5.Kapitel Auch auf den ersten Blick Unwichtiges kann wichtig werden

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„Und das war ein Wendepunkt in seinem Leben. Aber er wusste es nicht. Er steckte den Ring in seine Tasche, ohne sich Gedanken zu machen. Sicherlich, im Augenblick schien dieses Etwas zu nichts nütze zu sein"

Bereits in diesem fünften Kapitel setzt Tolkien die Grundlage für die Trilogie „Herr der Ringe". Somit geschieht etwas sehr Zentrales in diesem Kapitel. Etwas von weltbewegender Bedeutung für Mittelerde. Der mächtige Ring, der Jahrzehnte oder gar Jahrhundertelang verschollen war, - lange Zeit in den Untiefen der Höhle im Besitz Gollums gewesen war, wird zufälliger Weise von Bilbo auf dem Boden der Höhle entdeckt.

Gänzlich unbedarft steckt Bilbo den Ring, fast ohne es wirklich bewusst wahrzunehmen und zu entscheiden, in seine Tasche. Zu diesem Zeitpunkt ist ihm nicht klar, welchen großen Einfluss diese kleine Handlung auf immens viele andere Lebewesen haben wird. Ganz zu schweigen von seinem eigenen Leben. Oder von dem Leben Gollums, das sich auch von diesem Moment an schlagartig verändert. Bilbo ist sich also der Wichtigkeit dieses Momentes nicht bewusst, und selbst, als er herausfindet, dass der Ring ihn unsichtbar machen kann, ahnt er noch in keinster Weise, wie die Macht des Ringes wirklich beschaffen ist („Wer ihn auf den Finger steckte, wurde unsichtbar. Nur im vollen Sonnenlicht konnte er gesehen werden, und dann auch nur durch den Schatten, der obendrein unsicher und schwach war„). Er kann nicht im geringsten ahnen, wie der Ring später seinen Neffen Frodo und dessen Gefährten unter größten Gefahren bis hin zu den Feuern der Schicksalsklüfte bringen wird. Hier legt Tolkien also das Fundament für eine Entwicklung, die sich über mehrere Generationen hinweg ziehen wird und die ihren Ursprung in dieser kleinen unbedeutenden zufälligen Situation hat. Die Situation, in der Bilbo zufällig in dem dunklen Höhlensystem am Boden kriechend mit seiner Hand an den Ring stößt („Auf gut Glück kroch er (Bilbo) ein ordentliches Stück weiter, bis seine Hand plötzlich auf dem Boden des Stollens etwas liegen fand - etwas, das sich wie ein dünner Ring aus einem kalten Metall anfühlte").Die Frage dabei ist aber: War der Fund des Ringes tatsächlich nur Zufall oder lässt dieser Fund sich zurück führen auf die Kräfte des sich anbahnenden Schicksals, in denen der Ring eine gewichtige Rolle spielen wird?

Ist es in unserem Leben nicht auch so, dass oftmals Dinge geschehen deren langfristige Konsequenzen wir in dem Moment, wo sie geschehen, überhaupt nicht absehen können? Erst Schritt für Schritt lassen sich oftmals die Konsequenzen, die aus einer bestimmten Handlung, einer uns unwichtig und nebensächlich erscheinenden Situation oder menschlichen Begegnung, langfristig für uns erwachsen können, erfassen. Niemals also sollten wir aus den Augen verlieren, das auch Unwichtiges und auf den ersten Blick Unbedeutendes für uns wichtig werden kann. Wie oft ist es nämlich so, dass wir unseren Blick gänzlich auf die alles überspannende Entwicklungen in unserem Leben richten, und die kleinen Dinge, die am Wegrand bereit liegen übersehen, da sie uns in diesem Moment nicht wichtig erscheinen. Allzu oft gehen wir dabei allerdings an Dingen vorbei, die später für uns zu einer immensen Wirkung hätten werden können - nur werden wir es dann leider nie wissen und erfahren, da wir zu früh unser Leben vorselektiert gelebt haben und nicht ausreichend achtsam auch auf die kleinsten Entwicklungstendenzen in unserem Leben geachtet haben. Unser Bestreben sollte deshalb sein, unser Leben nicht selektiv zu leben. Es ist wichtig sich Ziele zu setzen, aber dabei sich nicht von diesen selbstgesetzten Zielen in seiner Wahrnehmung einschränken zu lassen. Man kann oft aus Dingen Nutzen ziehen, die man irgendwie nur so nebenbei mit nimmt - ohne Anstrengung, ohne auf ein Ziel hin gerichtetes Bewusstsein. Und ohne anfänglich in ihnen einen großen Wert für das eigene weitere Lebensabenteuer zu erkennen. Wir sollten also nicht zu zielgerichtet leben, sonst nehmen wir dem Zufall und dem Schicksal jede Chance und lassen Möglichkeiten ungenutzt, die sich erst später als solche erweisen. Man kann nie wissen, ob ein Puzzlestein, der im Moment nicht passt, nicht vielleicht doch zu einem späteren Zeitpunkt das vollkommene Bild erstellen hilft. Wie oft geschieht es, dass jemand ganz fest ein Ziel vor Augen hat, um nach Jahren festzustellen, dass dieses Ziel im Grunde nicht seiner eigenen Persönlichkeit entspricht. Wie schön wäre es für diesen jemand dann einen Zauberring in der Tasche zu haben, der ihn seiner wahren Bestimmung näher bringt.

In diesem Zusammenhang möchte ich dich dazu anregen zu überlegen, was dein ganz persönlicher Schatz ist, den du in diesem Leben vielleicht schon gefunden hast. Wärst du auch einfach daran vorbeigegangen, wenn das Schicksal dich nicht darauf gestoßen hätte? Und bist du dir überhaupt bewusst, wie viele unerkannte Schätze du bereits in deinen Taschen angesammelt hast? Sehr oft fliegt uns das, was uns vom Schicksal zugedacht ist, ganz einfach unbemerkt zu. Auf dem richtigen Weg liegen für uns so, behaupte ich, - genau wie bei Bilbo der Ring, ohne Anstrengung die Dinge bereit, die für uns wichtig werden und die uns weiterhelfen können. Umgekehrt ist ein deutliches Zeichen, dass wir nicht im Einklang mit den Kräften des Schicksals handeln, dann gegeben, wenn die Ziele, die wir erreichen wollen, uns schier unendliche Kraft abfordern. Dann sollten wir uns fragen: Bin ich überhaupt noch auf dem richtigen Weg? Das heißt nicht, dass es auf dem richtigen Weg keine Hindernisse geben wird. Aber es heißt, dass wir uns, wenn die Hindernisse überhaupt nicht mehr aus dem Weg zu schaffen sind, manchmal fragen sollten, ob wir uns vielleicht in eine Sackgasse verrannt haben und gar nicht mehr in der richtigen Richtung unterwegs sind. Auf dem „richtigen" Weg findet ein ständiger Wechsel statt zwischen kleineren und größeren Schicksalsschlägen und kleineren und größeren Wundern und unerwarteten Ausgängen und Lösungsmöglichkeiten. Dies wird im Buch „Der kleine Hobbit" immer und immer wieder deutlich, besonders auch im nächsten Kapitel. In diesem Sinne stellt der Fund des Ringes einen Meilenstein in den damit verbundenen Entwicklungsmöglichkeiten für Bilbo dar. Sollten Sie auf Ihrem Weg schon lange nichts mehr Vergleichbares gefunden und erlebt haben, dann könnte ein Überdenken bzw. eine Kurskorrektur Ihres Lebens vielleicht weiterhelfen.

Die grundlegende Erkenntnis, dass menschliches Leben sich niemals gradlinig entwickelt, auch wenn wir das gerne hätten, lässt uns zu Schatzjägern werden, um jede sich bietende Gelegenheit für mögliche Seitenwege und Abzweigungen und Geheimtüren in unserem Leben zu ergreifen, die uns von einer Stelle unseres Lebens zu einer bedeutenderen Ebene katapultieren können. Sicherlich kann man nicht alles leben, erleben und sammeln, das würde uns sehr anstrengen und uns auch sehr wahrscheinlich von unserer eigenen Entwicklung abbringen. Aber wir können die Dinge, die bereits schon am Wegrand für uns bereitliegen, die uns keinen extra Energieaufwand abverlangen, getrost mitnehmen, ohne dass sie uns belasten. Denn in das oftmals große Gepäck, dass wir mit uns schleppen, passt sicherlich noch ein kleiner unscheinbarer Ring hinein. Und wenn nicht, wird es Zeit zu untersuchen, ob wir in unserem Gepäck nicht andere Dinge haben, die uns an unserer Entwicklung hindern und die wir getrost im Austausch im Graben am Wegesrand liegen lassen können.

Diese Herangehensweise beinhaltet also auch, niemals Dinge, Situationen und Menschen über die wir zufällig stolpern, wegzuschieben, von uns wegzustoßen und als unwichtig zu erklären. Dies gilt besonders auch für menschliche Beziehungen. Können wir nicht auch hier Menschen mitnehmen und an uns heranlassen, die im ersten Moment mit unserer geplanten Lebensroute wenig zu tun haben, um im späteren Verlauf von diesen Menschen wichtige Impulse bekommen zu können und zu einem späteren Zeitpunkt von der Kraft, die durch diese Freundschaft entsteht profitieren zu können? Die Dinge, die in unser Leben treten, tun dies nicht aus Zufall heraus, so behaupte ich, sondern um im Rückblick ein sinnvolles einzigartiges Lebensmuster zu ergeben. Denn, was wäre Bilbo schließlich ohne seinen Ring? Wohin hätte ihn sein Schicksal gebracht? Hätte er seine Reise überhaupt erfolgreich abschließen können ohne den Ring? Oder lag das Ziel der Reise, frage ich provokativ, alleinig in dem Auffinden des Ringes an sich? Versteckt sich manchmal hinter unseren gesteckten Zielen der wahre Lebenssinn, den wir gar nicht erfassen können, da die Gesamtperspektive der vernetzten Geschehnisse unseren Augen und Sinnen gar nicht offen zugänglich ist und eventuell auch über mehrere Generationen hinweg wirken kann? Ursprünglich hatten wir gedacht, der Sinn und Zweck der Reise des Hobbits liegt in dem Sieg über den Drachen und darin, sich als Meisterdieb zu erweisen. Dass seine Meisterdieberei dennoch in größerem Rahmen einen Sinn macht, eröffnet sich erst in den nächsten drei Bänden von Tolkien, - in der Trilogie „Herr der Ringe". Und genau wie es dem Leser geht, der die Dimensionalität des Geschehens noch nicht überblicken kann, so geht es auch Bilbo, der mitten in der Situation steckt und der nicht im geringsten ahnen kann, dass dies und nur dies der Wendepunkt in seinem Leben ist. Fehlt uns oftmals selbst nicht auch diese sinnbringende, längere Entwicklungen umspannende Perspektive, besonders wenn wir selbst persönlich mitten in den Stromschnellen des Lebens stecken? Sich dieser Erkenntnis öffnend, erschließt uns dies gänzlich neue, nie gekannte Lebensdimensionen - und alles aufgrund eines kleinen unscheinbaren Ringes.

Der "Kleine Hobbit" als praktischer Begleiter durch die Reise des LebensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt