Kapitel 10

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P.o.V. Bokuto

Bokuto rannte, wie er noch nie gerannt war. Akaashi richtete sich auf seiner Schulter auf und klammerte sich an ihn, der Eulenmann spürte, wie das Meerwesen seine Beine um ihn schlang und nach Halt suchte. "Sie sind weg." Die Eule verlangsamte den Sprint, blieb aber nicht stehen. Akaashi drückte sich etwas von der Schulter weg und murmelte dem Luftwesen ins Ohr: "Da drüben steht ein Taxi. Lass uns weg fahren." Die sanfte Stimme jagte Bokuto einen wohligen Schauer über den Rücken. Wieso klang dieser Satz nach durchbrennen? "Ja, gute Idee." Er begann in die Richtung des Autos zu laufen. "Soll ich dich runterlassen?"
"Muss nicht sein. Eigentlich finde ich es gerade ganz schön."
Verdammt, dieser Junge!
"I...in Ordnung."
Akaashi lachte leise, als er das Stottern bemerkte. "Sag mal, Bokuto, wohin fahren wir jetzt eigentlich?"
"Eine befreundete Familie von Erdwesen lebt hier in der Nähe. Lass uns für eine Nacht da bleiben."
"Hm. Und was dann?"
Bokuto fuhr sanft mit den Fingerspitzen über den Oberschenkel des Meermannes und stellte zufrieden fest, dass er eine Gänsehaut bekam.
"Dann lernst du meine Familie kennen. Mein Haus ist groß genug für zwei, also kannst du da mit mir wohnen... Natürlich nur, wenn du willst.", beeilte sich die Eule zu sagen, doch Akaashi fuhr ihm nur durch die zweifarbigen Haare und murmelte leise: "Idiot! Natürlich will ich." Unwillkürlich musste Bokuto grinsen. "Ich setze dich jetzt ab, damit wir einsteigen können." Vorsichtig ließ die Eule ihn auf den Boden. Als er in das Gesicht des Jungen blickte, lief ihm ein Schauer über den Rücken. Er lächelte. Ein so offenes und befreites Lächeln, wie er es nie von dem Meermann erwartet hätte. "Äh...Akaashi?"
"Ja?"
"Wieso lächelst du so?"
Das Wasserwesen sah ihn schief an.
"Darf ich nicht?"
"Doch, natürlich, aber... es wurde eben noch auf uns geschossen! Wie kannst du jetzt schon wieder lächeln, ich..."
"Bokuto!", unterbrach ihn der Jüngere scharf. "Seit fünfzehn Jahren habe ich alles versucht, um von meinen Eltern wegzukommen. Und jetzt bin ich sie los, immer noch lebendig und habe noch jedes Körperteil. Besser noch: Ich habe eine Person an meiner Seite, die ich...", er stockte. "Die mir wichtig ist. Ich habe alles was ich wollte und noch mehr. Ich denke, ich habe Grund genug zu lächeln." Wenn er das so sagte, leuchtete es ein. "Na gut." Er öffnete die Autotür. "Nach dir, Arielle."

P.o.V. Akaashi

Für 'hier in der Nähe' fuhren sie ziemlich lange. Akaashi hatte ausreichend Zeit um über das Geschehene noch einmal gründlich nachzudenken. Eigentlich war es heute sogar ganz gut gelaufen. Obwohl der Andere das wohl nicht so empfand. Er sah zu Bokuto hinüber, der schweigend neben ihm saß und aus dem Fenster starrte. Die Eule hatte die Hände achtsam auf seinem Schoß verschränkt, ganz so, als wäre ihm kalt. Der Meermann streckte eine Hand aus und legte sie auf die des Älteren. Dieser blickte auf und lächelte ihn an.
"Akaashi?"
"Ja?"
"Darf ich dich was fragen?"
"Frag."
Bokuto sah auf das Knäuel aus Händen in seinem Schoß.
"Das... äh... das heute morgen..."
Heute morgen? Was meinte er? Fragend hob Akaashi eine Augenbraue.
"Also... bevor deine Alten kamen... was war das?"
Der Eulenmann wurde rot. Akaashi dachte nach. Noch bevor...? Oh! Die Sache im Bett. Das hatte er schon fast vergessen, über den ganzen Trubel. Eigentlich war das gar nichts gewesen. Es hätte vielleicht zu etwas werden können... war es aber nicht. "Ich denke, eine Umarmung.", antwortete er wahrheitsgemäß. Immerhin war es zu mehr nicht gekommen. "Und was sollte es sein?", fragte die Eule leise. Der Meermann schwieg. Sie wussten beide, was es hätte sein sollen. Der Fahrer meldete sich von vorne. "Die Straße wird hier zu schmal, ich kann euch nicht weiterfahren." Also stiegen sie aus und bezahlten- natürlich mit Akaashis Geld. Als der Fahrer mit dem Taxi weggefahren war, standen sie noch einen Moment da, ohne etwas zu sagen. "Wir... wir müssen hier entlang.", murmelte Bokuto und durchbrach so die Stille. Der Meermann folgte ihm, als er einen schmalen Trampelpfad betrat. "Stört es dich?", wagte Akaashi schließlich doch zu fragen.
"Stört mich was?"
"Dass wir unterbrochen wurden."
Die Eule blieb abrupt stehen.
"Ich habe dir doch schon gesagt, dass ich dich mag. Natürlich stört es mich, wenn uns jemand stört, wenn ich kurz davor bin dich zu...", er unterbrach sich. So war das also. Obwohl der Eulenmann so selbstbewusst und stark wirkte, hatte er in Sachen Liebe so wenig Erfahrung, dass er nicht offen damit umgehen konnte. "Bokuto. Sieh mich an." Das Luftwesen drehte sich zu ihm um. Mit einem Lächeln legte Akaashi eine Hand auf die Schulter des Großen. "Wieso holen wir das dann jetzt nicht nach?" Der Eule schoss die Röte ins Gesicht. Dieser einfache Satz machte ihn schon so verlegen? Da gab es wohl wirklich Nachholbedarf. Sanft strich der Meermann über die weiche Haut der Wange, fuhr unter dem Ohr Bokutos entlang und legte seine langen Finger schließlich in seinen Nacken. Die großen, gelben Augen waren weit aufgerissen und er sah Akaashi nervös an.
"Ich... ich habe..."
"Du hast noch nie irgendwen geküsst, oder?"
Der Vogelmann schüttelte den Kopf.
"Keine Sorge, es ist nicht so schwer. Tu einfach das, was sich richtig anfühlt."
"Und... wenn ich es nicht kann?"
Ein Grinsen schlich sich auf die Lippen des Meermannes.
"Sollte der unwahrscheinliche Fall eintreten, dass du nicht küssen kannst, werde ich es dir mit dem größten Vergnügen beibringen, glaub mir."
Das Gesicht der Eule wurde noch dunkler, wenn das noch irgendwie möglich war. Akaashi trat noch etwas näher an ihn heran, bis ihre Körper sich berührten, was Bokuto kurz zusammenzucken ließ. Der Meermann nahm die Hand von seiner Schulter und positionierte sie stattdessen auf seinem Rücken. Die Arme des Luftwesens schlangen sich um Akaashi und zogen ihn noch enger an sich. Der Puls der Eule raste. Ein unkontrolliertes Zittern schüttelte Bokuto. "Entspann dich.", flüsterte der Meermann. Der Andere nickte. Sag es jetzt, befahl eine Stimme im Kopf des Kleineren. Noch ein Versuch. Er durfte sich nicht wieder aufhalten lassen. Allein der Gedanke daran löste schon das beklemmende Gefühl in der Magengegend aus. So direkt wie möglich sah Akaashi den Mann an, der aus noch immer weit geöffneten Augen zurückblickte. "Bokuto, ich liebe dich." Einen Moment lang stand Bokuto einfach nur da und schien zu versuchen, den Sinn hinter den Worten zu begreifen. Und dann legte er eine seiner Hände unter das Kinn des Anderen und überwandt diese letzten Zentimeter, die sie noch von einander trennten. Sanft legte er seine Lippen auf Akaashis. Der Meermann schloss die Augen. Die Sorgen des Eulenmannes von wegen 'nicht küssen können' waren völlig unbegründet gewesen. Er merkte, wie eine riesige Last von ihm abfiel. Vorsichtig löste er sich von Bokuto. Die Eule sah ihn erst verlegen, dann erschrocken an.
"Warum weinst du denn jetzt?"
"Ich weine nicht."
Der Ältere wischte über seine Wange und zeigte ihm die nasse Hand.
"War ich wirklich so schlecht?"
"Nein, du warst gut. Sehr gut."
Bokuto sah zur Seite. Oh, das war wohl wieder etwas zu ehrlich gewesen.
"Ich denke, es ist einfach nur, weil ich so glücklich bin."
Der Vogelmann runzelte die Stirn. "Du bist manchmal echt komisch. Du weinst wenn du glücklich bist, aber wenn auf dich geschossen wird lachst du."
"Ach sei doch still. Sag mal, wer sind diese Leute, zu denen wir gehen?" Akaashi griff nach Bokutos Hand und bekam dafür ein hinreißendes Lächeln geschenkt. "Alte Freunde. Sie sind Katzen."

Complete my World (BokuAka)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt