Kapitel 35

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P.o.V. Keiji

"Wer? Wer hat Keiji wiederbelebt?" Kōtarōs Blick war alles andere als dankbar, als er vor seiner Familie auf und ab schritt. Akinori und Haruki sahen sich an. "Das war ich.", sagte Haruki und trat vor. Kōtarō umarmte seinen Bruder. "Vielen Dank." Keiji beobachtete das Geschehen belustigt. "Du, Haruki."
"Ja?" 
"Wenn deine Lippen noch einmal in die Nähe von Keijis kommen, dann-"
"Kōtarō!" Die Eule zuckte zusammen, als der Ruf seines Freundes ihn unterbrach. "Aber Keiji, ich meine es ernst!"
"Er hat mir das Leben gerettet! Hör auf eifersüchtig zu sein, er ist dein Bruder." 
"Tut nichts zur Sache.", grummelte Kōtarō. Keiji lachte. "Jetzt hör auf, ihn so mit deinen Blicken zu durchbohren. Komm her." Kurz zögerte die Eule, ergab sich dann aber. "Schon gut, ich höre ja schon auf." Er schlurfte zu Keijis Stuhl und setzte sich neben ihn auf den Boden. Der Meermann beugte sich hinunter und flüsterte: "Sweety sollte Daddy besser gehorchen, nicht, dass er noch bestraft wird." Kōtarō blickte auf. "Das würdest du nicht wagen." 
"Wir werden sehen." Misstrauisch musterte das Luftwesen seinen Partner. "Schau mich nicht so an, das macht mich ganz nervös!" Keiji wuschelte ihm durch die Haare. "Hey! Weißt du, wie lange ich für die Frisur gebraucht habe?" 
"Nicht wichtig, du siehst immer gut aus."
"Heute wieder schlagfertig unterwegs, was?" 
"Wieso heute?" Ein glockenhelles Lachen ließ Keiji aufblicken. Ein junges Mädchen stand auf der Brücke neben dem Platteau. "Hi." Sie hatte eine leichte, melodische Stimme. Als würde sie jedes Wort singen. "Ich komme für Xioin. Sie sagt, es ist die letzt Chance. In zwei Stunden komme ich wieder." Mit diesen Worten drehte sie sich um und sprang über das Brückengeländer. Wer zur heiligen Makrele war Xioin? Auch die restliche Familie schien verwirrt. "Kōtarō, wer ist-" Keiji unterbrach sich, als er Kōtarōs Blick sah. "Ko?", fragte er vorsichtig. Doch der starrte versteinert auf die Brücke, wo das Mädchen verschwunden war. Hoshis Stimme zerschnitt die Luft wie eine Guillotine. "Kōtarō. Was hat Xioin gesagt? Warst du gestern beim Rat?" Ihr Sohn nickte. "Keiji- Nein, wir beide- wir beide müssen weg. Wir sind hier nicht länger erwünscht." Bitte was? Entsetzt sah Keiji sein Sweety an. "Ko, erkläre das." Die Eule schluckte. "Wir müssen den Wald in zwei Stunden verlassen haben, sonst werden wir gewaltsam entfernt." Ach du- Wer war diese Xioin? Wieso besaß sie die Macht, Menschen aus dem Dorf zu schmeißen? "Exil?", fragte Akinori heiser. "Sie nannte es Beurlaubung." Takeyuki lachte trocken. "Typisch. Was wirst du tun?" Meines Wegs mich verziehn. Keiji, das ist nicht der richtige Moment, um Peer Gynt zu zitieren! Was könnten sie tun, wo konnten sie hin? "Ich werde Tsukki und Kuroo fragen. Vielleicht haben sie Platz für uns." 
"Nein."
"Nein?"
"Nein. Wir gehen zu mir. Meine Eltern haben das Haus sicher verlassen, das ist der letzte Ort, an dem sie mich erwarten würden."
"Keiji... Ich will nicht in das Haus. Die Leichen..."
"Ja, ich weiß. Aber sie haben eine Beerdigung verdient. Meinst du nicht auch?" Kōtarō nickte. Die restliche Familie sah von einem zum anderen, unsicher, was sie von der Situation halten sollten. "Ich glaube nicht-", begann Haruki, aber Kōtarō unterbrach ihn. "Fein." Er sprang auf. "Komm, Arielle. Lass uns packen."

P.o.V. Kōtarō

"Also, die Alte hat Geld und bezahlt den Rat dafür, dass sie sich auf ihre Seite schlagen?"
"Jup. Keiner der Säcke käme auf die Idee, dich rauszuschmeißen. Oder mir mit Verbannung zu drohen. Tja, aber jeder ist bestechlich, der Preis muss nur stimmen." Keiji blickte neugierig auf. "Wie viel würde es kosten, wenn man dich bestechen wollte?" Kōtarō lachte. "Kommt drauf an, worum es geht."
"Einen Mord?"
"Hm. Da wäre es wohl eine Villa. Oder sie würden dich entführen, um dich wiederzubekommen würde ich auch Morden."
"Das ist dumm. Tu sowas nicht."
"Aber wenn sie mir drohen, dich umzubringen?"
"Wenn sie dich angeheuert haben, um jemanden umzulegen, werden sie selbst niemanden töten." Das leuchtete ein. "Ja, stimmt wohl." Er warf Keiji ein weiteres Shirt zu, das er mitnehmen wollte. Keiji stopfte es in den bereits prallgefüllten Rucksack. "Wie fahren wir eigentlich? Ich meine, gibt es einen Zug in der Nähe oder so?", wollte Keiji wissen. "Nein. Aber weißt du, die alte Xioin hat ein Auto. Lass uns ihr zum Abschied noch eins auswischen, ja?" Keiji grinste, in seinen Augen lag ein Funkeln, dass Kōtarō noch nie zuvor gesehen hatte. "Klingt gut." Die Eule sah weiter durch den Kleiderschrank. Plötzlich stießen seine Finger auf einen merkwürdigen Stoff. Was war das- oh. Ah ja. Das musste auch mit. Kōtarō schnappte sich das Kleidungsstück und warf es Keiji zu. "Nein."
"Hey, ich will es mitnehmen!"
"Ich nicht."
"Bitte, Keiji."
"Auf keinen Fall. Der Rucksack ist schon so schwer genug."
"Aber-"
"Hör auf Daddy, ja?"
"Pfft, ich will nicht. Wir nehmen das mit!"
"Nein!" Keiji schmiss das Kleid zurück. "Lass das, es darf nicht kaputt gehen."
"Ich habe gesagt, ich ziehe das nie wieder an."
"Dabei stand es dir so gut." Schmollend legte Kōtarō das Maidoutfit zurück. "Jetzt schmoll nicht! So gut sah das echt nicht aus." Doch. Das war perfekt gewesen. Wunderschön. "Ko?"
"Hm?"
"Warum... Warum warst du nicht sauer?"
"Wegen was?"
"Ich weiß nicht... In Geschichten sind die Charaktere immer super wütend wenn der andere fast gestorben wäre."
"Gute Frage. Ich glaube, ich war einfach nur total erleichtert. Außerdem hat es mich irgendwie beruhigt, dass du damit so entspannt umgegangen bist. Und die Sache mit dem Sweety, das hat mich ziemlich umgehauen."
"Verstehe."
"Willst du, dass ich wütend werde?"
"Oh Gütiger, bitte nicht!"
"Grund genug hätte ich. Ich meine, die Gegend ist nicht so sicher wie du denkst! Schonmal an die anderen Luftwesen hier gedacht, die nicht so tolerant sind? Oder die Erdwesen?"
"Tut mir leid.", murmelte Keiji kleinlaut. "Hmm. Aber warum bist du nicht sauer?"
"Ich?" Der Meermann sah ihn verwirrt an. "Warum sollte ich?"
"Weil wir gerade rausgeschmissen werden?"
"Ach so. Aber das ist mehr meine Schuld als deine, nicht? Außerdem zwinge ich dich dazu, ins Ferienhaus mitzukommen." Kōtarō drehte sich um. "Ich glaube, wir haben alles." Keiji lächelte. "Gut." Er stand auf und nahm die Hand seines Freundes. "Mir ist gerade nämlich was Schreckliches aufgefallen."
"Und was?" Keiji zog ihn näher zu sich und gab ihm einen sanften Kuss. "Das haben wir schon seit einer Ewigkeit nicht mehr gemacht."

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