5.Kapitel Die weitreichende Ethik des Menschseins

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„Beides falsch! rief Bilbo sehr erleichtert. Und er sprang sogleich auf die Füße, lehnte den Rücken an die nächste Wand und zog sein kleines Schwert heraus. Er wusste natürlich, dass das Rätselspiel heilig und auch sehr alt war und dass selbst verschlagene Wesen sich hüteten, beim Spiel zu betrügen. Aber er spürte, dass er diesem schleimigen Kerl nicht trauen konnte, denn würde er auch im Notfall sein Versprechen halten?"

Als unser beherzter Mr. Beutlin sein letztes Rätsel stellt und darauf keine richtige Antwort erhält, stellt er sich blitzschnell darauf ein, dass Gollum wahrscheinlich die Regeln dieses Rätselspiels brechen wird. Obiges Zitat verdeutlicht, dass beide Rätselparteien hier eine Art Vertrag eingegangen sind, ein Spiel gespielt haben, dessen Spielregeln „heilig" sind, - somit also als äußerst fundamental anzusehen sind. Im Normalfall halten sich selbst die verschlagensten Wesen sich an die Vereinbarungen. Das hier beschriebene Rätselritual enthält scheinbar grundlegendste Normen und Wertvorstellungen. Zum Beispiel, dass jemand, der im Spiel gewinnt, Achtung verdient und nicht mehr angegriffen werden darf. Doch wie schnell eine Partei von den vereinbarten Regeln abweichen kann, wird in dieser Textpassage schnell deutlich. Jedoch ist unser Herr Bilbo Beutlin so clever, so vorausschauend, dass er sich nicht unerwartet und schutzlos Gollum ausliefert, sondern sich innerlich schon auf einen möglichen Angriff und damit auf einen Bruch der „heiligen" Regeln vorbereitet. Auf der anderen Seite der Medaille stellt sich die Frage, wie schnell doch der Hobbit während des Rätselratens das Wesen Gollum ohne seinen ihm Schutz gebenden Unsichtbarkeitsring ganz einfach hinterrücks erdolchen hätte können? Mit seinem Dolch in Händen immerhin gut im Vorteil. Doch im Hobbit ruht das Wissen, dass er selbst sich an die alten Regeln halten will. Sich selbst unter diesen Bedingungen an die gesetzten Regeln zu halten, ist ein echtes ethisches Kunststück, das von unserem tapferen Hobbit hier vollbracht wird. Sich daran zu halten und dennoch die Augen offen dafür zu haben, dass der Andere die Regeln brechen könnte, erscheint als angemessener Realismus.

Auch für uns Menschen, aus Einzelindividuen, Nationen und Rassen bestehend, sollte es nicht überraschend sein, dass nicht für jeden Menschen das Konzept der Ehre und der Menschlichkeit einzuhaltende Grenzsetzungen darstellen. Wie bei dem von Tolkien dargestellten Rätselspiel, gibt es oder sollte es zumindest grundlegende bindende Normen und Wertvorstellungen geben, die den Minimalkonsens der Menschlichkeit darstellen. Grundpfeiler der menschlichen Ethik, grundlegende minimal-ethische Anforderungen, an die sich sogar die „verschlagensten Untergrundwesen" zu halten haben. Ethische Richtlinien also, die alle Menschen kennen, deren Samen wir alle in der Tiefe unseres Menschseins eingepflanzt haben und deren Bruch etwas potentiell Entmenschlichendes enthält. Tief in unserer Seele eingraviert, liegen die universalen Menschenrechte, die unabhängig von Nationalität, Hautfarbe und Religion existieren, die in unserem kollektiven Unterbewusstsein, so hoffe ich, ewig existieren werden. Diese Bastionen der Menschlichkeit sollten wir unter allen Umständen gut bewachen. Eine solche alle Schwierigkeiten überbrückende menschliche Handlungsbasis wäre zutiefst wünschenswert, traumhaft, zukunftsweisend, aber dennoch sollten wir nicht moralisch überrascht sein und von unserer moralischen Entrüstung gelähmt, wenn wir feststellen, dass es doch Menschen, Länder, Nationen gibt, die sich über diese ethischen Grenzen hinwegsetzen. Doch ist es leider doch oft so - ausgelöst durch egoistische Impulse, durch Hass, Gier, Unverständnis, aber auch ausgelöst von Ängsten, Überlebenswillen und starkem Misstrauen der Nationen und Menschen untereinander. Wir sollten diese Grundnormen gerade deshalb sehr gut bewachen, in unserer Gesellschaft, in unserer Politik, aber auch im Leben jedes einzelnen von uns. Denn wir alle sind Mitgeschöpfe dieser unserer Welt - vergiß das nicht - auch du bist verantwortlich, spiele die „alten" Regeln gut, sonst machst du dich mitschuldig am Verfall der menschlichen Grundregeln, die uns als Menschheit erst ausmachen und als Menschen adeln.

Wir sollten aber nicht blind und idealisierend durchs Leben gehen, sondern wir als Menschheit müssen uns auch stets bewusst sein, dass ritualisiertes Kämpfen zwischen den Nationen, zwischen den Menschen immer noch sehr schnell zu „wahrer" Gewalt führen können. Ein Übersprung von einer Ebene zur anderen, ist genau wie hier bei Bilbo und Gollum jederzeit möglich. Noch immer leben wir Menschen unsere wilden, triebgesteuerten Seiten aus, werden damit zu Gollum ähnlichen Wesen, immer wieder. Auch wenn wir uns bemühen Intellekt und Verstand immer die Regie über unser Handeln zu geben und unser Handeln immer mehr von humanen Regelungen steuern zu lassen, anstatt von Macht und Gewalt. Dies gelingt uns als Menschheit immer besser, doch Rückfälle ins archaische Verhalten und Problemlösen sind leider jederzeit weiter möglich. Der Weg heraus, geht immer nur über die Bewusstwerdung der Gefahren, über einen gesunden Realismus, wie ihn hier der Hobbit vorlebt, und dem Festschreiben ethischer Grundregeln. Konzentrieren wir uns auf diese Grundmanifeste dann sehen wir, dass es einen Minimalkonsens unter den Menschen und Nationen immer schon gegeben hat und dass wir mehr das Verbindende sehen sollten, als das Trennende. Und dass wir als gesamte Menschheit niemals bereit sein werden, von einzelnen verschlagenen, in die Irre gegangen Wesen diese Grundsatzethik über den Haufen werfen zu lassen. Der damit einhergehende Kampf zwischen Gut und Böse wird wohl ewig währen. Und in diesem Kampf schreitet unser lieber kleiner Hobbit mit bestem Beispiel voran. Lassen Sie uns ihm folgen, nicht nur passiv bewundernd, sondern aktiv handelnd.

Der "Kleine Hobbit" als praktischer Begleiter durch die Reise des LebensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt