12.Kapitel Das Wirken von Reichtum

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Drachen können zwar keinen sinnvollen Gebrauch von ihrem Reichtum machen, aber in der Regel kennen sie ihren Besitz bis aufs Gramm, besonders, wenn sie sehr lang darauf gelegen haben"

Als eine Art Beweis, den Schatz im Inneren der Höhle wirklich gesehen zu haben, entwendet unser Hobbit einen kleinen goldenen Pokal, worauf er recht stolz ist. Nur leider hat er nicht mit dem Charakter von Smaug dem Drachen gerechnet. Diesen erbost der Verlust eines Minimalbruchteils seines immensen Schatzes bis in die Tiefen seiner dunklen Seele (falls er überhaupt eine hat). Bemerkenswerterweise bemerkt Smaug den Diebstahl im Null-Komma-Nichts, d.h. von Zeit zu Zeit muss er, so ist zu vermuten, seinen gesamten Schatz immer wieder durchzählen, viele Male am Tag - ein mühsames Geschäft über all die Jahrhunderte seines Drachenlebens hinweg. Und dann geschieht das Unerhörte und der Drache fühlt sich in seiner Wut so, als ob ihm sein gesamter Schatz abhanden gekommen sei, als habe er etwas wirklich Lebenswichtiges verloren („Einer solche Wut begegnet man nur, wenn reiche Leute, die mehr besitzen, als sie brauchen, etwas verlieren, das ihnen schon lange gehört hat, das sie aber niemals benutzt oder sich überhaupt nur gewünscht haben"). Es ist nicht wirklich vorstellbar, dass der Drache diesen kleinen Pokal existenziell vermissen würde, weil er ihn braucht, sondern er steigert sich so in den Diebstahl hinein, als ob es das Schlimmste sei, was ihm je widerfahren könnte (und vielleicht ist es bis dahin ja auch das Schlimmste was, ihm selbst je widerfahren ist, da ja sonst er es ist, der alle anderen bestiehlt und tötet). Aber Smaug verliert hier einfach jede Relation, denn schließlich, so wissen wir vorausahnend, geht es darum, dass er sein Leben verlieren wird und was ist in Anbetracht dessen schon ein kleiner goldener Pokal. Man sieht also, was das jahrhundertlange Bewachen eines Schatzes aus einem machen kann. Der Drache hat ein Herz aus Stein, gefüllt mit Gier und Hass ruht er da auf seinem kalten toten Schatz. Und ist abgeschnitten von all dem, was in unseren Augen lebenswertes Leben ausmacht. Keiner will etwas mit Smaug zu tun haben, viele hassen ihn so, dass sie ihm schlicht den Tod wünschen, jeder hat Angst vor ihm. Da frage ich mich doch, ob es wohl in seinem Leben Momente gibt oder gab, in denen er selbst seinen harten kalten Schatz zum Teufel wünscht und gerne eintauschen würde gegen Lachen, Nähe, Lebendigkeit und sich nach Wärme und Austausch mit anderen sehnt? Das Hüten eines Schatzes kann einsam, kann überaus vorsichtig und misstrauisch machen, frei nach dem Motto: „Jeder will ja nur an meinen Schatz und mir etwas wegnehmen".

Das Schwierige ist nun aber, sich der Wirkung von Reichtum zu entziehen, damit aus uns nicht eine Kreatur wie Smaug wird. Innerlich unabhängig zu bleiben von materiellem Besitz schließt nicht aus, die Annehmlichkeit materieller Dinge zu genießen. Gefährlich wird es erst, wenn man sich von den Dingen an sich beherrschen lässt, so wie Smaugs Gefühlswelt davon regiert wird. Aber sich dem zu entziehen ist nicht leicht, hat Reichtum doch einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf unsere kleine naive Psyche. Jemand mit viel Besitz (und damit meine ich ausdrücklich nicht nur die Millionäre unter uns, sonder all die, die mehr haben als sie wirklich brauchen) entwickelt zwangsläufig einer dem Besitz innewohnende Psychodynamik, der man sich nur sehr schwer und mit viel Anstrengung entziehen kann. Meint man doch über Reichtum schnell Sicherheit und das volle Leben erlangen zu können, bis dann aber Schwupp die Wupp, mir nichts dir nichts, die eigenen Reichtümer zum Selbstläufer und Selbstzweck werden. Und plötzlich besitzen nicht mehr wir die Kostbarkeiten, sondern sie uns. Für die eigene Entwicklung ist es auch gefährlich, wenn sich Reichtum mit einem Gefühl von Macht mischt. Dies kann zu einer besonders leeren Art der Überheblichkeit führen, die einen immer weiter von anderen Menschen wegführen kann.

Der Drache führt uns hier demnach eine Haltung vor, die nur darauf beruht Geld und Reich-tümer anzuhorten. Reichtümer, die er - dazu benötigt es keine weitere genaue Betrachtung - sicher nicht braucht und vor allem gar nicht einmal benutzt, allein um des Habens und Besitzens willen. Aber sind wir nicht auch oft so, horten und erwerben wir nicht auch Dinge, die dann sehr schnell im Schrank, in der Garage, im Keller ungenutzt vor sich hin rotten. Unbenutzte Kostbarkeiten. Aber wehe, wenn etwas davon fehlt, verloren geht etc.,dann hängt plötzlich scheinbar unser gesamtes Glück daran. Wir sollten uns wirklich fragen, ob wir den dritten Fernseher, die achtzigste CD, den zehnten Ring, die hunderste Vase und die tausend unnutzen Nippes-Dinge, die ausgefallene, unerhört nützliche Küchenmaschine wirklich brauchen. Wozu brauchen wir diese Dinge denn? Welche seltsamen Bedürfnisse in mir befriedigt das? Wofür ist das Anhäufen materieller Dinge ein Ersatz in meinem Leben? Mal ehrlich, willst du dich nicht gerne mal entledigen von der Bürde deines angehäuften, dich einsperrenden Schatzes, denn Geld kann man bekanntlich nicht essen und Reichtümer sättigen nicht unseren wahren Lebenshunger. Klar sind die meisten unter uns alle keine Helden im Loslassen. Nur: nutzlose Dinge können eine Belastung sein, unser Herz beschweren, uns unsere Lebensleichtigkeit nehmen und uns in unserer Flexibilität einschränken. Oder glauben Sie, Smaug hätte mit seinem Schatz auf Reisen gehen können oder kurz mal eben Freunde besuchen? Nein, das wäre ihm nicht möglich gewesen. Aber bei einem Drachen ist irgendwie das Anhäufen von Schätzen ja verständlich, schließlich braucht ein solches Feuerwesen Surrogate und Ersatzbefriedigungen - denn wer liebt schon einen Drachen. Aber jeder einzelne Mensch hat die Möglichkeit seine tiefen Bedürfnisse anders zu befriedigen. In der direkten Auseinandersetzung mit sich und anderen Menschen. Oft bedarf es der menschlichen oder göttlichen Nähe, die das immerwährende existenzielle Loch erst stopfen kann. Gegenstände, Konsumgüter loszulassen, von ihnen unabhängig zu bleiben, ist eine der wertvollsten Lektionen des Lebens, besonders gilt dies für uns moderne Menschen. Wie wäre der Gedanke für dich,all die Dinge, die in deinem Besitz sind und die du länger als ein Jahres nicht benutzt, noch bewundert, noch angefasst hast, wegzugeben. Na, wäre das nicht was für dich?

Bilbo jedenfalls lehrt uns im weiteren Verlauf des Buches, wie man sich von der Macht des Reichtums freimachen kann. Zuerst jedoch scheint es eine ganze Phase lang so, als ob unser lupenreiner Mr. Hobbit auch den Lockungen dieses Lebens unterliegt. Auch er ist geblendet, verblendet von den angehäuften Schätzen. Er führt vor, wie bestechlich und schwach selbst der Unbestechlichste und Starke sein kann („Sein Herz war wie verzaubert und von zwergischem Verlangen erfüllt. Reglos starrte er, den furchtbaren Wärter fast vergessend, auf das Gold, das sich weder zählen noch schätzen ließ"). So nimmt er im nächsten Kapitel den außerordentlichen Diamanten Arkenstein unerlaubter Weise an sich und versteckt ihn vor den Zwergen. Materielle Dinge haben also ihren Reiz, ihre Schönheit, ihre Anziehung auch für Menschen, die sich sonst gut abschotten können. Welche inneren Kämpfe der Hobbit wohl durchgestanden haben muss, bis er in einem der letzten Kapiteln den Arkenstein, zum Wohle aller weg- und weitergibt und damit seine Bedürfnisse dem Allgemeinwohl unterstellt. Geteilte Schätze, so werden wir später sehen, so wie der später uneigennützig verschenkte Arkenstein, sind die wirklichen Schätze dieses unseres Lebens. Geteilter Reichtum, produktiv gelebtes Reichsein, äußeres Reichsein gekoppelt an inneren Reichtum also, kann das Leben anderer bereichern und damit sich auch positiv auswirken auf das Leben, die Psyche des Gebers selbst. Loslassen heißt also das Motto der Stunde, wohl wissend, dass dies auch unserem Glück auf die Sprünge helfen kann. Smaug ist verloren, gefangen in seinem Sosein. Der Hobbit aber transformiert seine menschlichen Schwächen in das echte unzerstörbare Gold der Nächstenliebe. Und hat sicher manch inneren Kampf mit sich durchgestanden, bis es für ihn möglich wurde seinen ganz besonderen Schatz aufzugeben. Loslassen ist nicht einfach, aber hast du diese Lektion erst einmal gemeistert, das verspreche ich dir, wird dein Leben danach um vieles leichter. Und du beugst damit auch einer großen Gefahr vor: Selbst ein Drache zu sein oder zu werden. Na, ist das nichts!




Der "Kleine Hobbit" als praktischer Begleiter durch die Reise des LebensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt