Kapitel 37

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P.o.V. Keiji

"Komm Ko, jetzt schmoll nicht. Ist okay, ich habe nichts dagegen, wenn du mir Komplimente machst."
"Ja, schon klar. Hättest du nicht wenigstens sagen können, dass du zuhörst?" Keiji verkniff sich ein Lachen, das hätte Kōtarō nur noch mehr in Verlegenheit gebracht. "Na komm, fahren wir weiter. Ich habe uns was zu essen gekauft, während du geschmollt hast." Kōtarōs Magen knurrte verräterisch. Lächelnd sprang Keiji zu seinem Freund, der den Kopf noch immer in den Armen vergraben auf dem Lenkrad liegen hatte, ins Auto. Er stellte Kōtarōs Kaffee und die Brottüte auf das Armaturenbrett. Sein eigenes Getränk öffnete er. Tatsächlich war die Oberfläche vollständig gefroren. Keiji stieß den beiliegenden Strohhalm auf das Eis. Ein paar kleine Risse bildeten sich. So ging das also. Er hämmerte weiter darauf ein, bis der Halm schließlich durch die Eisschicht brach. Geschafft! Zufrieden zog Keiji an seinem Kaffee. Der war wirklich kalt. Wahnsinns Erkenntnis Keiji, ganz toll. Dann hörte der Meermann ein Geräusch neben sich. Kōtarō hatte sich den eigenen Kaffee geschnappt und stocherte darin herum. "Und, fertig geschmollt?" Kōtarō grummelte etwas unverständliches und widmete sich seinem Kaffee. Nachdem sie eine Weile so gesessen hatten, drehte Kōtarō sich doch zu ihm. "Sind das Bagel?" Keiji grinste. "Donuts. Ich hab noch nie welche gegessen, da wollte ich das mal versuchen." Kōtarō sah ihn an und lächelte. Dann beugte er sich vor. Sanft legte er seine Hand auf die Wange des Schwarzhaarigen und sah ihm in die Augen. "Wenn du dich freust oder aufgeregt bist, dann bekommen deine Augen dieses Funkeln. Ich liebe das." Kōtarō gab Keiji einen Kuss. Keiji legte eine Hand unter das Kinn der Eule und vertiefte den Kuss noch ein bisschen. Es war wirklich schön, sich einfach nur auf die Gegenwart zu konzentrieren. Jetzt gerade gab es nur ihn und Ko. Sie könnten machen was immer sie wollten und es würde niemanden stören. Keiji löste sich von seinem Freund und lächelte. "Ich liebe dich auch." Kōtarō wuschelte ihm durch die Haare und grinste. "Wenn es auf der ganzen Welt nur ganz einfache Menschen gäbe, also keine Gestaltwandler, wäre dann alles nicht viel einfacher?" Interessante Frage. "Aber auch viel langweiliger, oder? Ist schon fast abenteuerlich, was alles passiert, nur, weil wir zwei Hirnis beschlossen haben, dass es uns wichtiger ist zusammen zu sein als ein Zuhause zu haben. Ich meine, wir haben bei mir gewohnt, bei den Katzen, bei dir und jetzt gehen wir wieder zu mir. Und dabei haben wir unter Beschuss gestanden, zwei Katzen verkuppelt, haben versucht einzukaufen, viel zu tiefgründige Gespräche geführt, eine Beziehung angefangen, das Bett geteilt, ein Maidoutfit getragen- wobei mir einfällt, dass das nur ich war und das echt unfair ist-, Volleyball trainiert, eine Unterwasserhöhle erkundet, sind aus dem Dorf geschmissen worden, haben ein Auto geklaut, die Verfolger abgehängt und uns unzählige Male das Leben gerettet. Und dabei kennen wir uns noch nicht einmal so lange." Kōtarō sah ihn nachdenklich an. "Stimmt. Das ist mehr, als die meisten Menschen von sich behaupten können. Wir sind schon schräg." Keiji lachte. "Ohne Zweifel."

P.o.V. Kōtarō

Das Haus sah noch genauso aus, wie er es in Erinnerung hatte. In der sanften Nachmittagssonne schienen die Fenster zu leuchten. So wunderschön und friedlich lag es da, als hätte es jenen Tag nie gegeben. Sie konnten sich wirklich glücklich schätzen, dass Keijis Mutter nicht die beste Schützin war. "Hey. Wenn es dir zu viel ist, kann auch ich erstmal unser Gepäck reinbringen. Dann versuchen wir es später."
"Nein, ist schon gut. Ich schaffe das." Das letzte, was er jetzt wollte, war, hier allein gelassen zu werden. Keiji strich ihm beruhigend über den Arm. "Okay." Sie verließen das Auto und Kōtarō lief nach hinten um das Gepäck zu holen. Keiji kramte unterdessen den Schlüssel aus einem Gebüsch. "Bereit?" Kōtarō nickte zögerlich und zwang sich, sein innerliches, panisches Schreien nicht nach außen zu lassen. Quälend langsam öffnete Keiji die Tür. Vorsichtig sah die Eule sich um. Er hatte alles noch genau vor Augen, bis auf... diesen riesigen Kratzer in der Wand, der sich von der Mitte des Flures bis zur Haustür zog. Er drehte den Kopf und sah den gesplitterten Türrahmen. Es musste eine der Kugeln gewesen sein, die einfach verfehlt und den Krater in die Tapete geschlagen hatte. Gruselig. Hätte eines der Geschosse sie auch nur gestreift... Was ein Schweineglück sie doch gehabt hatten. Er lief weiter, um Keiji nicht aus den Augen zu verlieren. "Ich hatte ganz vergessen, dass man am Zimmer deiner Eltern vorbei muss." Vergessen war vielleicht das falsche Wort. Eher war es ihm nicht bewusst gewesen. "Sag mal, Ko, soll ich die Tür zunageln? So haben wir ein bisschen Abstand zu dem Raum und allem." Sollte er? Wäre das gut? Eigentlich nicht die schlechteste Idee, nur... "Ich glaube, es ist besser, wenn wir das lassen. So kann man, wenn die Paranoia zu extrem wird, immer noch in das Zimmer gehen. Um zu sehen, dass es da nichts Schlimmes mehr gibt." Keiji nickte. "Gut, dann machen wir das so." Kōtarō streckte seine Hand aus und strich über die seines Freundes. Keiji zuckte ein bisschen zusammen, drehte dann aber den Kopf und lächelte. "Wir schaffen das schon. Wir schaffen alles, oder nicht?" Die Eule sah seinen Freund an und schaffte auch ein schwaches Lächeln. "Ja. Natürlich. Es ist ja auch eigentlich keine große Sache. Wir müssen hier nur wohnen." Der Meermann nahm seine Hand und drückte sie sanft. "Genau. Keine große Sache. Wir haben schlimmeres überstanden." Kōtarō sah auf, und in einem kurzen Moment einen sehr verwirrenden Gefühlsmisch in dem Ausdruck seines Freundes. Sorge und Angst, Liebe und etwas sehr Beschützerisches, Wut, Panik- wenn auch nur wenig-,  Entschlossenheit und Schmerz. Und da ging ihm auf, dass nicht nur er um jeden Preis dieses Haus vermieden hätte. Keiji war nicht weniger traumatisiert, er hatte an jenem Tag herausgefunden, dass seine Eltern Massenmörder waren. Warum hatte er das nur vorher nicht so gesehen? Mit einem Satz war er bei seinem Freund und schlang die Arme um ihn. "Tut mir leid. Tut mir leid. Tut mir leid. Tut mir leid. Tut mir leid." Keiji strich über seinen Rücken. "Muss es nicht. Ganz egal, was es ist, das muss dir nicht leid tun." Kōtarō drückte den Meermann etwas fester an sich. "Ich habe es nicht gesehen. Dass du auch deine Probleme mit dem allen hast. Ich habe es nicht gesehen. Es tut mir leid, ich bin nutzlos als Freund."
"Nein. Du bist der beste Freund auf der Welt. Und wenn du es gemerkt hättest, wären wir jetzt nicht hier. Wir können nichts aufarbeiten, wenn wir in einem Hotel sitzen und Angst haben herzukommen." Kōtarō sah ihn an. "Also wird das sowas wie eine Therapie?" Keiji grinste zu ihm hoch. "Das man nach der kurzen Zeit schon Therapien braucht, spricht nicht gerade für uns." Kōtarō grinste zurück. "Komm, lass uns auspacken."

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