Kapitel 39

79 8 4
                                    

P.o.V. Kōtarō

Wie dumm konnte man eigentlich sein? Es war doch klar gewesen, dass es nicht funktionieren würde. Mal ganz abgesehen von der Tatsache, dass sie beide offenbar ganz schön Druck hatten, sprach absolut alles dagegen, es heute Nacht zu tun. Hinter der nächsten Wand lagen Leichen, was ein unbestreitbarer Abturner war. Keiji war betrunken, es war spät und sie waren erschöpft. So sonderlich viel würde hierbei nicht herumkommen. Und doch hatte Kōtarō das Maidoutfit an. Ja, er begann Keiji zu verstehen. Der Rock war kurz und insgesamt war er etwas zu muskulös für das Kleid. Besonders an den Schultern und dem Rücken spannte der Stoff. Kurz, es war unangenehm. Kōtarō spähte aus dem Bad in das Zimmer seines Freundes. Keiji lag auf dem Bett, die Tür zum Badezimmer fest im Blick. Ahh, eingeschlafen war er also nicht. Tja, da blieb ihm das heimliche Entkommen auch nicht. "Ko, ich seh dich. Komm raus." Die Eule unterdrückte ein Seufzen und trat in den Raum. Keiji musterte ihn mit einem seltsam gleichgültigen Blick. "Äh, Keiji, ich... würde es ungerne anbehalten." Der Meermann grinste. "Komm her." Er klopfte mit einer Hand auf die Matratze. Langsam näherte Kōtarō sich, schob ein Knie auf das Bett, um Keiji nicht aus den Augen lassen zu müssen, wenn er sich setzte. Sein Freund streckte die Hand aus und fuhr sanft über das nackte Bein. "Hmm, sag mir, Kōtarō, was gefällt dir so an dem Outfit?" Die Eule versuchte nachzudenken, was ungemein schwer war, in dem momentanen Zustand. Hinzu kam die Hand Keijis, die sanft Kreise auf sein Bein malte, wobei sie sich immer höher schob. "Äh, nun ja, ich... Ich weiß nicht... Es ist die... die Nacktheit? Denke ich zumindest." Keiji sah ihn an. Die vom Alkohol trüb wirkenden Augen trafen auf seine und erinnerten ihn an das Meer an jenem regnerischen Tag, der noch nicht allzulange zurück lag. "Also gefällt dir daran, dass es einfach auszuziehen ist." Kōtarō schüttelte den Kopf. "Nein, es ist das Gefühl von Nacktheit, das der andere in dem Moment empfindet. Das Wissen darum, dass es nur einen Windzug aus der falschen Richtung bräuchte, die Scham, das Bedürfnis, mehr zu bedecken." Keiji sah ihn scharf an. "Also das Unwohlsein des Partners." Kōtarō schluckte. "In... In gewisser Weise. Aber ich würde mich schlecht fühlen, den anderen dazu zu zwingen. Es muss noch immer seine Entscheidung sein." Der Meermann schloss die Augen. "Das ist so widersprüchlich." Er schlug die Lider wieder auf. "Ko, ich will ehrlich sein. Am liebsten würde ich dich gerade am Bett festbinden und auf eine Art und Weise entjungfern, die dir für immer im Gedächtnis bleibt. Bedauerlicherweise bin ich betrunken und kann nicht mit Sicherheit sagen, dass ich mich morgen daran erinnern würde, und das wäre nun wirklich schade." Kōtarō blinzelte ein paar Male, bis er realisierte, was Keiji eben gesagt hatte. Ihm stieg die Röte in die Wangen. "Außerdem sind die Umstände nicht die besten. Ich würde mich sehr gerne mit dir darauf einigen, dass wir das nachholen, sobald wir alles Wichtige geregelt haben. Zitier mich, sollte ich mich nicht erinnern, das gesagt zu haben." Kōtarō starrte ihn an. "Du, Keiji... Ich... Äh..." Der Gestaltwandler räusperte sich. "Ich bin froh, dass ich von dir und nicht von einem anderen Meermann gerettet wurde." Keiji schmunzelte. "Jeder andere hätte dich absaufen lassen."
"Ich liebe dich."
"Ich dich mehr."
"Glaubst du das?"
"Ja, von ganzem Herzen." Lächelnd beugte sich die Eule vor und küsste den Meermann. "Träum weiter, Arielle."
"Und du zieh dich um und komm ins Bett, bevor ich es mir anders überlege und ein Windzug aus der falschen Richtung kommt." Kōtarō tat, wie ihm geheißen, doch als er zurückkam, schlief Keiji bereits. "Ich liebe dich mehr. Ich verdanke dir mein Leben. Irgendwann bist du ein Bokuto... irgendwann bist du mein Bokuto."

P.o.V. Keiji

Das Licht fiel wie Blitze durch die Fensterläden in das dunkelblau gestrichene Zimmer und bohrte sich durch Keijis Augenlider. Sie drangen noch weiter, durch die Höhlen ins Gehirn, wo sie einen stechenden Schmerz auslösten. Der Mann hob die Hand und legte sie sich an den Kopf. "Urgh,", stöhnte er. "Hey, guten Morgen.", hauchte leise eine vertraute Stimme neben ihm. "Bleib einfach liegen solange du es brauchst. Und sag mir, wenn ich dir was bringen kann." Gott verdammt, hatte er nicht den besten Boyfriend der Welt? "Ko, kannst du... Die Fenster zuhängen oder so?" Die Matratze bewegte sich etwas, als die Eule aufstand. Kurz darauf verschwanden die Blitze. Keiji schlug die Augen auf. Das Zimmer war in dämmeriges Licht gehüllt, gerade hell genug, um die Einzelheiten Kōtarōs Gesicht sehen zu können. "Danke." Kōtarō lächelte. "Kein Ding. Ich hab dir Wasser und eine Aspirin neben das Bett gelegt. Soll ich Frühstück machen?" Keiji setzte sich vorsichtig auf. "Ich weiß nicht- Uhh." Er zuckte zurück, als der Druck auf seinem Kopf sich verschlimmerte. "Ich hab Hunger, aber noch ist mir nicht nach essen."
"Habe verstanden. Noch kein Frühstück, aber bald." Der Meermann lächelte. "Ja, genau." Er warf einen Blick auf den Nachttisch neben ihm, um die Aspirin zu finden. Da! Er griff nach dem Medikament und warf es in das Wasserglas. "Ich hasse mich, wenn ich betrunken bin." Kōtarō setzte sich wieder auf die Bettkante. "Wie kommt's? Ich meine, gibt es sowas wie Alkohol Unterwasser?" Keiji nahm einen Schluck von dem helfenden Getränk. "Ja, sicher. Alkohol ist leichter als Wasser, wir haben bestimmte Wege es in Kuppeln zu fangen. Die kosten Eintritt, es wird außerdem die Menge kontrolliert, die du zu dir nimmst."
"Cool."
"Joa, außer, du willst dich abfüllen. Da ist das eher unpraktisch." Kōtarō zog die Brauen zusammen. "Wolltest du dich mal abfüllen?" Keiji biss sich auf die Lippe. Kritisches Thema. "Mit Freunden. Grenzen austesten und so." Die Eule nickte. Glück gehabt, Keiji hatte wenig Lust, mit seinem Freund über seinen Ex zu sprechen. "Du, Keiji, mir ist da was aufgefallen."
"Und was?" Die Aspirin begann langsam zu wirken. "Wir haben keine Kosenamen."
"Wie meinst du?"
"Na ja, neben Arielle und Ko, die ja Spitznamen sind, haben Paare nicht Kosenamen für einander? Sowas wie Schatz oder Baby oder so?" Der Meermann schnitt eine Grimasse und ließ sich wieder tiefer in die Kissen rutschen. "Stimmt. Aber Schatz mag ich nicht."
"Wieso?"
"Das klingt, als wären wir... alt. Keine Ahnung, wie eine Generation vorher." Kōtarō nickte verstehend. "Was ist dann mit Baby oder Babe?" Keiji grinste. "Geht noch mehr Macho?"
"Ahh, mach's mir nicht so schwer!"
"Hmm, Sorry. Wie wär's mit Süßer?"
"Fühl ich mich seltsam bei."
"Also ist Sweety auch raus?"
"Für dich oder mich?", fragte Kōtarō vorsichtig nach. "Für dich natürlich."
"Und wie nenne ich dich dann?"
"Bleiben wir doch bei Daddy."
"Nope, keine Chance."
"Schade. Wobei es tatsächlich seltsam klingt." Kurz schwiegen beide, dann fragte Keiji: "Wenn Daddy raus ist, geht dann Master?"
"Nein."
"Chef?"
"Das willst du selber nicht."
"Argh, dann halt nicht. Einen Versuch war es wert." Kōtarō sah ihn schief an. "Du hattest nicht wirklich die geringste Hoffnung, dass ich fein mit 'Master' sein könnte, oder?" Keiji seufzte. "Irgendwie habe ich das Gefühl, ich bekomm gerade einen ziemlichen Tunnelblick, was die Namen angeht."
"Ja, es scheint, als verkehrst du in interessanten Kreisen."
"Hey, ganz ruhig, das klingt total falsch, wenn du das so sagst!" Ein schiefes Grinsen schlich sich auf das Gesicht der Eule. "So sollte es auch klingen."
"Hmmm, kommen wir nicht vom Thema ab."
"Gewonnen!", flüsterte der Große. "Ich hasse dich.", hauchte Keiji zurück. Kōtarō zog eine Augenbraue hoch. "Sicher?"
"Nein. Bedauerlicherweise nicht." Das dunkle Lachen war das schönste Geräusch, das der Meermann je gehört hatte. Er wusste nicht, wie es kam, dass er das gerade in diesem Moment wahrnahm; warum es ihm nicht früher aufgefallen war. "Keiji?"
"Ja?"
"Ich liebe dich." Das Wasserwesen lächelte seelig. "Ich dich auch, Ko, ich dich auch." Die Eule krabbelte zu ihm hinüber und sah ihm in die Augen. Er sagte nichts, stand einfach so da, auf Arme und Knie gestützt über ihn gebeugt. Keiji streckte die Hand aus und fuhr leicht Kōtarōs Gesicht nach. Die Wangenknochen, dass Kinn, die Lippen. Einen Augenblick verweilten sie in dieser Position, ohne sich zu bewegen, ohne etwas zu sagen. Dann brach das Verlangen über Keiji herein und er zog seinen Freund in einen lange andauernden, sanften Kuss. Alles um sie her verblasste in der Sekunde, in der ihre Lippen aufeinander trafen. Keijis Kopf war völlig leer, einzig die steten Bewegungen von Kōtarōs Lippen, die sanft gegen die seinen spielten waren da. Es kam ihm vor wie eine schöne, romantische Ewigkeit bis sie sich lösten, und Kōtarō die Stirn an die seine legte. "Wie wäre es-", begann sein Freund leise: "mit Häschen?"
"Nein.", erwiderte Keiji ebenso leise. "Mäuschen?"
"Nein."
"Fischli?"
"Nein!"
"Hmm." Kōtarō schien ernsthaft nachzudenken. "Hey, Ko."
"Hm?"
"Leg dich doch zu mir. Bitte." Der große Körper sank weich auf ihn herab und der Kopf schmiegte sich an seine Brust. Der Meermann legte schnell seine Arme um ihn, bevor Kōtarō noch auf solch eine blöde Idee kam, sich von ihm herunterzurollen und neben ihn zu legen. "Ist das nicht ungemütlich?"
"Nein, Sweety. Es ist gut."
"Das war mit Absicht!", murmelte Kōtarō, in einem supersüßen, empörten Ton. "Ja. Ich wollte wissen, wie es klingt."
"Okay, Schatzi. Wenn es weiter nichts ist."
"Hm. Sag mal, Liebster, möchtest du nicht Frühstück machen?"
"Für mein Herzblatt tu ich doch alles." Kōtarō machte Anstalten aufzustehen, ließ sich aber wieder sinken. "Du musst mich loslassen, Süßer." Widerwillig zog Keiji die Arme zurück. "Das klang schon eher nach dir, Hübscher." Kōtarō begann sich vom Bett zu rollen. "Und das klang nach dem Pedo in jeder Gay-Bar, Hasi." Keiji sah erstaunt auf. "Du warst in Gay-Bars, Babyboy?" Kōtarō drehte sich weg. "Hab es mal versucht, aber es gab nicht wirklich das, wonach ich gesucht habe, Schnuckel."
"Und wonach hast du gesucht, Ko?"
"Nach Arielle natürlich." Er warf ihm noch ein Lächeln über die Schulter zu, bevor er den Raum verließ. Nach Arielle. Warum auch immer eine Eule in einer Gay-Bar Arielle suchen sollte.

Complete my World (BokuAka)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt