Kapitel 28

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P.o.V. Kōtarō

Er wachte vor Keiji auf. Scheinbar hatte der nach der letzten Nacht doch noch ganz gut schlafen können. Es war schon spät, das kühle Licht eines regnerischen Tages suchte sich einen Weg durch die Spalten in den Matten und die frische Luft vertrieb den Geruch von Albträumen aus dem jetzt hellen Raum. Kōtarō stand vorsichtig auf, damit sein Freund nicht wach wurde. Leise ging er zu dem Nachtlicht und knipste es aus. Gestern hatten sie es brennen lassen, nur für den Fall, das Keiji des Nachts noch einmal aufwachen würde; so hätte er immerhin das Licht gehabt. Ein Blick zurück auf den Schlafenden verriet, dass dieser wohl noch eine ganze Zeit ein Schlafender sein würde. Eine solche Gelegenheit gäbe es die nächste Zeit wohl nicht mehr. Schnell streifte er die Kleider ab und warf noch einen letzten Blick auf Keiji. Wie konnte man nur nach einer solchen Nacht immernoch gut aussehen? Lächelnd verwandelte er sich und breitete die Flügel aus. Dann flatterte er auf den Fensterrahmen, zwängte sich unter dem Sichtschutz hindurch und flog in den Morgen. Die Luft war warm und der kühle Wind zerrte an dem Gefieder der Eule. Es tat gut wieder zu fliegen, die vergangene Woche hatte er nicht viel Gelegenheit dazu gehabt. Kōtarō flog noch etwas höher, um über den Baumwipfeln entlanggleiten zu können. Er sah ein paar andere Stämme von Luftwesen, die sich hier genau wie die Eulen niedergelassen hatten. Dann begann der Mann den Sturzflug. Die Baumkronen kamen ihm rasend schnell entgegen, bis er das Dach der Blätter schließlich durchbrach. Die Erde rückte immer näher, alles in Kōtarō wollte ihn zum Abbremsen zwingen. Dieses Gefühl war unbeschreiblich. Die Eule ließ sich weiter fallen. Jetzt wurde es eng. Er streckte die Krallen aus, drehte die Flügel und zugleich den Körper. Seine Krallen streiften kurz den Boden, dann schoss er nach oben, den Schwung seines Sturzes nutzend. Langsam glitt er zwischen den Stämmen hindurch. Es wurde langsam Zeit umzudrehen, aber Kōtarō genoss es noch zu sehr. Also beschloss er, noch bis zu dem kleinen Bach in der Gegend zu fliegen. Das müsste ihm eine Weile genügen. Leise setzte der Regen ein, bloß ein Nieseln. Für die Eule spielte das keine Rolle, er flog weiter seinem Ziel entgegen. Der Regen wurde stärker, wie Nadeln prasselten die Tropfen auf Rücken und Flügel des Gestaltenwandlers. Jetzt könnte er den Bach zwischen den Bäumen erkennen. Sanft glitt er in die Schlucht und dann über dem grauen Wasser entlang. Da fiel ihm eine kleine Felsspalte auf. Er folgte dem Riss, der immer breiter wurde, und schließlich unter der Wasseroberfläche verschwand. Tu es nicht, viel zu gefährlich. Du weißt, dass es eine dumme Idee ist und Keiji ist nicht hier um dich zu retten, wenn du es doch tust. Also denk nicht mal dran. Natürlich hörte Kōtarō nicht auf die Stimme, wie gewohnt. Er ließ sich auf die Wasseroberfläche sinken und verwandelte sich. Sich an dem Fels abstützend, glitt er tiefer in das kalte Nass. Dann tauchte er endgültig ab.

P.o.V. Keiji

Keiji erwachte, weil ihm kalt war. Nicht, dass er ernstlich fror, nur fehlte eine große, muskulöse Wärmequelle im Bett. Er schlug die Augen auf und sah sich um. Offensichtlich war Kōtarō bereits aufgestanden. Müde setzte Keiji sich auf, gähnte, streckte sich. Dann lauschte er. Es war still in der Hütte. Zu still. So still, dass das Gefühl, etwas konnte ganz und gar nicht stimmen, langsam aber stetig wuchs. "Kōtarō?" Der Meermann schwang die Beine aus dem Bett und tapste ins Bad. Auch hier war keine Spur von seinem Freund. Also lief er zurück in den Wohnraum und zog sich an. Ein paar Schritte und er war beim Fenster. Unruhig drückte er die Matte nach oben. Sofort schlug ihm eine Windböe den Regen ins Gesicht. Genervt wischte er sich über die Augen und spähte hinaus. Wo zur Hölle konnte er nur sein? Nebel lag über dem Dorf und trotz der warmen Luft war es merkwürdig kühl. Keiji wollte schon die Matte fallen lassen und sich auf die Suche nach Kōtarō machen, als er aus dem Augenwinkel einen Schatten wahrnahm. Eine riesige Eule kam auf ihn zugeflogen. Klatschnass und zerzaust, aber mit einem Funkeln in den gelben Augen. Erleichtert hob er die Matte höher und trat etwas von der Öffnung weg, damit sein Freund genug Platz zum Landen hatte. Die Eule schoss in das kleine Zimmer und kam auf den Dielen auf. "Hey. Wo warst du?" Kōtarō verwandelte sich zurück. "Wollte mal meine Flügel ausstrecken. Keiji, ich habe einen wundervollen Ort entdeckt! Lass uns schnell was essen, ich muss dir das zeigen." Keiji lächelte. "Gut." Du hast mir eine verdammte Angst eingejagt, du rücksichtslose Eule! Dir hätte wer weiß was passiert sein können. "Hey, Ko." Das Luftwesen griff sich eine Hose. "Ja?"
"Sag mir Bescheid, wenn du irgendwo hingehst."
"Aber du hast geschlafen. Ich wollte dich nicht wecken."
"Du könntest auch einen Zettel schreiben." Kōtarō drehte sich um, den inzwischen vertrauten Ausdruck auf seinem Gesicht. Sorge. "Alles in Ordnung, Arielle?"
"Ja. Nein. Ich hab mir Sorgen gemacht."
Kōtarō lächelte.  "Dann schreibe ich dir ab jetzt Zettel." Er strich Keiji durch die Haare und beugte sich hinunter um ihn kurz zu küssen. "Gut." Die Eule grinste und griff nach seiner Hand. "Dann lass uns frühstücken!"

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