschen wieder etwas in die Wirklichkeit zurückzubringen und sie ganz bewusst wieder ihrer eigenen „Lebensgeschichte" auszusetzen, damit sie aus der „Opferrolle" herausfinden und wieder aktiv Handelnde werden. Und dies, ohne dass wir auch nur die kleinsten Schuldgefühle haben müssten. Wir haben (mehr) als unsere Schuldigkeit getan und dürfen wie die Adler unbeschwert in unser eigenes Leben zurück fliegen.

Der "Kleine Hobbit" als praktischer Begleiter durch die Reise des LebensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt