10.Kapitel Die formende Kraft des Volkes

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Andere jedoch hatten eine andere Meinung und bald wurde die Angelegenheit ohne ihn (den Meister) geregelt"(...) „Und was den Meister der Stadt anbetraf, so sah er ein, dass ihm nichts übrigblieb, als den öffentlichen Tumult zum mindesten für den Augenblick nachzugeben und so zu tun, als glaube er an das, was dieser Thorin sagte."

Als nächsten Schritt nach ihrer Befreiung aus den engen Fässern begeben sich die Zwerge direkt in die Menschenstadt und lassen sich geradewegs zum Meister der Stadt Esgaroth führen. Ihr plötzliches unerwartetes Auftauchen führt zu einer allgemeinen Erschütterung. Die Elben sind erschüttert, da ihre Gefangenen entkommen sind, der Meister der Stadt ist erschüttert, da er im ersten Moment nun nicht weiß, wie er politisch richtig reagieren soll. Die Wiederkehr des alten Königs unter dem Berg und den damit einhergehenden angekündigten Reichtum für alle Menschen der Seestadt ist in alten Liedern und Sagen festgehalten und draußen jubelt auch schon sein Volk, das sich ekstatisch über die Ankunft Thorins und seiner Kameraden freut („Das Volk jubelte drinnen und draußen"). Aber auf der anderen Seite sind für den Meister die Geschäftsbeziehungen zu den Elben zu bedenken und die Reaktion des Elbenkönigs wenn er hört, dass seine Gefangenen hier von den Menschen freundlichst aufgenommen worden sind. Außerdem zweifelt der Meister intensiv an der Wahrhaftigkeit der Mission der Zwerge, er hält sie für Betrüger und kann sich in keinster Weise vorstellen, dass jemand wirklich solche „wahnwitzigen" Ziele verfolgt.

Seine fällige politische Entscheidung wird dem Meister der Stadt aber vom Volk abgenommen („Einige Leute fingen an, Strophen alter Lieder zu singen, die von der Rückkehr des Königs unter dem Berg handelten(...) Andere fielen ein, und der Gesang hallte laut und gewaltig über den See"). Der Meister beugt sich dem Druck und dem Willen seines Volkes und macht vorerst gute Miene zum bösen Spiel. Das Volk der Menschenstadt setzt sich spontan für das ein, an was es glaubt und womit die gesamte Hoffnung des Einzelindividuums und ihr ganzes Sein vom Anbeginn der Zeit zutiefst verwoben ist, verbunden durch die Brücke der Vergangenheit zur Gegenwart durch Mythen und Sagen - dem Schatz unseres kollektiven Unterbewusstseins. Dieser Schatz des kollektiven Wissens ruht als Erkenntnis und Hoffnung in jedem Menschen und es braucht nur einen ausreichendenden Anlass um wieder geweckt zu werden und dann große Kräfte freizusetzen. Hier sieht man, wie tief verwurzelt Brauchtum, kollektives Weltwissen ist. Alles ist schon so lange her, aber das Wissen und die Erkenntnisse schlummern in der Seele der Menschen, um wieder aufzutauchen, wenn sich der Anlass dazu bietet.

Was hier sehr deutlich wird, vor allem, wenn man sich die Entwicklungen innerhalb der Seestadt mit ihren Energien, mit ihrem Lachen, dem Singen des Volkes in der eigenen Vorstellung intensiv vor Augen führt, ist die verändernde Kraft, die hier vom Volk ausgeht. Das Volk entscheidet und bewegt die Entwicklungen unaufhaltsam in bestimmte Richtungen auch gegen den erklärten Willen ihres Anführers. Als Einzelwesen schwach, aber in der Gesamtheit der singenden und feiernden Masse ist das Volk mächtig und selbst vom Meister der Stadt in seiner Wirkung nicht mehr aufhaltbar. Assoziationen tauchen auf zum Fall der Mauer in Deutschland. Was wiederum beweist, politisch Führende sind durchaus abhängig von ihrem Volk, obwohl es sich meist komplett andersherum anfühlt. Die formenden gesellschaftlichen Kräfte und Einflüsse sind nicht zu unterschätzen und damit unser eigener Einflussbereich und unsere Außenwirkung auch in Bereichen, die über unser rein privates Einzelleben hinausweisen.

Diese formende Kraft des Volkes hat die nahe und ferne Vergangenheit schon gezeigt. Revolutionen der kämpferischen oder der sanften, stillen Art haben weltumspannend über die Jahrhunderte immer wieder stattgefunden mit bannbrechenden Errungenschaften für die gesamte Menschheit. So viel wurde erreicht, so viele mutige Menschen haben ihr Leben dafür in die Waagschale geworfen - mutig den widrigen Bedingungen getrotzt (wie hier in der Geschichte Menschen fähig waren im Schatten des Drachens eine neue Stadt zu erbauen). Von Generation zu Generation scheint dieses Wissen aber zunehmend zu verwässern und unter Zufriedenheiten und Alltäglichkeiten verschüttet zu sein. Wie ähnlich sind viele von uns noch solchen Menschen, die wirklich und tatsächlich bereit waren für ihren Glauben und ihre Überzeugungen zu sterben? Auch wenn wir in der heutigen Zeit beobachten können, wie ganze gesellschaftliche Wertesysteme in den „täglichen Geschäftigkeiten" zu weniger als Nichts zerfallen und damit oftmals nicht mehr handlungsweisend sind, bleibt der Glaube und die Hoffnung, dass dieses Wissen im Bedarfsfall wieder geweckt werden kann. Aufgeweckt durch das Freiwerdung starker Gefühle und Energien, wenn die Menschen fühlen, dass sie wieder mit ihren Urkräften verbunden sind und entschiedenes Handeln mehr als gefragt ist.

Was ist verglichen zu dem, was da in der Seestadt passiert nur los mit uns als gegenwärtige Menschheit? Was passiert mit uns, - nein näher an der Wahrheit -, was lassen wir geschehen? Wir halten still, verschließen unsere Augen, stellen uns dumm oder im Zweifelsfalle geht uns all das gar nichts an. Was hält uns ab Position zu beziehen, sichtbar zu werden, für unseren Glauben, unsere Werte einzustehen? Was hält uns ab Verantwortung über unser Einzelleben hinaus zu übernehmen. Wo uns doch vorgelebt wird von wirklich lebenden und handelnden Menschen, von Romanhelden und Fantasiewesen, dass dies möglich ist („Zum ersten Mal war der Meister wirklich überrascht und sogar ein wenig beunruhigt. Er fragte sich, ob Thorin am Ende nicht doch ein Abkömmling der alten Könige sein könnte. Nie hatte er es für möglich gehalten, dass die Zwerge sich tatsächlich dem Drachen Smaug nähern würden. Er hatte viel mehr geglaubt, es seien Betrüger, die früher oder später entlarvt würden. Aber er hatte sich geirrt"). Was für Heuchler, was für Betrüger sind wir doch geworden, welche Künstler im Verdrängen. Unglaublich! Wir verdienen nicht weniger als das, was auf uns zukommt. Wenn wir nichts ändern, wird der Drache diesmal siegen. Wollen wir das wirklich oder sind wir schon so abgestumpft, dass uns selbst das nicht mehr zum Handeln bringt - zum Jammern und Wehklagen ja, das ist derzeit ein Lieblingsspiel der modernen Menschen, aber zum Handeln? Hier ist nochmals zu betonen, dass Selbstverwirklichung und Selbstwerdung nicht heißt den hunderste Yogakurs hinter sich zu bringen und verklärt mit blinden Augen aus dem Fenster in die ferne Welt zu schauen und sich weiter um sich selbst zu drehen in endloser Selbstbespiegelung - Om! Wir sind in diese Welt geboren, um uns mit ihr auseinander zu setzen, uns formen zu lassen und zu formen, um unser Schicksal zu erfüllen. Was soll mit dieser Welt geschehen, in der sich so viele Individuen, wie unmündige Kinder ihrer Verantwortung entziehen? Sicher ist es verständlich, wenn man fast ohnmächtig wird vor Hilflosigkeit angesichts der Geschwader von Drachen, die unsere Welt bedrohen. Aber der Trost ist ja, du brauchst nicht alle allein zu besiegen, sondern deine Aufgabe ist einzig und allein ein Drache, und zwar nur der in dir drin. Ist der besiegt, wird die Welt sich ändern. Nur ist es heutzutage so, dass immer auf den Anderen geschielt wird, beobachtet wird, wie dieser sich verhält, und wenn der nicht losgeht und nicht die Verantwortung auf sich nimmt, weshalb sollte ich dann diesen schwereren Weg beschreiten, das brauche ich dann auch nicht. Darin bleibt unsere Gesellschaft wie in einer Negativspirale im Gefühl der Unveränderbarkeit der Bedingungen hängen. Allzu oft vergessen wir dabei: Nichts ist dazu verurteilt zu bleiben wie es ist, auch wenn es schon lange so war und eine Alternative vorerst fast undenkbar zu sein scheint.

Wann werden wir die nächste Stufe der Menschwerdung meistern? Es bleibt uns nicht mehr allzu viel Zeit, - der Drache ist nah. Die Zwerge und Bilbo schaffen mit Hilfe des sie unterstützenden Volkes die nächste Entwicklungsstufe. Wiedereinmal begeben sie sich aus der Ruhe und Erholung hinaus und verlassen gut ausgerüstet die Seestadt, ihrem ungewissen Schicksal folgend. Alleinig von ihrem Glauben an ihre Bestimmung geleitet. Haben wir moderne Menschen im Gegensatz dazu unsere eigene Bestimmung verloren, die Würde unserer Existenz? Und den Kontakt zu unseren Lebenswurzeln? Reizt es dich nicht zu einem solchen „Ausnahmemenschen" zu werden, wie Bilbo und seine Gefährten es sind, die die volle Verantwortung für sich und die weitere Entwicklung übernehmen und ihre Reise selbstbestimmt fortsetzen? Mal sehen, wohin es sie und dich führen könnte?

Der "Kleine Hobbit" als praktischer Begleiter durch die Reise des LebensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt