Kapitel 9

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P.o.V. Bokuto

Als der Eulenmann aufwachte, war das Erste, das er wahnahm, Akaashis Geruch. Das war nicht weiter verwunderlich, immerhin war das hier Akaashis Zimmer und Bett. Nur war der Duft viel stärker als sonst. Verschlafen öffnete Bokuto die Augen. Erst war er sich nicht ganz sicher was er sah, es hätte eine Art schwarzer Wischmopp oder ein flauschiges Kissen sein können, doch dann kam ihm die Erkenntnis: Neben ihm lag, friedlich schlafend, ein wohlbekannter Meermann. Sofort war die Eule hellwach. Was tat Akaashi hier? Dann fielen ihm die gestrigen Ereignisse wieder ein und er wünschte, er hätte sich nicht erinnert. Die ausgestopften Vögel im Wandschrank der Eltern. Die toten Augen des Papageis. Die Panikattacke. Er hatte Akaashi angeschrien. Ihn einen Mörder genannt. Er hatte sich nicht entschuldigt. Dann hatte er sich übergeben. Der Meermann hatte ihn schlafen geschickt. Er hatte ihn gebeten zu bleiben. Und war eingeschlafen. Ein Wunder, dass er überhaupt hatte schlafen können, nach dem was passiert war. Bokuto merkte, dass er Kopfschmerzen hatte. Er bekam selten Kopfschmerzen, es sei denn... es sei denn er hatte geweint. Hatte er geweint? Er konnte sich nicht erinnern. Oh Mann, hoffentlich nicht, dass wäre dann doch peinlich. Eigentlich war ihm der ganze letzte Tag unangenehm. "Bokuto? Bist du wach?" Das Luftwesen zuckte unwillkürlich zusammen. "J- Ja.", stotterte er. Akaashi drehte sich um und lächelte ihn an. Er sah fertig aus, als hätte er die ganze Nacht kein Auge zugetan. "Guten Morgen. Wie geht es dir?" Bokuto bewunderte Akaashi ungemein dafür, dass er so freundlich und gelassen sein konnte obwohl er eine beschissene Nacht hinter sich hatte. "Ich habe Kopfschmerzen, ansonsten besser als gestern. Was ist mit dir? Du siehst aus, als müsstest du dringend noch mehr schlafen.", antwortete er.
"Hab über einiges nachgedacht, deswegen brauchte ich eine Weile zum Einschlafen."
"Verstehe."
Sie schwiegen einen Moment, bis Akaashi sagte: "Ich will hier weg." Erstaunt sah die Eule ihn an. "Was meinst du?"
"Ich will weg aus diesem Haus, weg aus dieser Stadt, weg von meinen Eltern."
Bokuto musterte ihn kurz. "Ich habe ein paar Freunde beim Erdvolk und natürlich auch bei den Luftwesen. Wir finden schon einen Ort, an dem du unterkommen kannst." Der Meermann lächelte und rückte näher an ihn. "Danke."
"Du brauchst mir nicht zu danken. Um ehrlich zu sein... ich... ich fühle mich... wie soll ich sagen... schuldig?" Akaashi runzelte die Stirn. "Warum?" Der Eulenmann konnte ihn nicht ansehen, unbehaglich drehte er sich zur Wand. "Weil... weil ich gestern Dinge gesagt habe. Und... weil ich... ich mich nicht entschuldigt habe. Deshalb." Bokuto spürte den heißen Atem des Meermannes im Nacken. Plötzlich legte sich ein Arm um ihn und ein warmer Körper drückte sich von hinten an seinen. "Das ist schon in Ordnung, immerhin warst du in Panik und standest unter Schock. In deiner Situation hätte ich wohl ähnlich reagiert. Mach dir keinen Kopf deswegen.", murmelte Akaashi an seinem Rücken. Bokuto merkte wie sein Puls sich erhöhte. Die Nähe zu dem Wasserwesen machte ihn fertig. Vorsichtig drehte er sich in der Umarmung um. Ihre beiden Gesichter waren jetzt nur noch Zentimeter voneinander entfernt. Sein Atem ging schnell. Etwas in dem Vogelmann drängte ihn dazu, sich noch etwas weiter vorzulehnen, diesen geringen Abstand zwischen ihnen zu überwinden. Die Hand des Meermannes, die nicht auf seinem Rücken lag, fuhr sanft durch seine Haare und blieb dann in seinem Nacken liegen. Wie von selbst legte sich die Hand des Luftwesens auf die Taille des Anderen. Einen Moment lang glaubte er zu wissen, was als nächstes geschehen würde. Und dann war der Moment vorbei. Sie hörten es beide. Das Geräusch, dass Bokuto in den letzten Tagen so schmerzlich vermisst hatte. Doch dieses Mal verhieß es nichts Gutes. Akaashi starrte ihn aus weit aufgerissenen Augen an. "Sie sind da!"

P.o.V. Akaashi

Er hatte nicht mit ihnen gerechnet. Sie sorgten sich eh nie um ihn, wo er war wollten sie auch meistens nicht wissen. Warum ausgerechnet jetzt? Er löste sich von Bokuto und schwang die Beine aus dem Bett. Es musste auch gerade der unpassendste Moment sein! Hätten sie nicht ein paar Minuten später kommen können? "Akaashi?" Der Meermann sah über die Schulter zurück. "Was machen wir jetzt?" Die Eule hatte sich aufgesetzt und sah ihn aus diesen großen, gelben Augen an. Kurz verlor sich Akaashi in diesen Augen, bis ihm einfiel, dass Bokuto ihn etwas gefragt hatte. "Wir gehen rein. Ich sage ihnen, dass ich gehe und du bringst mich zu diesen Freunden."
"Wird das funktionieren?"
"Nein, keine Chance. Bokuto, sie haben Leichen in ihrem Kleiderschrank! Entweder sie versuchen dich zu töten, oder uns beide. Am besten gehe ich zu ihnen und du versteckst dich vor dem Haus und wartest."
Der Eulenmann funkelte ihn an. "Vergiss das mal ganz schnell wieder! Du hast selbst gesagt sie sind gefährlich. Du gehst da nicht alleine rein."
"Vor allem ist es doch für dich gefährlich! Ich habe über zwanzig Jahre mit ihnen überlebt, ein Gespräch mehr wird mich nicht umbringen."
"Das kannst du nicht wissen!"
Verdammt, diese Eule machte es ihm wirklich schwer. Aber er hatte keine Zeit für lange Diskussionen. "Du bist ein Idiot, Bokuto!" Das Luftwesen fasste das als Zustimmung auf und kletterte aus dem Bett. Akaashi straffte die Schultern und öffnete die Tür zur Eingangshalle. Wie erwartet standen seine Eltern vor dem Regal mit Kleidung und zogen sich an. "Oh. Gut, dass du hier bist.", freute sich seine Mutter, die sich ein gelbes Sommerkleid über den Kopf gestreift hatte und ihm ihr schönstes, aufgesetztes Lächeln schenkte. "Was wollt ihr?" Sein Vater, ebenfalls künstlich grinsend, antwortete: "Die Schule hat angerufen, weil du unentschuldigt gefehlt hast. Gestern Abend haben wir dich nicht nach Hause kommen gehört, da haben wir uns Sorgen gemacht." Akaashi zog eine Augenbraue hoch. "Lasst den Scheiß. Wir wissen doch alle, dass ihr nur nicht wollt das rauskommt, dass euer eigener Sohn euch hasst. Euer Lächeln ist übrigens durchschaubar falsch." Sofort ließen die Eltern ihre Mundwinkel fallen und sahen mit ernsten, beinahe bösen Blicken ihren Sohn an. "Gut, einen Versuch war es wert. Jetzt komm nach Hause, einen Tag Schuleschwänzen kratzt schon genug an unserem Image.", befand die Mutter. "Eigentlich,", begann Akaashi, "wollte ich erst mit euch etwas bereden. Es ist so, dass ich... nun... einen Blick in euren Schrank geworfen habe." Die Augen des Vaters funkelten. "Und jetzt willst du ins Familiengeschäft einsteigen? Wie fleißig... du hast sogar schon dein erstes Opfer." Bedeutsam schweiften seine Augen zu Akaashis Zimmer, in dessen Türrahmen Bokuto lehnte. Die Mutter legte den Kopf schief. "Tatsächlich! Ein Adler? Nein, eine Eule! Nicht schlecht, für den Anfang. Mein Erster war ein Spatz."
"Ihr seid widerlich! Ich habe nicht vor, Luftwesen zu töten. Ich verschwinde, ich will weder mit euch, noch mit eurem Geschäft etwas zu tun haben!" Der Blick der beiden Erwachsenen wurde kalt. "Dann geh. Aber den Kopf der Eule, den lässt du hier!" Blitzschnell trat die blonde Frau auf ein loses Dielenbrett, das nach oben schnellte. Gekonnt fing sie es auf. Ihr Mann bückte sich und zog etwas langes, dunkles aus dem Hohlraum. Akaashi wusste sofort was es war. Er drehte sich zu Bokuto um. "Lauf!", brüllte er und stolperte seinerseits los. Er hätte wissen müssen, dass die Eule ihn nicht zurücklassen würde, immerhin kannten sie sich langsam lange genug dafür. Als Akaashi losrannte, merkte er sofort seinen Fehler. Die Holzbretter waren rutschig vom Wasser und sein Gleichgewichtssinn noch immer miserabel. Er rutschte aus und versuchte sich zu fangen, stolperte über den glitschigen Grund. Ein Geräusch, wie man es nur aus Filmen kennt hallte durch den kleinen Raum. Etwas, das klickend einrastete. Dann spürte Akaashi die vertrauten, starken Arme um seine Brust, als Bokuto ihn in sein Zimmer zog. In einer einzigen, fließenden Bewegung hatte das Luftwesen sich den Meermann über die Schulter geworfen und zu rennen begonnen. Keine Sekunde später schallte der erste Schuss durch das Haus. Federn stoben auf, seine Mutter hatte verfehlt und das Bett getroffen. Gleichzeitig rissen Bokuto und der Vater die Türen zum Wohnzimmer auf. Akaashi sah über die Schulter des Anderen, wie seine Mutter erneut das Gewehr hob. Die Eule schlitterte in den Flur. Laut krachend schlug das Geschoss in die Wand ein. Geblendet vom Mündungsfeuer schloss der junge Meermann die Augen. Er hörte Holz bersten, wieder hatte seine Mutter sie nicht getroffen. Dann trat Bokuto die Haustür ein und sie stürzten ins Freie.

Complete my World (BokuAka)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt