Kapitel 8

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P.o.V. Bokuto

Zwei Tage war es jetzt her, dass die Eule Akaashi zuletzt gesehen hatte. Zwei Tage hatte er sich gelangweilt, war einkaufen gegangen, hatte das Haus erkundet und sogar angefangen es zu putzen- und gewartet. Er war sich noch immer nicht sicher, was er für den Meermann empfand, doch der Schmerz in seiner Brust, der immer stärker wurde solange er den Schwarzhaarigen nicht sehen konnte, sprach Bände. Obwohl das Bett von Akaashi wirklich gemütlich war, hatte Bokuto die letzten zwei Nächte kaum ein Auge zubekommen. Immerzu war ihm das Wasserwesen durch den Kopf gespukt; dass sowohl das Bett, als auch Bettwäsche und Kleidung so stark nach ihm rochen, hatte es nicht gerade besser gemacht. Müde fuhr sich der Eulenmann mit der großen Hand über das Gesicht. Er vermisste den Jungen so sehr, dass es schmerzte. Noch nie zuvor hatte er so empfunden. Irgendwie war es echt schön- und trotzdem verdammt beschissen. Mal ganz abgesehen davon, dass er hier nicht wegwollte, schien die Situation nicht gerade einladend. Dieses beklemmende Gefühl beobachtet zu werden suchte ihn noch immer heim. Außerdem wurde das Geld, welches er von Akaashi geliehen hatte langsam knapp und die Kleidung passte ihm auch nicht. Dennoch: solange er den Meermann nicht zumindest einmal noch gesehen hatte, wollte und konnte er hier nicht weg. Nur, dass, wenn er Akaashi wiedergesehen hatte, er vermutlich gar nicht mehr gehen würde. Seufzend lief er im Wohnzimmer auf und ab. Diese verfluchte Zwickmühle! Wäre er wie geplant gegangen nachdem er geduscht hatte, wäre die Situation noch nicht einmal zu Stande gekommen. Er musste bei sich bleiben, er durfte keine vorschnellen Entscheidungen treffen, die er später bereuen würde. Erst einmal hier bleiben und etwas passendes zum Anziehen finden. Bokuto versuchte sich darauf zu konzentrieren. Er wusste, dass in Akaashis Schrank alles zu klein für ihn war, also blieb nur eines: der Schrank des Vaters! Das Elternschlafzimmer vermutete die Eule in dem Raum, der direkt gegenüber dem Wohnzimmer lag. Der einzige Raum, den er nie betreten hatte. Elternschlafzimmer waren ein Tabu, ohne ausdrückliche Erlaubnis würde das Luftwesen niemals hineinmarschieren. Das hatte er zumindest gedacht. Vorsichtig näherte er sich der Tür und öffnete sie einen Spalt breit. Stickige, abgestandene Luft schlug ihm aus völliger Dunkelheit entgegen. Er öffnete die Tür weiter und betrachtete das Wenige, das man in dem vom Flur ausgehenden Licht sehen konnte. Ein paar hölzerne Bettpfosten ragten aus der schwarzen, unkenntlichen Masse dahinter, eine Komode stand zu Bokutos rechter Seite, darauf ein Bilderrahmen und ein merkwürdiges Gebilde. Vorsichtig tastete die Eule nach einem Lichtschalter, fand aber nichts. Nun gut. Wenn man bedachte wie die Möbel ausgerichtet waren, befand sich das Fenster wohl auf der linken Seite. Achtsam bewegte er sich auf die Stelle zu, an der er es vermutete. Immer einen Fuß vor den anderen und hoffen, dass niemand etwas auf den Boden gelegt hatte. Unwillkürlich musste er an Akaashi denken. So hatte er sich bei dem Lauftraining wohl auch gefühlt. Ein Grinsen schlich sich auf Bokutos Lippen, das allerdings sofort verschwand, als er mit dem Fuß die Wand traf. Fluchend massierte er das schmerzende Körperteil. Immerhin hatte er jetzt das Ende des Raums gefunden. Schnell fuhren seine Fingerspitzen über den kalten Stein, bis sie auf den hölzernen Rahmen stießen. Endlich! Zufrieden suchte Bokuto weiter, bis er den Griff gefunden hatte und zog das Fenster auf. Frische Luft, mit dem sanften Geruch des Meeres wehte hinein. Lächelnd drückte die Eule gegen die Fensterläden, welche laut knarzend nachgaben und aufschwangen. Das helle Sonnenlicht fiel ihm in die Augen und das Luftwesen musste niesen. Nachdem er sich blinzelnd an die anderen Lichtverhältnisse gewöhnt hatte, blickte er sich erneut um. Das Bett nahm den meisten Platz ein, blütenweiße Bettwäsche war darüber gebreitet. Der Bilderrahmen enthielt ein Familienfoto, auf dem ein großer, braungebrannter Mann mit schwarzem Haar lachend einen Arm um eine hübsche, blonde Frau legte. Auch sie schien ausgelassen und lächelte ihren Mann an. Der kleine, schmächtige Junge vor ihnen passte nicht wirklich ins Bild. Er stand gut einen Meter von ihnen entfernt, als wolle er nicht, dass sie ihm zu nah kamen. Doch was Bokuto wirklich fertig machte, war der Blick des Jungen. Er sah mit völlig leeren, ernsten Augen in die Kamera, nicht der Hauch eines fröhlichen Kindes war zu sehen. Als wüsste dieser Junge noch nicht einmal, wie Lachen überhaupt ging. Ein kalter Schauer jagte der Eule über den Rücken und er wandte sich schnell ab. Das merkwürdige Gebilde neben dem Foto war ein Kaktus. Ein vertrockneter Kaktus. Wie zur Hölle schaffte man es, einen Kaktus vertrocknen zu lassen?! An der Wand neben dem Bett stand ein großer Wandschrank. Bokuto lächelte. Gefunden. Glücklich schlenderte er hinüber. Die hölzernen Türen knarrten, als er sie aufzog. An einer Stange hing eine lange Reihe von Oberteilen, darunter stapelten sich Hosen. Zufrieden seufzte er, zog die Oberteile auseinander- und erstarrte. Der Schrank hatte keine Rückwand. Ein geheimer Raum hinter einem Wandschrank? Ein Teil von ihm trieb ihn zur Flucht, wollte den Schrank schließen und so tun als hätte er nichts gesehen. Der andere Teil war neugierig, wollte wissen, welches Geheimnis sich hier versteckte. Vorsichtig machte Bokuto einen Schritt über die Hosen hinweg und betrat den Raum. Alle seine Alarmglocken schrillten auf einmal los und die Eule erstarrte. Der Raum war viel eher ein Korridor, lang gezogen und in blass beige gestrichen. An den Wänden zogen sich lange Reihen von Sockeln entlang, und auf ihnen saßen... da saßen... Erst wurde ihm schlecht. Dann verschwamm alles vor seinen Augen. Auf den Sockeln saßen Vögel. Tote Vögel. Ausgestopfte Vögel. Und am Ende des Raumes, genau gegenüber von ihm, hockte ein riesiger, gerupft wirkender Papagei und sah ihn aus leeren, toten Augenhöhlen an. Ob sie nun Gestaltwandler gewesen waren oder nicht, sie gehörten zum Luftvolk. Also hatte Akaashis Familie... hatte Akaashi...? Plötzlich stieg Panik in ihm auf. Er war im Haus einer Mörderfamilie! Sie würden auch ihn töten! Er musste hier weg! Doch seine Beine bewegten sich nicht, wie festgefroren stand er da. Sein Herz schlug immer schneller, er begann unkontrolliert zu zittern. Schwindel ergriff die Eule. Bokuto machte einen halben Schritt zurück, dann verließ seine Beine alle Kraft. Als er fiel schlug er hart gegen die Tür des Schrankes, die sich hinter ihm geschlossen hatte. Laut scheppernd schwang die Tür nach außen gegen die Wand. Bokuto verlor das Gleichgewicht und landete auf dem Rücken vor dem Schrank. Bei seinem Sturz hatte er einige Oberteile mitgerissen und so freien Blick auf den geheimen Raum. Gequält schloss er seine Augen, um nicht länger diesem Anblick ausgesetzt zu sein. Und dann hörte er eine wohlbekannte Stimme: "Bokuto?"

Complete my World (BokuAka)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt