15.Kapitel Die Sackgassen der menschlichen Individuation kennen lernen

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Nun, dies waren ehrliche und gerechte Worte, so stolz und grimmig sie auch gesprochen wurden. Bilbo dachte, dass Thorin dies auch so gleich zugeben würde. (.....). Aber Bilbo hatte auch nicht damit gerechnet, was Gold, auf dem ein Drache lange gebrütet hat, für eine unwiderstehliche Macht ausübt"

Als die Reisegruppe von Roäck, dem alten Raben, die Botschaft über den Tod des Drachens erhält, währt ihre Freude daran nicht lange („Tot! Tot! schrien die Zwerge. Tot! Dann haben wir unnütz Angst vor ihm gehabt - dann ist der Schatz unser!). Die Freude und empfundene Erleichterung weicht sehr schnell, als die Zwerge erfahren, dass sich die verschiedensten Gruppierungen (Elben, Menschen) auf den Weg gemacht haben, um einen Anteil am Schatz zu erringen. Statt Dankbarkeit für die Menschen der Seestadt zu empfinden, die den Drachen bekämpft und getötet haben und damit den Weg zum Schatz entgültig frei gemacht haben, - statt diese Menschen und besonders Bard, den Drachentöter, mit offenen Armen willkommen zu heißen, verbarrikadiert sich Thorin mit seinen Zwergen hinter hohen Mauern der Unnahbarkeit in einer selbstgebastelten Festung. Die Gier nach dem Schatz überdeckt bei ihnen alle elementaren menschlichen Regungen von Dankbarkeit, von Wertschätzung, von Freude, von Hoffnung und Zukunftsperspektive. Das einzige, was für Thorin zählt, ist der uneingeschränkte Besitz der glitzernden Kostbarkeiten - möchte es kosten was es wolle („Viele Stunden hatte Thorin bei diesem Schatz verbracht. Tief hatte sich die Begierde in ihm festgefressen. Obgleich er hauptsächlich nach dem Arkenjuwel gefahndet hatte, war er doch von mancher anderen Herrlichkeit, die dort umherlag, gewaltig angezogen worden. Es waren Kleinodien, mit denen sich viele alte Erinnerungen an Sorge und Arbeit verbanden"). Doch in letzter Konsequenz muss es Thorin klar sein, dass nichts an einem Kampf vorbeiführt, wenn er sich weiter in die eingeschlagene Richtung bewegt und nicht einlenkt.

Drachen gleiche Gier füllt Thorins Herz, als ob zwischen ihm und dem Drachen nur wenig Unterschied besteht. Thorin zeigt, was Gier aus einem macht, er wird blind für berechtigte Bitten. Seine Herzlichkeit geht verloren und sein Herz wird zu Stein. Er schneidet sich ab vom pulsierenden Leben. Er sitzt, wie der Drache auf seinem kalten Goldschatz, und verbarrikadiert sich hinter Stolz, Gier und Unnahbarkeit. Er schafft eine Situation, die ihn von all dem trennt, was wirkliches Leben ausmacht, von menschlicher Nähe, von gegenseitiger Hilfe und Unterstützung, von Achtung der Bedürfnisse anderer. Oder will man Dahinvegetieren in einer dunklen, feuchten Höhle auf Cram (Trockenfutter)-Basis als Leben bezeichnen, - oder gar als Lebensperspektive? Aber nein - weiter weg kann man sich vom Kern des Lebens gar nicht mehr entfernen. Und Bilbo und ein Teil der Zwerge wissen dies durchaus („Da wünschte Bilbo nichts sehnlicher, als aus der dunklen Festung zu entfliehen. Er wollte hinuntergehen und an der Fröhlichkeit und dem Schmaus am Lagerfeuer teilnehmen. Auch einige der jüngeren Zwerge waren gerührt und murmelten, dass ihnen ein anderer Ausgang ihres Abenteuers lieber gewesen wäre und dass sie dieses Volk draußen besser als Freunde willkommen heißen sollten. Doch Thorin schaute finster drein"). Die Gier entfremdet Thorin gänzlich von den anderen Mitlebewesen und deren berechtigten Bedürfnissen.

Und geht es uns nicht bisweilen ähnlich, sitzen nicht auch wir manchmal innerlich getrennt da von anderen, erbauen nicht auch wir oftmals Mauern aus Stolz, Wut, und Unnahbarkeit? Errichten wir nicht oft hohe Mauern der Unnachgiebigkeit, der Rechthaberei, aber auch Mauern aus Angst und Sorge, Mauern zum Schutz vor verletzten Gefühlen. Solche Mauern mögen ihren Sinn haben, aber der Preis eines solchen Mauerbaus ist hoch, denn wir Menschen sind zutiefst soziale Wesen. Festungsmauern bieten Schutz, aber sie verhindern auch jeden Kontakt und freundlichen Austausch mit anderen. Wünschen nicht auch wir uns manchmal, das Streiten zu vergessen und uns nicht hinter Festungsmauern zu verbergen? Denn instinktiv spüren wir die Fülle des Lebens, das Fließen der Lebensenergien können wir nur wahrnehmen, wenn wir solche lebens- und entwicklungsfeindlichen Verhaltensweisen aufgeben („Die Felsen hallten von Stimmen und Liedern wider, wie sie es für eine lange, lange Zeit nicht mehr getan hatten. (....) Und wie das Echo heraufdrang, war es,als erwärmte sich die kalte Luft, und ein Duft von Waldblumen und Frühling stieg zu den Zwergen hinauf").

Thorins Verhalten bringt die Entwicklung zum Erliegen, starr stehen sich beide Gruppierungen gegenüber („Rechnet nicht mit bewaffneten Angriffen - wir liefern Euch Eurem Gold aus. Esst es auf, wenn es Euch gefällt.). Stillstand tritt ein, der erst im nächsten Kapitel durch das mutige Handeln des Hobbits unterbrochen wird. Thorins Verhalten führt dazu, dass die Situation sich sehr verfahren entwickelt. Durch seine Verbohrtheit, schlägt er einen schädlichen Weg ein. Einen Weg, bei dem er in Kauf nimmt, dass das Gemeinwohl zahlreicher Menschen, sein eigenes Leben inbegriffen, geschädigt wird. Thorin hat sich innerlich weit entfernt von jeder Weisheit, von jeder Kompromissbereitschaft. Blindwütig lehnt er mögliche Handlungsalternativen ab und bricht dadurch den Einklang mit universalen Lebensprinzipien. Seine Mission, den Schatz zu erringen und ein neues Königreich auf einer sicheren Basis aufzubauen, verspielt er damit. Er verlässt den bis dahin von Schicksalskräften unterstützten Weg. Bis jetzt war die Mission der Zwerge immer in Übereinstimmung mit universalen Lebensprinzipien gewesen, die Thorin nun hier auf eklatante Weise bricht und sich ihnen widersetzt. Bard erinnert ihn daran: „Mehr noch, der Reiche soll über alle Rechtsansprüche hinweg mit dem Bedürftigen Mitleid haben, der sich seiner annahm, als er selbst bedürftig war, aber selbst dieser sehr deutliche Hinweis bewirkt bei Thorin kein Umdenken mehr.

Der Preis für ein solches Verhalten ist für Thorin sehr hoch, denn letztendlich wird die Entscheidung, sich so zu verhalten, in einem der nächsten Kapitel seinen eigenen Tod herbeiführen. Was er hier an Entwicklung auslöst, wendet sich später direkt gegen ihn. Im Symbolgehalt der Geschichte gesprochen kann man nicht ungehindert dem Leben immanente Regeln brechen, ohne die Konsequenzen zu spüren zu bekommen. Hier versinnbildlicht darin, dass sowohl der Drache, wie auch sein „Nachfolger" Thorin nicht „ungestraft" davonkommen. Beide müssen sterben, um die Symbolik der Geschichte zu verdeutlichen, denn der Tod bedeutet unhinterfragbar das Ende jeglicher irdischer Entwicklungsmöglichkeiten. Das bedeutet, dass Thorin durch seine Verhaltensweisen seine eigene Individuation massivst gefährdet und aufs Spiel setzt. Im Kampf zwischen Gut und Böse war Thorin lange Zeit neutral in der Mitte - jetzt aber verlässt er den grünen Bereich, bricht alle wegweisenden Lebensregeln, lässt sich nicht mehr von Weisheit leiten, sondern rein von destruktiven Impulsen. Seine innere Balance ist gekippt. Die guten Anteile in ihm sind unter maßloser Gier verschüttet. Das ist ein hoher Preis alleinig für die Erfüllung rein materieller Wünsche. Erst in einem späteren Kapitel wird Thorin von den Geschehnissen, wie sie sich weiterentwickeln, richtig gehend aufgerüttelt. In sehr kurzer Zeit nimmt er wieder Kontakt auf zu den positiven Entwicklungstendenzen in seiner Psyche. In extrem kurzer Zeit, quasi von Null auf Hundert, entwickelt er so viel innerpsychische Kraft und Größe, um umzudenken und sich in allerletzter Minute in der Schlacht der Kräfte wieder auf die Seite der guten Mächte zu wechseln und diese sogar unter Einsatz seines Lebens zu unterstützen. In diesem Kapitel aber ist er von einer solchen menschlichen Größe hundert Quadratkilometer entfernt.

Thorin lebt uns also in diesem Kapitel einen „todsicheren" Weg vor, wie man die eigene Individuation und Menschwerdung mit ziemlicher Sicherheit in den Sand setzen kann. Sollten wir uns deshalb nicht ab und an mal selbst fragen: Habe nicht auch ich etwas von einem Thorin Eichenschild an mir? Wann und wem gegenüber bin ich so verbarrikadiert und so stur? Wann verhalte ich mich materialistisch, menschenfeindlich, zerstörerisch, obwohl ich es besser wissen sollte? Obwohl ich wissen sollte, dass ich im Grunde dabei nur mir selbst schade, mir selbst meine Lebendigkeit und Menschlichkeit abgrabe und damit „Lebensqualität" vergeude. Vielleicht erspart mir diese Selbstreflexion und Selbstbefragung so manchen schmerzhaften Umweg und das Begehen von individuationsabtötenden Sackgassen.

Und deshalb wieder die Frage an dich: Wo willst du stehen im Jahrtausende währenden Kampf Gut gegen Böse? Wenn du jetzt lauthals sagst, ist doch klar, auf der guten Seite, dann musst du dir aber auch im klaren sein, dass es dann sein kann, dass du auch auf Vieles verzichten musst, dass es auch dafür einen Preis gibt und dass dies nicht immer der leichtere Weg ist. Sagst du dann immer noch - ich will nicht sein wie Thorin Eichschild? Hoffen wir mal! Das Potential dazu liegt in jedem von uns, selbst da, wo wir es am wenigsten erwarten - selbst in den Thorin Eichenschilds dieser Welt.

Der "Kleine Hobbit" als praktischer Begleiter durch die Reise des LebensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt