Kapitel 6

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P.o.V. Bokuto

"Wie alt bist du?"
"Ich werde im September 21."
"Dann bist du also älter.", stellte Akaashi fest. "Scheint so. Was willst du sonst noch wissen?"
"Woher kommst du?" Der Eulenmann streckte die Beine aus. "Ein kleiner Wald an einem Berg, vier Stunden wenn man fliegt. Es ist das ganze Jahr über kalt, wegen der Höhe, und beinahe unbeachtet von Erdlingen." Der Meermann hob interessiert den Kopf. "Ich dachte, das Luft- und das Erdvolk kommen gut miteinander aus." Bokuto seufzte. "Tun sie eigentlich auch, gezwungenermaßen. Wir können schließlich nicht unser ganzes Leben in der Luft verbringen. Aber sie mögen uns nicht besonders, sie halten uns für gesetzlose, ungehobelte Kreaturen die ihnen ihren Lebensraum streitig machen." Akaashi musterte kurz die geklaute Badehose des Mannes und fragte dann: "Seid ihr es? Gesetzlos und ungehobelt?" Die Eule fuhr sich verlegen durch das zweifarbige Haar. "Nun ja, wie soll ich sagen... nicht alle von uns... und auch nicht immer." Das Meerwesen musste lachen. Bokuto blieb bei dem Klang beinahe das Herz stehen. Dieser Mann... nicht zu glauben, dass er ausgerechnet für ihn alles stehen und liegen ließ. Apropos... "Hey, Akaashi. Sag mal, was war das eigentlich, das du abgebrochen hast um mit mir zu reden?" Kaum sichtbar huschte ein Schatten über das Gesicht des Jüngeren. "Nichts wichtiges, nur ein Familientreffen." Was? Ein Familientreffen? Wenn die Eule einfach ein Familienfest sausen ließe, würden seine Eltern ihm aber ordentlich die Meinung pfeifen. Die Familie war das Wichtigste. Wobei... Akaashi schien wirklich kein gutes Verhältnis zu seiner zu haben. Er konnte einfach von einem Treffen verschwinden und vorhin hatte er gesagt, er wäre es nicht gewohnt, dass man sich um ihn sorgte. Urplötzlich kam in Bokuto der Wunsch auf den Meermann zu umarmen. "Wo wohnst du eigentlich solange du hier bist?", riss der Kleinere ihn aus seinen Gedanken. "In einer Hausruine, die steht oben am Stadtrand." Akaashi starrte ihn an. "Du wohnst also in einem kaputten, vermutlich einsturzgefährdeten und zugigen Haus? Ohne ein Bett, eine Dusche oder eine Küche?" Wenn er das so sagte, klang das irgendwie traurig.
"Ja, so ungefähr."
"Jetzt nicht mehr."
"Was?"
"Ab jetzt wohnst du da nicht mehr. Du hast gesagt du bist geflogen, also hast du wohl kein Gepäck. Für die restliche Zeit, die du hier bist, wirst du bei mir wohnen." Der Eulenmann war perplex. "Das... Das kann ich nicht machen! Ich meine, wir kennen uns doch kaum, ich habe auch nichts um dich zu bezahlen oder..."
"Pscht!", unterbrach ihn Akaashi.
"Aber..."
"Pscht!"
"A..."
"Pscht!"
Bokuto sah den Anderen an, der jetzt wieder lächelte. Er war vorher noch nie ausge-pscht! worden und es fühlte sich irgendwie an wie eine Niederlage. "Es ist mir egal, was du sagst. Sieh es meinetwegen als Geschenk, du brauchst weder dafür zahlen, noch sonst irgendwas." Dennoch fühlte sich die Eule komisch bei dem Gedanken, die Wohnung eines Anderen zu schnorren. "Wie wäre es dann mit einem Tausch? Solange ich hier wohnen darf, bringe ich dir richtig laufen bei."

P.o.V. Akaashi

"Das würdest du tun? Dann kaufe ich dir auch noch Essen und besorge..."
"Reicht dann auch mal."
Er hatte wohl Recht. Aber er würde alles geben, solange er nur richtig laufen lernte. Bokuto sah ihn an. "Wieso habe ich das Gefühl, dass du am liebsten sofort damit anfangen würdest?" Der Meermann sprang auf. "Wäre das in Ordnung?" Akaashi erinnerte sich einen Moment zu spät daran, dass er nur in ein Handtuch gewickelt war. Beschämt zog er das Tuch enger um sich. "Ich gehe mich nur schnell anziehen.", murmelte er und stolperte in Richtung seines Zimmers. Er hatte noch keine zwei Meter zurückgelegt, da schlossen sich zum X-ten Mal an diesem Tag zwei starke Arme um ihn. "Ich werde dich diesmal nicht hochheben. Ich kann es nur einfach nicht ertragen, dich laufen zu sehen.", hauchte der vom Luftvolk an seinem Ohr. Akaashi merkte, wie ihm die Röte ins Gesicht schoss. "Du musst ja nicht hinschauen." Er konnte hören, dass Bokuto grinste, als er antwortete: "Weißt du, es ist wie bei einem Horrorfilm. Du willst es nicht sehen, aber du kannst deinen Blick einfach nicht abwenden." Der Meermann musste schwer schlucken. Obwohl sie sich über ganz normale Themen unterhielten, die Tatsache, dass er selbst so gut wie nackt war, die Eule ihn fest von hinten umarmte und er den heißen Atem an seinem Ohr fühlte, ließ ihn nicht ganz kalt. Im Gegenteil. Eigentlich hätte er gerne etwas bissiges erwidert, aber er wusste, er würde keinen Ton herausbringen sollte er jetzt etwas sagen. "Wir können auch sofort anfangen. Auf dem Weg zu deinem Zimmer." Akaashi nickte in einem letzten verzweifelten Versuch, seine Lage zu überspielen. "Dann stell dich erstmal richtig hin. Mach deinen Rücken gerade und stell deine Füße parallel.", wies der Eulenmann ihn an. Vorsichtig setzte der Jüngere seinen rechten Fuß so, dass er gerade neben dem Linken stand. Er verlor das Gleichgewicht und wäre gestürzt, hätte Bokuto ihn nicht immer noch gehalten. Die Eispackung fiel auf den Boden. "Wir müssen wohl auch an deinem Gleichgewicht arbeiten.", sagte dieser mit einem Grinsen und stellte ihn auf beide Beine. Er hob das Kühlpack auf, ließ dabei aber eine Hand auf seinem Rücken liegen. Kaum, dass Bokuto wieder aufrecht stand, umarmte er den Meermann, gab ihm das Pack aber nicht zurück, sondern behielt es in der Hand. "Drück deinen Rücken durch... nicht so weit!" Der vom Luftvolk musste lachen, als Akaashi ein Hohlkreuz machte. "Nimm mal einfach eine ganz entspannte Haltung ein. Mach deine Schultern locker. Gut so." Entspannen war leichter gesagt als getan. "Verlagere jetzt dein ganzes Gewicht auf dein rechtes Bein." Der Meermann ließ sich nach rechts sinken. "Mache jetzt einen Schritt mit dem linken Fuß." Erstaunlicherweise schaffte er tatsächlich einen ganz akzeptablen Schritt. "Gut gemacht!" Bokuto freute sich beinahe mehr als der Meermann selbst. Das Luftwesen legte sein Kinn auf seine Schulter. "Ich muss mir irgendeine Belohnung für dich ausdenken, wann immer du es schaffst zu laufen ohne zu stolpern."
"Nicht nötig.", widersprach Akaashi schnell und wünschte sich, nie wieder daran denken zu müssen, wie abartig erotisch das Wort Belohnung doch klang, wenn es einem ins Ohr gehaucht wurde. Unter den leisen Anweisungen des Älteren schaffte der vom Meeresvolk es schließlich bis in sein Zimmer. Bokuto gab ihm die Kühlpackung wieder und schenkte ihm noch ein kleines Lächeln, ehe er nach dem Türgriff griff. Kaum, dass die Tür zwischen ihm und der Eule sich geschlossen hatte, ließ er Handtuch und Eispack fallen und lehnte sich an die Wand. Noch immer fühlte sich sein Körper seltsam heiß an. Während er seine Hose anzog, fiel sein Blick auf die Uhr. Verdammt! Er hatte seinen Eltern doch gesagt er würde nach Hause gehen. Wenn er nicht vor ihnen da war... So schnell es ihm möglich war bewegte Akaashi sich zur Tür. Kaum, dass er diese geöffnet hatte, sah ihn Bokuto an und für eine Sekunde vergaß er warum er in Eile war. Doch dann fiel es ihm wieder ein und zerstörte den Moment, in dem er am liebsten einfach in den gelben Eulenaugen versunken wäre. "Bokuto, ich muss nach Hause bevor meine Eltern merken, dass ich weg war. Tut mir leid, es ist nur..."
"Ist schon in Ordnung.", unterbrach ihn der große Mann. "Willst du lieber laufen oder getragen werden?" Obwohl er sich fühlte, als ob er damit verloren hätte, tragen ging nun einmal einfach schneller. "Bitte... bitte trag mich.", sagte er leise. Die Eule grinste breit. "Mit dem größten Vergnügen." Akaashi hatte keine Zeit zum Reagieren, da hatte Bokuto ihn schon hochgehoben. "Wenn du in mein Zimmer gehst ist rechts eine Tür. Da müssen wir durch." Der vom Luftvolk lief vorsichtig in sein Zimmer, sorgfältig darauf bedacht, nichts von dem Meerwesen im Rahmen einzuklemmen. "Du solltest Eispacks nicht auf dem Boden liegen lassen, die schmelzen nämlich.", merkte er an, wärend er einhändig die Klinke herunterdrückte. "Oha. Das also sind die Wohnungstüren der Meerleute. Ich bin beeindruckt." Akaashi schüttelte nur den Kopf. "Also echt. Wenn dich sowas beeindruckt..." Lachend ließ die Eule den Anderen auf den Boden. Sofort rutschte er ins Wasser und verwandelte sich. Krrrrtch. Das war die Hose, die er vergessen hatte auszuziehen. Bokuto sprang zu ihm ins Becken und warf das kaputte Kleidungsstück aus dem Wasser. "Morgen früh bin ich wieder da, versprochen!" Der Eulenmann sah ihn an, kurz blitzte etwas in den großen Augen auf. Sorge? Wieso denn diesmal? Doch er überspielte es mit einem Lächeln und sagte nur: "Gute Nacht, Arielle. Pass auf dich auf." Ohne etwas dagegen tun zu können, entfuhr Akaashi ein: "Idiot.", bevor er untertauchte. Auch unter Wasser konnte er das wunderschöne Lachen Bokutos noch hören.

Complete my World (BokuAka)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt