8.Kapitel Die Entwicklung eines soliden Selbstbewusstseins

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Aber irgendwie hatte der Tod der Riesenspinne, die er in der Finsternis ganz allein ohne die Hilfe des Zauberers oder der Zwerge besiegt hatte, aus Mister Beutlin einen anderen Hobbit gemacht. Er spürte, dass er ein anderer geworden war, wilder und kühner (...)"

In diesem Kapitel kommt der Zeitpunkt, wo unser kleiner Hobbit sich so richtig selbst beweisen muss. Lange Zeit stand er unter dem Schutz der Gruppe und unter dem Schutz des Zauberers. Nur ein einziges Mal zuvor, in der Konfrontation mit Gollum, war Bilbo allein einer solch schwierigen Situation ausgesetzt gewesen. Um ihr zu entkommen braucht es Selbstvertrauen und eine Riesenportion Glück (symbolisiert durch das Finden des Ringes). Hier aber findet sich Bilbo in einer Situation wieder, in der er nicht nur seine eigene Haut retten muss, sondern zusätzlich auch Verantwortung spürt für die von den Spinnen eingefangenen Freunde. Und dies hilft ihm wahrlich über sich selbst hinauszuwachsen. Im Kampf mit den Spinnen, in dem Bilbo Mut, Witz und Tatkraft zeigt, bringt unser kleiner Hobbit seine besten Seiten zum Vorschein. Eigenschaften und Kräfte, derer er sich vorher wohl nie und nimmer für fähig gehalten hätte. Tief in ihm, ungenutzt, haben diese Fähigkeiten vor sich hingeschlummert, um erst jetzt in dieser Notfallsituation zum Tragen zu kommen. So tief waren diese Kräfte im Hobbit verborgen, dass nur ein so geschultes Auge, wie das des Zauberers sie auch im normalen Alltag erkennen konnte.

Von vielen Begabungen in sich hatte der Hobbit also keine Ahnung gehabt und andere hatte er in ihrer Aussagekraft einfach übersehen („Wirklich, er konnte allerhand mehr als Rauchringe blasen, Rätsel raten und kochen, allerhand, das aufzuzählen ich bisher einfach noch nicht die Zeit gefunden habe"). Andere Fähigkeiten, die er nur so nebenbei erworben hatte, ohne sich so recht etwas dabei zu denken, waren Eignungen, die ihm nun in dieser verfahrenen Situation gute Dienste tun konnten („Bilbo war ein ausgezeichneter Kieselsteinschütze, (...). Als Junge war er ganz eingefuchst auf das Steinewerfen (...) Und selbst als Erwachsener hatte er einen guten Teil seiner Zeit mit Scheibenwerfen, Wurfbolzen, Herzenschießen, Kegelschieben und anderen ruhigen Spielen zugebracht, bei denen es ums Zielen und ums Werfen geht"). Er hat also von manchen Dingen, die er nebenbei in der Jugend erworben hatte, nur nicht gewusst, wie gut sich diese Fähigkeiten auch im Ernstfall nutzbar machen lassen. Im trickreichen Kampf mit den Spinnen kann unser Meisterhobbit erfolgreich auf die bereits früher erworbenen Begabungen zurückgreifen.

Wie oft vergessen auch wir in unserem Alltag häufig auf unsere eigenen Talente. Wie oft begraben wir sie unter einem Mangel an Selbstwertgefühl und vergessen vorrangig all jene Befähigungen, die nur rein spielerisch, so nebenbei von uns erworben wurden. Gerade aber solche „Grundfesten" in unserem Leben können im Ernstfall eine große Hilfe sein. Unterschätze niemals, wer du bist und was du bereits kannst. Sein Licht unter einen Scheffel zu stellen ist für eine erfolgreiche Selbstverwirklichungsreise sicher nicht hilfreich - eher scheint es angeraten all die eigenen Talenten und Fähigkeiten, die großen und kleinen, die schnell sichtbaren, die gut versteckten, die man bemerkt oder unbemerkt vom Leben mitbekommen hat, sich mit allen Kräften nutzbar zu machen.

Der Hobbit greift also auf seine verborgenen, tief in ihm schlummernden Talente zurück. Mit Kraft (Dolch), Verstand (Tricks), Geschicklichkeit (Steine werfen) und Glück (Ring) setzt der Hobbit ungeahnte Kräfte in sich wach und wächst über sich weit hinaus. („Sie sahen, dass er sowohl Verstand als auch Glück hatte und obendrein einen Zauberring, was allen zusammen sehr nützlich war"). Und mit jedem Schritt, mit jeder Handlung, die er vollzieht, wird er immer selbstbewusster und mutiger.

Ach könnten wir uns doch davon ein Stückchen abschneiden. Aber leider geht das nicht. Wachsen kann man nur durch Selbsterlebtes. Soll unser manchmal doch recht angeschlagenes Selbstbewusstsein wachsen, bedeutet das, dass wir es über Taten, über das Ausleben von Mut und Stärke und Selbstlosigkeit zum Wachsen bringen können. Auf dem Sofa sitzend wächst bei uns allerhöchstens der Bauchumfang, nicht aber unser Gefühl von Selbstliebe und Kompetenz. Auch wir müssen uns mitten hinein in den Kampf gegen die uns einspinnenden Spinnen werfen, um uns als starke bewegliche Menschen und nicht als passive Opfer der Situation begreifen zu können. Selbstbewusstsein kann nur über jede gemeisterte Aufgabe wachsen. Nur wenn wir uns Herausforderungen stellen und uns nicht von der Wirklichkeit wegträumen, können wir wachsen und unsere Selbstwirksamkeit erleben.

Und glauben sie mir, noch nie zuvor, so behaupte ich, hat der Hobbit sich so zutiefst bewusst und lebendig erlebt, als in diesen Momenten, wo es um alles ging, wo er seine ganze Geschicklichkeit, seine ganzen Kräfte einsetzen musste zur Rettung der Zwerge. Wäre es nicht schön, sich selbst so erleben zu können, statt passiv und schlapprig mit Halbheiten durchs Leben zu vegetieren. Sicher niemand sagt dir, dass du, wenn du deine Kräfte mobilisiert auch wirklich erfolgreich sein wirst. Aber wie auch das Baby, das krabbelt, aufsteht, hinfällt, krabbelt, aufsteht, hinfällt, so machen wir auf unserem Weg zur Selbstverwirklichung auch negative Erfahrungen. Blieben wir aber einfach sitzen a la: „Stehen bedeutet hinfallen und hinfallen tut weh, also vergesse ich lieber das höhere Ziel Laufen", dann hätten wir nie Laufen gelernt. So geht es auch im Leben insgesamt: Phasen von Hinfallen, von Scheitern kommen immer wieder auf uns zu, wenn man dann aber nicht mehr aufsteht, kann man auch aus den Erfahrungen später nichts mehr dazulernen. Das Kind lernt dadurch, dass es nicht aufgibt, sich vom Niveau des Krabbelns auf ein höheres Niveau des Laufens hochzuarbeiten. Erfahrungen zu machen ist manchmal sehr wohl schmerzhaft, aber nur, wenn wir schwierige Erfahrungen in unseren Wissensschatz integrieren, können wir uns entwickeln hin zu einem selbstbewussten erwachsenen Wesen.

Schritt für Schritt, mühsam, über Monate hinweg, hat sich der kleine Hobbit über gemachte Erfahrungen und dem Erfahren von Konflikten, von schmerzlich Erlebtem, zu dem selbstbewussten Bilbo, den wir am Ende dieses Kapitels erleben dürfen, hin entwickelt. Entwickelt zu einem tapferen Hobbit, der sich allein einem Heer von Spinnen gegenübersieht und sich von der Rettung seiner Freunde nicht abschrecken lässt. Was für uns nur heißen kann: Selbstbe-wusstsein wächst oftmals nur in kleinen unmerklichen Schritten. Und der Zuwachs ist ein Prozess des aktiven sich auf neue Erfahrungen Einlassens. Begeben wir uns bewusst in einen solchen Prozess hinein, so lässt dieser uns innerlich wachsen. Wir erarbeiten uns darüber mehr Kenntnisse, neue Fähigkeiten, neues Wissen, insbesondere Wissen über unsere ureigensten Talente und damit über unser wahres Sein.

Und noch ein weiterer Prozess wird in diesem bemerkenswerten Kapitel sichtbar. Nachdem der Hobbit seine Stärken durch seine selbstbewussten Taten bewiesen hat, ordnen sich die anderen ihm automatisch unter. Die Zwerge, die so oft an ihm und seinem Wert für ihre Mission gezweifelt haben, suchen nun genau bei unserem kleinen Hobbit Schutz, Unterstützung und Orientierung („Das fragten sie immer aufs neue, und es schien, als ob sie von dem kleinen Bilbo die Antwort erfahren wollten. Daraus ist zu ersehen, dass sie ihre Meinung über Mister Beutlin geändert hatten und er in ihrer Achtung sehr gestiegen war (und anders hatte es Gandalf ja auch nicht vorausgesagt)"). Unmerklich wird Bilbo zum Führer der ganzen Gruppe, erringt immer mehr Respekt und Vertrauen der anderen.

Dies wiederum übertragen auf das „wahre" Leben verdeutlicht, was wir bereits wissen, dass Menschen mit echtem Selbstvertrauen, das entstanden ist, durch selbstgemachte echte, haltbare Erfahrung (abzugrenzen von einem künstlich aufgeblasenen Selbstvertrauen) andere anziehen, die sich nun unter den Schutz einer solchen Person begeben. Auch wenn es vorher die größten Widersacher gewesen sind. Selbstbewusstsein strahlt aus, mit all seinen Wirkungen auf unsere Mitmenschen. Und ist es nicht schöner nicht als armes schwaches Opfer, sondern als verdienter tatenerprobter, selbstbewusster „Fast-Held" betrachtet zu werden - fürs Selbstwertgefühl ein riesiger Unterschied. Nur wird eine solche Entwicklung uns nicht so zufliegen, sondern sie will hart errungen werden. Mit staunenden Augen folgen wir der Geschichte des Hobbits. Wenn er es schafft, warum nicht auch wir!

Der "Kleine Hobbit" als praktischer Begleiter durch die Reise des LebensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt