Kapitel 16

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P.o.V. Kōtarō

Als er die Augen aufschlug, war das Erste, das Kōtarō wahrnahm, der warme Atem Keijis in seinem Nacken. Sofort stahl sich ein Lächeln auf seine Lippen, und der Gestaltenwandler drehte sich vorsichtig um. Sein Freund war so unfassbar niedlich wenn er schlief! Zugleich sah er aber auch zu keinem anderen Zeitpunkt so verletzlich aus. Es war wie ein Fluch, der auf seiner Arielle lag, eine Last, die es zu tragen galt. Kōtarō wünschte sich nichts lieber, als Keiji davon befreien zu können. Doch das war etwas, das er allein tun musste. Ein letzter Schatten, den die unfähigen Eltern auf der reinen Seele eines kleinen Jungen hinterlassen hatten. Eines Jungen, der immer nur eines hatte haben wollen: eine Familie, die ihn liebte für das, was er nun einmal war. Keiji blinzelte. Verschlafen sah er zu Kōtarō hinauf und lächelte. "Guten Morgen. Gut geschlafen?" Die Eule nickte, in einem Versuch, seine Gedanken wieder zurück hinter die anderen zu drängen, wo sie hergekommen waren. "Ja, sicher. Und du? Ausgeschlafen?" Der Meermann räkelte sich zufrieden und gähnte ein kaum verständliches: "Und wie!". Lächelnd wuschelte das Luftwesen ihm durch die Haare. "Na dann! Ich gehe mich schnell umziehen." Er schwang seine Beine aus dem Bett, doch Keiji hielt ihn auf. "Ich habe doch gestern gesagt, du sollst dich hier umziehen." Kōtarō merkte, wie ihm die Röte in die Wangen stieg. "Aber..." Das Wasserwesen grinste. "Jetzt mach einfach!" Immernoch nicht ganz einverstanden, warf der Größere ihm einen Blick zu. "Dreh dich wenigstens um!" Unzufrieden brummend drehte Keiji sich zur Wand. "Dabei habe ich dich doch sowieso schon nackt gesehen! Ist ja nicht so, als wäre das was Neues. Außerdem hatte ich gehofft, dich ein bisschen anschmachten zu können, aber mein Freund scheint nicht viel davon zu halten. Also liege ich hier stumpf rum und sehe mir die Wand an. Das ist kein Problem für mich, die Wand ist optisch sehr vielseitig. Sie hat einen Kugelschreiberfleck, ein paar Dellen und eine mit Edding geschriebene E-Mail-Adresse. Hach, diese ansonsten weiße Wand! Nichts würde ich lieber tun, als sie von morgens bis abens zu begutachten." Wie konnte man direkt nach dem aufwachen nur so viel Stuss reden? Keiji war wirklich besonders. Lächelnd erwiderte die Eule: "Auch nicht deinen noch halb unbekleideten Freund anschauen, der gerade in eine andere Richtung schaut und es deshalb nicht merken würde?" Sofort hörte Kōtarō das Rascheln der Bettdecke, als der Jüngere sich umdrehte. "Ich weiß nicht...", gab er zu bedenken. Der vom Luftvolk warf einen Blick zu ihm, der Meermann starrte hemmungslos auf seine Brust. "Jetzt schau nicht so! Du hast gesagt, es wäre egal, weil du den Anblick schon kennst. Kein Grund also, so zu glotzen." Doch der Andere streckte nur eine Hand aus und zog ihn zu sich. "Jetzt, wo du endlich offiziell mir gehörst, soll ich dich also nicht ansehen, ja?" Die Stimme hatte einen etwas zu erotischen Unterton angenommen, wodurch jedes Wort viel intensiver als normal bei Kōtarō ankam. "Nein, ich denke, jetzt werde ich ganz einfach nicht mehr aufhören, dich offensichtlich anzuschmachten. Denn solange du vergeben bist, kann das dann keiner übersehen." Mit leichten Berührungen strich Keiji über die Bauchmuskulatur des Luftwesens. "Sag mal, waren da schon immer so viele Muskeln? Bei unserer ersten Begegnung kam mir das noch weniger vor." Keijis Finger hinterließen ein Kribbeln auf seiner Haut. "Ich bezweifle, dass sich in der letzten Woche groß etwas geändert hat.", gab Kōtarō zu bedenken. "Ja, kann schon sein. Aber trotzdem: Ich habe den Eindruck, mit jedem Tag wirst du irgendwie hübscher. Wie machst du das?" Der Vogelmann erötete. "Jetzt hör schon auf, das stimmt doch garnicht! Ich bin nicht hübsch." Keiji setzte sich ruckartig auf. "Sag das nie wieder. Ich kann es nicht haben, wenn schlecht über meinen Freund geredet wird." Die Art und Weise, wie er ihn als seinen Freund, sein Eigentum bezeichnete, verursachte ein merkwürdiges Gefühl in Kōtarōs Magengegend. "Keiji. Ich...", setzte die Eule an. "Ich weiß. Ich dich auch.", erwiderte der Meermann. Als hätte er gemerkt, dass es der Eule noch immer schwerfiel, darüber zu reden. Lächelnd ergriff der Kleinere seine Hände. Dieser Blick, wie er von unten zu ihm hochblickte, machte den Eulenmann wahnsinnig. Das Wasserwesen beugte sich vor und drückte ihm einen Kuss auf den durchtrainierten Bauch. "Ich zieh mich dann jetzt auch um. Meinetwegen darfst du mir auch dabei zuschauen." Kōtarō runzelte die Stirn. "Was willst du denn anziehen? Außer den Sachen von Kenma hast du doch nur die Badehose, oder nicht?" Sein Freund stand auf und nahm sich die Badehose. "Ja, stimmt schon. Aber ich kann doch schlecht Kleidung mitnehmen, die mir nicht gehört."
"Und deshalb willst du in Badehose fahren? Ich rufe gleich einen Kumpel an, der bringt uns zu mir nach Hause, und sage ihm, er soll uns vorher noch Kleidung kaufen lassen. Damit du wenigstens irgendetwas Gescheites zum anziehen dahast."
"Ist doch nicht nötig!"
"Doch, das ist es."
Schmollend schob Keiji die Unterlippe vor.
"Bist du jetzt beleidigt? Komm schon, gute Anziehsachen sind wichtig und shoppen macht... manchen Leuten sogar Spaß!"
Der Meermann grinste. "Das klingt, als zählst du dich nicht dazu."
"Stimmt. Für mich ist das nichts. Aber vielleicht macht es mehr Spaß, wenn es dabei nicht um mich geht." Das Wasserwesen streifte sich das Oberteil über den Kopf. Für einen Moment war Kōtarō zu überwältigt um rot zu werden oder wegzusehen und starrte gebannt auf die helle, nackte Haut. Dieser zerbrechliche Körper, die Muskeln, die sich nur ganz leicht abzeichneten. "Aber du darfst glotzen?" Die Eule zog eine Augenbraue hoch. "Du hast doch auch geguckt." Provozierend lehnte sich Keiji zurück und begann, an den Bändern der Jogginghose zu hantieren. Scheinbar hatte er sie etwas zu fest zugeknotet. Als er schließlich frustriert seufzte, erbamte der Vogelmann sich seiner. "Komm her, ich helfe dir." Der Meermann schlurfte zu ihm und Kōtarō kniete sich hin, um besser arbeiten zu können. Die Bändel waren wirklich sehr fest verknotet. Nach ein paar Versuchen beugte er sich vor und grub seine Zähne in den Kneul. Die Nähe zu Keijis Mitte auszublenden, war dabei die größere Herausvorderung. Dann spürte er die langen Finger Keijis in seinen Haaren. Der Gedanke an den Anblick, den sein Freund gerade haben musste, ließ der Eule die Hitze in die Wangen schießen. Endlich löste sich der Knoten. Als er zu dem Wasserwesen hoch sah, war auch in seinem Gesicht eine Spur von Röte zu erkennen. Schnell ließ sich Keiji zu ihm auf den Boden sinken und küsste ihn. Als sie sich wieder von einander gelöst hatten, grinste Kōtarō. "Ich glaube, du magst einfach keine Hosen und willst deshalb nicht mit mir shoppen."
"Lass uns frühstücken gehen." Die Eule griff nach seiner Hand, bevor der Meermann aufstehen konnte. "Du bist süß, wenn du rot wirst." Prompt verdunkelte sich Keijis Gesichtsfarbe. "Idiot!", nuschelte er. Lächelnd folgte Kōtarō seinem Freund aus dem Raum.

Complete my World (BokuAka)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt